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Alma, das göttliche Groupie

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Nicht einmal die Biografen haben sich bisher auf die Berufsbezeichnung für Alma Mahler verständigt. Es zog sie mit Macht an die Seite der Unsterblichen, nun widmet ihr die Volksoper eine Uraufführung. Komponistin Ella Milch-Sheriff und Regisseurin Ruth Brauer-Kvam sprechen auch über das wiedergekehrte Risiko, jüdisch zu sein. Und unser Gastkommentator Paulus Manker skizziert das Phänomen Alma

Ein Groupie, dessen rastlosen Aktivitäten mehrere Marktführer im Genie-Segment erlagen: Dutzendseitige biografische Abrisse folgenden libidinösen Verwinkelungen der geborenen Alma Margaretha Maria Schindler (1879–1964) und wissen dabei nicht einmal, wie sie die Beschriebene benennen sollen. „Muse“ kam früher häufig vor, unter #Metoo-Vorbehalt überwiegt heute die Neutralvariante „Persönlichkeit“, mit der man auch TikTokerinnen und Youtuberinnen belegt.

Ob die Tochter des Wiener Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler im Alter von 17 Jahren mit Gustav Klimt mehr als einen Kuss getauscht hat, ist umstritten. Bei ihrem Kompositionslehrer Alexander Zemlinsky war sie jedenfalls schon leiblich zugange, ehe sie mit 22 Jahren den um 19 Jahre älteren Hofoperndirektor Gustav Mahler ehelichte. Nicht ohne sich parallel dem Architekten Walter Gropius zu verpflichten, den sie nach Mahlers Tod und einer zwischenzeitlichen Liaison mit dem aufstrebenden Maler Oskar Kokoschka heiratete und wieder verließ.

Ihr dritter Mann war der jüdische Schriftsteller Franz Werfel, dem sie nach einer aberwitzigen Flucht über die Pyrenäen ins amerikanische Exil folgte, wo sie als Salonière die Creme der Emigranten bewirtete. Mehr, darüber waren sich die meisten Biografen über lange Zeit einig, sei zu der Dame nicht zu bemerken.

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Mutter sein. Alma (Annette Dasch) wiegt ihre Tochter Anna (Annelie Sophie Müller)

 © Barbara Palffy/Volksoper

Alma und die veränderte Welt

Und jetzt diese Uraufführung! Als Lotte de Beer 2022 die Wiener Volksoper übernahm, verwies sie ihr israelischer Chefdirigent Omer Meir Wellber auf ein Opernprojekt seiner Landsmännin Ella Milch-Sheriff. Man sicherte sich die Uraufführung, „Alma“ gelangt am 26. Oktober in der Regie von Ruth Brauer-Kvam zur Premiere. Prominent ist nicht nur die Besetzung der Titelrolle mit Annette Dasch, sondern auch das Bühnenpersonal, das Mahler, Gropius, Werfel und Kokoschka mitsamt Almas fünf Kindern umfasst, unter ihnen das abgetriebene aus der Beziehung mit Kokoschka. Überlebt hat nur Gustav Mahlers Tochter Anna, die eine bedeutende Bildhauerin wurde.

Aber wie sich seit 2022 die Welt verändert hat! Vom Unmaßgeblichen (Meir Wellber hat das nächstbeste karrierebefördernde Angebot akzeptiert, leitet die Uraufführung aber trotzdem) bis zur aktuellen Kriegskatastrophe mitsamt dem aufschießenden Antisemitismus.

Der Reihe nach also beim Gespräch mit Ella Milch-Sheriff, 70, und dem betörenden Koboldwesen Ruth Brauer, 52, Tochter des großen jüdischen Malers Arik Brauer, der vielfach wissen ließ, die paar alten Nazis bereiteten ihm weniger Sorge als die importierten arabischen Judenhasser, die heute mit wirren Linken eine Allianz des Wahnsinns eingehen.

In ständiger Angst

Ruths ältere Geschwister, Timna und Talia, haben noch in Israel den Militärdienst geleistet, letztgenannte lebt mit ihrer Familie im bedrohten Land. „Wir sind“, sagt Ruth Brauer, „in ständigem Kontakt und beten und hoffen und bangen um jede Minute, die sie dort durchstehen müssen.“


Auch Ella Milch-Sheriff hat die beiden verpflichtenden Jahre beim Heer abgedient, rettete sich aber als Sängerin in die Truppenbetreuung. Und jetzt? Sind schon Angehörige von Freunden gefallen. Der sechzehnjährige Verwandte einer befreundeten Künstlerin wurde in der zweiten Tranche aus den Händen der Geiselnehmer befreit. „Aber“, sagt Ella Milch-Sheriff, „niemand kann sich vorstellen, was das bedeutet.“

