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Klaus Albrecht Schröder: „Man muss nicht eine Persönlichkeit sein, vor der man in die Knie geht“

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Nach einem Vierteljahrhundert ist mit Jahresende Schluss. Museumsdirektor Klaus Albrecht Schröder übergibt die Leitung der Albertina an seinen Nachfolger. Ein großes Abschiedsgespräch über kulturelles Erbe und die Verantwortung der Kunst, über bescheidenen Stolz, große Visionen und die Kunst des Führens

Herr Schröder, wie würden Sie die Albertina einem Kunst-Laien in einem Satz beschreiben?

Das ist ein Museum, das sechs Jahrhunderte Kunstgeschichte von Dürer und Michelangelo über Picasso und Chagall bis zur Gegenwart abdeckt und das die Bahnbrecher der Kunstgeschichte sowohl in seiner Sammlung wie auch in seinen Ausstellungen repräsentieren kann.

Was ist Ihr teuerstes Kunststück?

Das gibt es nicht. Es gibt Personen, die mir am teuersten ist, aber es gibt nicht das teuerste Kunstwerk – weder in der Albertina noch für mich.

Und diese Personen sind wer?

Meine Frau und mein Sohn. Aber ich behaupte gar nicht, dass wir nicht sehr viele Kunstwerke haben, die jenseits der 25, 50 oder 100 Millionen Euro sind. Ein Modigliani kostet heute über 100 Millionen Euro. Wir haben Gemälde, die diese Grenze mehrmals sprengen. Aber ich möchte mich auf die Debatte des pekuniären Werts einer Kunstsammlung gar nicht einlassen, weil das wichtigste Kriterium von Kunst ist, ob sie ihre Wirkung entfalten kann und welche Relevanz sie für die Besucher hat. Meine Aufgabe ist es, ein Programm zu machen, das der Gesellschaft die Antworten auf Fragen gibt, die sie nie gestellt haben.

Geben Sie uns eine Antwort auf eine Frage, die wir nicht gestellt haben.

Habe ich die Albertina verändert oder habe ich ein neues Museum gegründet? Wahrscheinlich wird man sagen können, dass ich anfangs, vor 25 Jahren, der 15. Direktor in der Geschichte der Albertina war, und ab 2007 der erste Direktor der neuen Albertina wurde. Ein Direktor, der aus dem alten Haus nur zwei Dinge übernommen hat: die Hülle und die Grafische Sammlung, die vollkommen in die neue Albertina integriert ist. Ansonsten ist das ein neues Museum, das die Republik Österreich erhalten hat, mit einem Sammlungszuwachs im Wert von zwei Milliarden Euro und mit einer der größten Sammlungen für zeitgenössische Kunst.

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Sie haben seinerzeit das berühmteste Graphische Kabinett aller Zeiten massiv verändert ...

Das war für die Graphische Sammlung die einzige Überlebenschance. Das Publikum hatte das Vertrauen in die Albertina verloren. In den letzten 20 Jahren vor meiner Direktion lagen die Besucherzahlen zwischen 7.000 und 15.000. Mir wäre es lieber gewesen, ich hätte ein perfekt aufgestelltes Museum übernehmen und mich durch das Ausstellungs- und Forschungsprogramm von den Vorgängern unterscheiden können. Aber wir mussten etwas vollkommen Neues machen, um der Zeichnung wieder Gewicht zu verleihen. Wir haben die Zeichnung und Druckgrafik nicht mehr von anderen Kunstgattungen isoliert. Ab dem Augenblick, so klein dieser Schritt im Rückblick erscheinen mag, habe ich dieses Konzept nur mehr in alle möglichen Formen ausdekliniert. Dazu gehörte auch, die Sammlungen selbst zu diversifizieren und neue Sammlungen wie etwa die Fotosammlung oder jene der internationalen Moderne zu gründen.

Sie haben aus 7.000 jährlichen Besuchern 1,3 Millionen Besucher gemacht. Wie?

Mein erstes Budget habe ich auf der Basis einer Prognose von 350.000 Besuchern erstellt. Das ist vom Ministerium vorerst nicht akzeptiert worden, weil als illusionär eingeschätzt, auch noch zu einem Zeitpunkt, zu dem wir bereits 500.000 Besucher hatten. Diese Unterschätzung hat mich jahrelang begleitet. Na ja, jetzt hat er Munch und Dürer gemacht, jetzt ist es aus. Im Jahr darauf: Na ja, jetzt hat er Rembrandt und Rubens gemacht, aber jetzt ist es aus. Michelangelo und Raphael, aber jetzt ist es aus. Dieses „jetzt ist es aus“ hat jahrelang gedauert.

Man kann keinen Künstler „machen“. Eine Ausstellung in der Albertina und man wird berühmt? Einmal ein hoher Preis bei Sotheby’s und man wird berühmt? In Wahrheit ist das ein komplexes Netz, das man kaum steuern kann.

Klaus Albrecht Schröder

Gab es Schattenseiten des Erfolgs?

