„Wenn die Worte aufhören, beginnt die Musik“, zitiert Anne-Sophie Mutter im Buch „Meine bessere Hälfte“ Heinrich Heine. Sie beschreibt ihre tiefgehende Reise zur Geige als Lebensbegleiterin, wie das Instrument sie anleitet und wie sie es hegt. Ein Essay über eine besondere Beziehung
Als kleines Kind dachte ich immer, eine Geige wäre ein Lebewesen. Weil sie so schöne Geräusche von sich gibt, wie eine schnurrende Katze – und wenn sie mal quiekte, hatte ich den Eindruck: Das tut der Geige jetzt weh. Deswegen habe ich mich immer bemüht, meiner Geige keine Schmerzen zuzufügen, und habe das Kapitel „Es klingt wie eine kranke Katze“ in meiner musikalischen Biografie relativ mühelos übersprungen. Weil ich eben wahnsinnig motiviert war, dieses kleine Wesen pfleglich zu behandeln.
Eigentlich habe ich ja zunächst Klavier gespielt, ich hätte also auch die Möglichkeit gehabt, mich in dieses In strument zu verlieben. Aber ein Streichinstrument ist eben doch intimer. Weil es ein Partner fürs Leben ist, eine langfristige Verbindung, die man als Pianist mit seinem Instrument so nicht eingehen kann.
Das war ein Aspekt, der mich an der Geige immer fasziniert hat: dieses Ausschließliche der Beziehung. Und die Unmittelbarkeit der Klangerfahrung. Beim Tasteninstrument ist es ja so: Wenn der Klang erklingt, verklingt er schon wieder – aber im Strich eines Bogens kann ich ein ganzes Spektrum an Klangskulpturen entstehen lassen.
Ich kann den Klang anschwellen und wieder verebben lassen, ich kann durch das Vibrato im Augenblick des Klang erscheinens eine ganze Welt zaubern. Das hat mich schon als Kind fasziniert – und es fasziniert mich, mehr als ein halbes Jahrhundert nach meiner ersten Geigenstunde, noch immer.
Mein erstes Instrument war eine Viertelgeige. Die besitze ich bis heute, sie liegt auf einem meiner Flügel. Gespielt wird sie nicht mehr, da müsste schon ein Enkelkind her. Natürlich haben meine Kinder, als sie noch kleiner waren, auch einmal versucht, ihr Klänge zu entlocken – aber ich erinnere mich, dass mein Sohn schon nach ein paar Minuten aufhörte, mich angewidert anschaute und sagte: „Nee ... bei dir klingt das viel besser!“
Ich besitze auch noch die halbe Geige, die ich danach gespielt habe. So weit wie möglich habe ich immer versucht, an den Geigen, die ich über längere Zeit spielen durfte, im wahrsten Sinne des Wortes festzuhalten. Mit Ausnahmen.
Ein Geige vom anderen Planeten
In meiner Teenager-Zeit gab es einen populären italienisch-amerikanischen Geigenbauer, dessen Geigen auch handwerklich sehr schön gemacht waren. Sie waren nach Modellen von Guarneri del Gesù gebaut, sogar die historischen Wurmlöcher waren aufgemalt; das fand ich immer ein bisschen merkwürdig. Diese Geigen waren natürlich sehr viel preiswerter als ein echtes italienisches Instrument, und mein Vater dachte damals, das sei doch die optimale Lösung: Her mit dem modernen Instrument für ein paar Tausend Mark, und gut ist!
Ich habe die Geige natürlich ausprobiert – und fand sie sehr laut, dabei extrem undifferenziert. Auf ihr zu spielen fühlte sich an, wie Holz zu hacken. Die Geige hat auf mein Flehen überhaupt nicht reagiert! Das war, als ob ich mit einem Tauben sprechen würde, und Gebärdensprache hat leider auch nichts gebracht – wir haben einander einfach überhaupt nicht verstanden. Die Geige wollte einen groben Zugriff, und ich wollte etwas ganz anderes.
Ich war todunglücklich mit diesem Instrument und musste trotzdem ein paar Monate mit ihm verbringen – aber irgendwann konnte ich meinen Vater überzeugen, dass so ein grober Klotz mich musikalisch einfach nicht in Schwingung versetzt. Diese Geige und ich existierten einfach auf zwei völlig unterschiedlichen Planeten.