Hätte sie gedacht, dass sie eine solche Situation der Bedrohung, jenseits aller Sicherheit, jemals erleben würde? Die filigrane Dame mit dem alterslosen Mädchengesicht richtet sich auf. „Welches Wort haben Sie benutzt? Sicherheit? Ich habe vergessen, was Sicherheit heißt, von Anfang an. Die Europäer unterschätzen, was es heißt, so zu leben.“ Ein Beispiel? „Als ich 1973 beim Militär war, hat gerade der Jom-Kippur-Krieg getobt. 35 Leute, die mit mir in die Schule gegangen waren, haben nicht überlebt. Israel“, fährt sie fort, „muss leider ein starkes Militär haben. Aber was wir damit machen, ist eine andere Geschichte.“

Die Welt in Wirrnis

Die heillos verzerrte Weltwahrnehmung versetzt sie in Ratlosigkeit. „Es gibt heutzutage eine Mischung aus Antisemitismus und Anti-Israelismus, die ich unbegreiflich finde. Ich bin gegen die israelische Regierung, obwohl ich in Israel geboren wurde und mein Land liebe. Was wegen dieser rechten Regierung passiert, ist nicht nur für mich, sondern die Hälfte der Bevölkerung eine Tragödie. Ich bin jüdisch, aber wie die meisten nicht religiös und gegen die Regierung. Bin ich deshalb eine Antisemitin?“

Und hier, im Land, in dem man sich als Jude nicht mehr sicher fühlen kann, obwohl nach Auschwitz Unmengen falscher Schwüre geleistet wurden? Ruth Brauer setzt auf die Strategien der Vernunft und der Beharrlichkeit. „Alles steht und fällt mit der Bildung, die das Letzte ist, woran wir sparen müssen und das, wo wir am meisten investieren müssen, als Demokratie und Gesellschaft. Ich glaube an zwei verpflichtende Kindergartenjahre, viel mehr Lehrpersonal, viel mehr Sozialarbeiter. Wir müssen diejenigen, die mit ihren Eltern gekommen sind, in den ersten vier Jahren in der Schule auffangen und ihnen sagen, was Demokratie, Antisemitismus, Feminismus ist.“

Und die linken Spießgesellen dieser Entwurzelten? „Es hat auch mit Instagram, Facebook und Twitter zu tun. Niemand redet mehr miteinander, es findet keine Diskussion mehr statt. Ein paar Sätze genügen, und man ist entwe-

Darf sich ein Land gegen einen Terror überfall mit 1.200 Toten nicht verteidigen? Muss man künftig mit einem Strauchdieb, der einen im Dunkeln überfällt, auch auf Augenhöhe verhandeln? „Aber wenn er Ihre Tochter kidnapped, verhandeln Sie doch mit ihm, oder nicht?“, erwidert Ella Milch-Sheriff sanft. Und Ruth Brauer fügt hinzu: „Der 7. Oktober war die perfekte, perfideste Falle. Es war alles geplant, auch im Libanon von der Hisbollah, wie sich jetzt herausstellt. Man hat dort Tunnel gefunden, die 20 Stockwerke in die Erde reichen, ein ganzes Hochhaus, gegraben an den Grenzen Israels, um Munition zu verstecken.“

Die Coda zum unseligen Thema skizziert die Komponistin, wer sonst? „Es muss den palästinensischen Staat geben, andererseits muss Israel die Garantie haben, in Sicherheit zu existieren, ohne dass jeden Moment wieder durch Tunnels Leute massakriert werden.“

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Alma, die Oper

Die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff und der Liberettist Ido Ricklin erzählen Almas Leben rückwärts. Im Dialog kommen einander Alma (Annette Dasch) und ihre und Gustav Mahlers Tochter Anna (Annelie Sophie Müller) endlich nahe. Auf der Bühne stehen auch Mahler, Kokoschka, Gropius und Werfel und Almas andere drei bzw. vier Kinder, die in frühem Alter starben: Manon Gropius, Werfels Sohn Martin, Gustav Mahlers Lieblingstochter Maria und Kokoschkas Ungeborenes, das Alma nicht zur Welt bringen wollte. Ruth Brauer-Kvam inszeniert.

