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Anton Corbijn: Meister der Unschärfe, König der Klarheit

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13 min

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Als schüchterner Teenager fand er durch die Kamera Bedeutung. Anton Corbijn machte sie zum Werkzeug der Deutungsmacht. Dank seiner visuellen Interpretation fanden Dutzende Stars den Weg zu Legendenstatus. „Ich möchte unbequeme Dinge tun“, sagt er im Gespräch zur Werkschau in Wien

Er schuf Mitte der 80er-Jahre die düstere, visuelle Identität von Depeche Mode. Die britischen Synthie-Pop-Twens manifestierten damit ihren Ruf als Kultband. Den irischen Kollegen von U2 schlug er ein Fotoshooting im kalifornischen Death Valley mit dem Joshua Tree vor. Das Gewächs wurde zum Namensgeber jenes Albums, mit dem U2 Neues wagten und in den Musikolymp flogen. Auch als Metallica 1996 ihren Langhaarlook aufgaben und sich kurzgeschoren in Richtung Massenerfolg verabschiedeten, hatte Anton Corbijn seine Finger am Auslöser. 

Der Niederländer setzt seine Ideen als Fotograf, Videoregisseur, Art Director und Bühnendesigner um. Und er prägte  so die popkulturelle Ikonografie der vergangenen Jahrzehnte. Er begleitete kreative Prozesse, denen markante Richtungswechsel innewohnten und die dadurch Musikgeschichte schrieben. Es war kein Zufall, denn das Offensichtliche, das Einfache hat Corbijn nie inspiriert. Mit unorthodoxen Settings, Körnigkeit und bewusster Unterbelichtung gebar er den typischen Stil, mit dem er die Essenz des Menschen hinter dem Star einfängt. 

Das gilt für Arbeiten mit Musikern wie für jene mit Künstlern wie Lucian Freud, Damien Hirst und Gerhard Richter. Auch Politiker vertrauen Corbijns Ästhetik. Für den niederländischen Ministerpräsidenten Wim Kok verantwortete Corbijn 1998 die Wahlkampagne.  Derzeit steht Helen Mirren vor der Kamera des Regisseurs. Sie spielt die alternde Krimi-Königin Patricia Highsmith im Thriller „Switzerland“. „Ich möchte Dinge tun, die unbequem sind“, beschreibt der Starfotograf wenige Monate vor seinem 70. Geburtstag im Mai, die Abenteuer, die ihn reizen.

U2-Sänger Bono Vox über Anton Corbijn

Sympathie beim ersten Treffen: U2 & Corbijn

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Im Jahr 1980 fotografierte Corbijn David Bowie in Chicago

 © Anton Corbijn

Bei Ihrem Wien-Debüt als Solokünstler im Kunstforum steht ein Raum unter dem Motto „Weibliche Freiheit – Männlicher Blick“. Gezeigt werden Porträts von Jodie Foster, Marianne Faithfull oder Patti Smith. Arbeiten Sie mit Frauen bewusst anders, oder ist Ihre Vision stets dieselbe?  

Das ist schwer zu sagen, vielleicht will ich, dass sie mich mögen, oder ich will etwas hervorbringen, das sinnlicher ist. Sie entfremden in gewisser Weise: Wenn man eine Ausstellung wie diese macht und alle Frauen in einem Raum zentriert, wirkt es, als hätte ich einen anderen Zugang zu ihnen. Aber das ist nicht der Fall.

Die Umgebung, in der Sie fotografieren, ist immer Teil der Geschichte, die Ihre Bilder erzählen. Wie wichtig ist das Setting als Werkzeug?     

Essenziell. Wäre ich Studiofotograf geworden, würde es hier keine Ausstellung geben, denn das langweilt mich. Auch für die Menschen, die ich fotografiere, wäre es langweilig. Wobei mir klar ist, dass sie sich in einem Studio sicherer fühlen wegen der vielen Menschen, die ihnen die Haare richten und alles ausleuchten. Aber ich fotografiere Menschen, die lebendig wirken wollen. 

Gibt es eine Arbeit, bei der das unorthodoxe Setting speziell erfolgreich war? Vielleicht auf eine unvorhergesehene Art?

Ja, alle, die hier ausgestellt sind! Ein Shooting läuft fast nie nach einem Plan. Ich verlasse mich auf meine Intuition. Ich mag Dokumentarfotografie und Porträts. Meine Bilder sind immer eine Kombination aus beidem. Ich komme irgendwo an, dann schaue ich mich um. Wenn ich am Abend vor dem Shooting ankomme, laufe ich um das Hotel. Dann noch einmal, so lange, bis ich etwas Inspirierendes finde. Helmut Newton hat die gleiche Herangehensweise: Du gehst auf die Straße und suchst etwas, mit dem du arbeiten möchtest.

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Nina Hagen und Ari Up in Malibu

 © Anton Corbijn

Die Ausstellung

Sie sind auf einer kleinen Nordseeinsel als Sohn eines protestantischen Pfarrers aufgewachsen, ganz in der Nähe eines Friedhofs. Es ist wohl eher kein Zufall, dass Sie die dunkle Seite der Pop-Historie geprägt haben …

Ich würde es nicht die dunkle Seite nennen, sondern vielmehr die ernsthafte Seite der Pop-Historie. Es ist der kreative Prozess, der mich fasziniert. Die Phase, die jemand durchlebt, der etwas Neues erschafft. Das ganz persönliche Ringen, das jemand im künstlerischen Schaffensprozess erlebt. Das ist spannend.