Die bessere Hälfte
von Anne-Sophie Mutter war anfangs eine Nicolò Gagliano aus dem Jahr 1755, dann, im Alter zwischen 15 und 25, die „Emiliani“ von Stradivari von 1703, die sie heute noch wie einen Schatz hütet und die niemand außer ihr und ihrem Geigenbauer anfassen darf. Danach verliebte sie sich in die Stradivari „Lord Dunn-Raven“ aus dem Jahr 1710, die sie bis heute begleitet.
Ein Instrument wie ein Rennauto
Was ich an einem Instrument schätze, ist eine sehr schnelle Ansprache. Wie bei einem nervösen Rennauto: Der Ton muss auch im Pianissimo-Spiel sofort da sein. Anders gesagt: Die Geige muss springlebendig sein, sie muss gleichzeitig aber auch sehr zart klingen können. Im Prinzip suche ich ein Instrument, welches das ganze Spektrum von extremer Zartheit bis hin zu maximaler Lautstärke in großer Wachheit bereithält. Ich mag keine Instrumente, die Schlafmützen sind. Als ich 1976 Herbert von Karajan vorspielen durfte, hatte ich noch ein Instrument von Nicolò Gagliano: eine wunderschöne Geige aus dem Jahr 1755, die ich heute noch besitze – auf ihr habe ich meine allererste Aufnahme mit den Mozart-Konzerten gemacht. Aber nach zwei Jahren meinte Herr von Karajan: „Jetzt müssen Sie mal ein ordentliches Instrument haben!“
Bei Musik hat Karajan immer recht
Ich wusste überhaupt nicht, wovon er redete, ich war doch eigentlich sehr glücklich mit meiner Gagliano. Aber ich hatte schon damals verstanden: Wenn es um Musik geht, hat Karajan immer recht. Und ich ahnte, dass da draußen irgendetwas Wunderbares auf mich wartet. Ich wusste nur noch nicht, was.
Es wurden also Instrumentenhändler aus aller Welt nach Berlin eingeladen, und sie brachten verschiedene Geigen von Guarneri del Gesù und Stradivari mit. Nach einer Probe setzten sich Herbert von Karajan und einige Mitglieder der Berliner Philharmoniker also eines Nachmittags in den Saal und nahmen sich Zeit, diese Geigen zu beurteilen.
Die erste Liebe, die „Emiliani“
Ich spielte nacheinander auf den Instrumenten, und dann wurde abgestimmt: Die ist gut – die ist zu dunkel – die klingt zu hell – die ist nicht ausgeglichen ... und tatsächlich haben wir uns dann sehr schnell auf die „Emiliani“ geeinigt, eine Stradivari von 1703, also ganz vom Anfang seiner goldenen Periode. Ein wunderbares Instrument mit einem wunderschönen einteiligen Rücken; meine ganze Diskografie mit Karajan, mit Ausnahme des Tschaikowski-Konzertes vom 15. August 1988 mit den Wiener Philharmonikern, ist auf dieser Geige eingespielt.
Ich hatte damals das große Glück, dass das Land Baden-Württemberg sich bereit erklärte, die „Emiliani“ vorzufinanzieren und mir als Leihgabe zur Verfügung zu stellen. Aber mir war natürlich klar, dass das alles an einem seidenen Faden hing: Ich habe also sehr viele Konzerte gespielt und habe es mit einem erheblichen Arbeitsaufwand irgendwann geschafft, diese Geige tatsächlich selbst zu finanzieren.
Den ganzen Essay lesen Sie im Buch „Meine bessere Hälfte“ (siehe Infobox).
Buch-Tipp
In „Meine bessere Hälfte“ lässt Herausgeber Florian Werner Musiker und Musikerinnen von der intimen Beziehung zu ihren Instrumenten erzählen. Neben Anne-Sophie Mutter lassen u. a. Jochen Distelmeyer über die Gitarre, Inga Humpe über die Stimme, Benjamin Koppel über das Saxofon, Aki Takase über das Klavier oder Steven Isserlis über das Cello tief blicken. (Ullstein)