Premiere am 26. Oktober.

www.volksoper.at

 © D´Ora Benda Atelier/ÖNB/Picturedesk.com

„Alma, größer als das Leben“

Um nun also endlich auf den Gegenstand des Gesprächs zu kommen: Was bringt Ella Milch-Sheriff und Alma Mahler zueinander? „Zu allererst interessieren mich für meine Opern Frauen, die größer als das Leben sind.“

War sie das wirklich? „Meiner Meinung nach ja. Sie war eine hoch talentierte, sehr junge Komponistin.“ Die Karriere endete, als Mahler von seiner Künftigen als Bedingung für die Eheschließung in einem seitenlangen Brief das Ende aller kompositorischen Ambitionen einforderte. Ella Milch-Sheriff verweist auf Beethoven, der seine „Erste“ im Alter von 30 schrieb, und auf Brahms, der damit noch ein Lebensjahrzehnt länger zuwartete. „Aber die arme Alma soll unwichtig sein, weil sie mit 22 aufhören musste? Sie hat sehr schöne, gute, besondere Lieder geschrieben. Aber dann kam Gustav der Große.“

Aber Mahler habe mit dem Ansinnen gekämpft, eine ganze Woche auf seinen Brief verwendet, wirft Ruth Brauer ein. „Natürlich ist das heute unglaublich, dass man sowas von einem Menschen verlangt, egal, ob er begabt ist oder nicht. Aber er schreibt auch, sie soll nicht zu schnell antworten und ehrlich mit sich sein.“

Da stimmt ihr Ella Milch-Sheriff halb zu: „Komponist zu sein, ist keine Demokratie, sondern eine Diktatur. Komponieren ist völlige Einsamkeit. Und Mahler hat verstanden, dass es für ihn als Komponisten, Dirigenten und Mann unmöglich ist, mit einer Komponistin zusammenzuleben.“

Der mächtige Partner

Sie selbst, leitet sie sachte zur autobiografischen Komponente des Werks über, habe diesen Konflikt bis zum Tod ihres zweiten Mannes gelebt: Der 2018 verstorbene Komponist und Dirigent Noam Sheriff, Vater der beiden jetzt erwachsenen Söhne, wurde in Israel wie ein Pop-Star gefeiert. „Mein Mann war 20 Jahre älter, als ich ihn getroffen habe, so wie damals Mahler. Ich fühlte mich paralysiert, mit so einem großen Musiker zusammenzuleben. Ich konnte fast nicht komponieren, meine eigene Selbstkritik hat mich gehindert. Aber hätte er verlangt, dass ich aufgebe – hätte ich es getan? Nein, auch nicht für die große Liebe, die wir hatten.“

Um die Kunst, die Alma Mahler aufgeben musste, gehe es nun in der Oper: „Deshalb konnte sie vielleicht nicht wirklich lieben und Kinder erziehen. Sie hat das wie Gift in ihrem Blut gespürt.“

Und deshalb, ergänzt Ruth Brauer, selbst Mutter zweier Kinder aus der Ehe mit dem sanften norwegischen Musiker Kyrre Kvam, würden die Ereignisse in der Oper auch von hinten aufgerollt: im Dialog mit der Tochter Anna Mahler, die nach Jahren gegenseitiger Hassliebe begreifen lernt, was die Mutter (im Doppelsinn) getrieben hat. „Egal, ob man hochbegabt ist oder begabt oder minderbegabt, wenn man die eigene Kreativität nicht auslebt, dann kann es mächtig schiefgehen.“ Anna wurde eine bedeutende Bildhauerin. Sie war fünf Mal verheiratet und pflegte eine Affäre mit dem austrofaschistischen Kanzler Schuschnigg, der 1938 vor Hitler zurückweichen musste. Welch ein Schicksal, befeuert von Genetik und Epigenetik!

Promi-Sammlerin Alma

Und Almas Bild als besessene Zelebritätensammlerin? Ella Milch-Sheriff: „Sie war nicht nur selbst sehr charismatisch, es hat auch mit ihrem biologischen Vater begonnen. Der war ein großer Maler. Von ihm hat sie gelernt, was Schönheit ist und wie man an etwas arbeiten muss, um ein großes, ernsthaftes Kunstwerk zu schaffen. Und sie war gebildet, obwohl sie nie in der Schule war.“

Alles gab Alma für ihre Kunst- und Künstlerversessenheit drein. Sie war Antisemitin und heiratete die Juden Gustav Mahler und Franz Werfel. Ihr Stiefvater, der Maler Carl Moll, war ein solcher Nazi, dass er sich 1945 mitsamt seiner Familie umbrachte. Aber sie folgte dem unansehnlichen Werfel ohne Not in die Emigration, nachdem sie ihn vor der Eheschließung zum Austritt aus der Kultusgemeinde gezwungen hatte. Dass er drei Wochen später ohne ihr Wissen wieder beitrat, ist eine Pointe wie jener Teil seines Schaffens, der einem triefenden Katholizismus verpflichtet ist.

Die allerletzte Pointe? In Ella Milch-Sheriffs Oper erklingt kein Takt aus Alma Mahlers Kompositionen, die Rechtesituation steht dagegen.

Aber ein Hauch Gustav Mahler wird von Kundigen als Zitat identifizierbar sein. Präziser könnte das Lebensverhängnis der Alma Mahler nicht in Töne gefasst werden.

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