Inwieweit hat Ihr Vater, der Pfarrer, Ihren Weg geprägt?

Die Einschränkungen, die uns auferlegt wurden, habe ich gehasst. Am Sonntag durften wir nicht Rad fahren und kein Geld ausgeben. Das wurde sehr streng gehandhabt, auch von der Familie und den religiösen Freunden meines Vaters. Wenn sie etwas gut fanden, war ich aus Prinzip dagegen. Ich habe gegen diese Welt angekämpft. Viel später erst habe ich begriffen, was für ein netter Mensch mein Vater war. Er war mehr Menschenfreund als strenger Priester. Leider wurde ich von meiner Erziehung derart überrumpelt, dass ich ihn und meine Mutter bekämpft habe. Das zählt zu den Dingen, die ich gerne rückgängig machen würde. Dann würde ich mehr bedeutungsvolle Gespräche mit beiden führen.

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 © IMAGO/Tim Aro/TT

Es sind die Einschränkungen, die Begrenzungen, die Sie künstlerisch vorangebracht haben, sagten Sie einmal. Schließt sich da ein Kreis?  

Ich denke, das gilt für jede Art von Kunst: Wenn alles verfügbar ist, ist es viel schwieriger, für sich selbst eine Richtung zu finden.  Wenn du Dutzende Kameras und Objektive und Licht zur Wahl hast und 100 mögliche Locations, dann gibt es nichts, das dir eine Richtung weist.

Und später, als Ihr Bedarf an Objektiven und Linsen endlos hätte sein können? Haben Sie sich selbst Grenzen für den kreativen Prozess geschaffen?

Ich arbeite immer noch ohne große Beleuchtung. Außer bei Shootings für die „Vogue“ habe ich nie Licht dabei. Ich erinnere mich auch sehr gut daran, wie meine langjährige Assistentin Anja sich immer beschwert hat, weil ich zum Shooting gekommen bin und nur fünf Filme mitgehabt habe. Das habe ich bewusst getan, um mich zu zwingen, jedes Foto ganz bewusst aufzunehmen. 

Sie haben viele Stars in unkonventionellen Posen fotografiert. Brauchte es Diplomatie, um sie zu überreden?

Ja, man muss schon smart sein, was das betrifft. Es war nicht leicht, die Rolling Stones zu überreden, Masken zu tragen. Zuerst kam eine Absage für meine Idee mit den Masken. Dann hat Mick (Jagger, Anm.) mich angerufen. Er hat zugehört und ist das Wagnis eingegangen. Das war toll, er hätte auch einfach einen anderen Fotografen beauftragen können.

Ihre Arbeit mit Musikern hat viele Karrieren maßgeblich befeuert. Wie beurteilen Sie selbst Ihren Einfluss?

Es ist mir bewusst, dass meine Arbeit bei manchen Bands einen Teil ihres Erfolgs ausmacht. Aber diese Bands sind auch Teil meines Erfolges. Hätten U2 und Depeche Mode meine Arbeit nicht in die Welt getragen, etwa mit dem Video zu „Enjoy The Silence“, wäre alles anders gekommen. Damals hat das Magazin „Rolling Stone“ geschrieben, ich sei der David Lynch der Musikvideos. Das hat viel bewirkt.

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Anton Corbijn, Self Portrait, London 1987

 © Anton Corbijn

Erinnern Sie sich an die ersten Fotos, die Sie gemacht haben?

Das war mit der Kamera meines Vaters im Campingurlaub. Da war ich 15 oder 16 Jahre alt. Kurz danach war ein Konzert einer Band, die mir gefallen hat. Zu dieser Zeit war ich sehr schüchtern und habe meinen Vater gebeten, mir die Kamera zu borgen, um mir beim Konzert mehr Bedeutung zu verleihen. Damit bin ich direkt vor die Bühne marschiert, ich hatte ja die Kamera. Ich habe neun Fotos gemacht. Immerhin hatte ich danach genug Selbstbewusstsein, die Fotos an ein lokales Musikmagazin zu schicken. Das hat ein paar auf der Leserbriefseite veröffentlicht. Ich war extrem stolz und wollte für immer Teil dieser Musikwelt werden. Dieser Gedanke war wie eine Pistolenkugel, die in mir abgefeuert worden ist. Unaufhaltsam. Ich habe weiter Konzerte fotografiert. Im Sommer habe ich in einer Fabrik gearbeitet und mir meine erste Kamera verdient. Dann hat ein großes Musikmagazin das erste Foto von mir gekauft – ein Konzertfoto. Danach habe ich mich getraut, auch Porträts zu fotografieren. Ich habe an die Backstage-Tür geklopft und gefragt: „Darf ich Sie fotografieren?“ So einfach hat alles begonnen. Ganz ehrlich: Im Grunde ist, was ich tue, immer noch genauso simpel. 

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 © IMAGO/Tim Aro/TT

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.08/2025 erschienen.

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