Die Schattenseiten und Tiefschläge waren Episoden, ohne nachhaltige Wirkung. Nachhaltig ist die Gründung neuer Sammlungen, die Gründung neuer Standorte, der Ausbau von 2.000 auf 35.000 Quadratmetern, die Bilanzsumme von 70.000 Euro auf 135 Millionen Euro zu steigern und die Sammlung um zwei Milliarden Euro an Wert zu vermehren.

Wie viel mehr Geld hat man plötzlich mehr übrig – etwa für Zukäufe?

Die Sammlungsankäufe sind gemessen an den Schenkungen sekundär. Aber die Stiftungen und Schenkungen, die der Albertina durch den großen Erfolg zugute gekommen sind, zählen und machen den Unterschied. Unser zweckgewidmetes Ankaufsbudget beträgt 70.000 Euro. Ein wichtiger Basquiat kostet 180 Millionen Euro. Es ist klar, dass man andere Wege gehen muss, um die Sammlung zu erweitern: Sammlungen wachsen nur durch Sammlungen. Das war meine Strategie. Der erste, wichtige Höhepunkt war 2007 die Übergabe der Sammlung Batliner an die Albertina.

Worauf sind Sie am meisten stolz?

Es ist augenscheinlich, dass unser Palais nicht als Museum errichtet worden ist: Es war die Residenz der Oberkommandierenden der Habsburgischen Armee. 1919 hat der letzte hier residierende Habsburger, Erzherzog Friedrich, alles Bewegliche mitgenommen. Mit Ausnahme der Graphischen Sammlung. Die wurde verstaatlicht. Dieses besenreine Palais ist in den nächsten acht Jahrzehnten devastiert worden durch verschiedenste Nutzungen. Das Museum und die Prunkräume zu renovieren und die Fassaden zu rekonstruieren, dem Palais eine historische Würde als Erinnerungsort der Geschichte wiedergegeben zu haben, das ist etwas, worauf wir alle stolz sein können.

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Welche Rolle spielt die Albertina im Konzert der großen Museen?

Das ist eine interessante Frage. In den letzten 10, 15 Jahren hat sich das Verständnis eines Museums grundlegend verändert, mehr als in den 250 Jahren davor. Jahrhundertelang hat der künstlerische Kanon und die Menge der ihn repräsentierenden Werke den Rang eines Museums definiert. Der Kanon war naturgemäß eurozentrisch, weiß und männlich. Alle, die wir einen großen Künstler nennen – Leonardo, Raphael, Michelangelo bis zu Picasso, Schiele, Klimt, Kokoschka oder Warhol – sind eurozentrisch. Wo bleibt der Beitrag Afrikas? Asiens? Wo war 250 Jahre lang Amerika? Die Globalisierung der Kunst übt einen so enormen Druck aus, dass diese Gegenwart alles andere bis auf Ausnahmen verdrängt. Die Besucher zur Kunst des 19. Jahrhunderts sterben mit der Sterberate aus. Ich will das nicht beklagen, denn wenn eine Epoche an Relevanz verliert, tritt anderes an seine Stelle. Wir haben über 50 Ausstellungen in der Albertina gezeigt, mit 300.000 bis 500.000 Besuchern. Das geht nur mehr in einer Kultur-Metropole. Das Museums-Ranking – wo steht der Louvre und wo die Uffizien – hat mit der Veränderung des Kanons abgedankt. Es geht viel mehr um die Frage, wie man seinem Publikum dient. Wer hätte vor 30 Jahren Künstler gekauft, die jünger als 70 Jahre sind? Heute werde ich angerufen: Hast du den oder die schon? Nein? Die musst du nehmen, die ist schon 28 und wird von Rubell, Pinault oder Arnault gesammelt. Es gibt jetzt ganz andere Kriterien, die über den Rang eines Museums entscheiden: Relevanz, Aktualität, Brisanz.

Apropos Sein: Wie macht man einen Künstler?

Man macht ihn nicht. Man kann keinen Künstler „machen“. Eine Ausstellung in der Albertina und man wird berühmt? Einmal ein hoher Preis bei Sotheby’s und man wird berühmt? In Wahrheit ist das ein komplexes Netz, das man kaum steuern kann. Aber man kann einen Künstler für Wimpernschläge der Geschichte unterstützen. In Summe reagiert dieses informelle Netz an Kunstinteressierten auf all diese Bewegungen. Eine Präsentation in einem Museum ist nicht für sich genommen ein Preistreiber. Museen sind daher auch keine Durchlauferhitzer für Wertsteigerungen.

Thaddaeus Ropac, österreichischer Galerist mit weltweit anerkannter Bedeutung, sagt das Gegenteil. Es tut dem Künstler gut, wenn er ihn in einem großen Museum platziert.

Das bestreite ich nicht! Aber das ist eben nur ein Pfeiler. Dieses Gebäude, das einem Künstler den Rang eines Gerhard Richter oder Maria Lassnig verleiht, steht nicht auf zwei oder drei Säulen: es steht auf 50 Pfeilern – Galerien, Museen, Sammlern, Auktionshäusern, Kritikern usw. Früher habe ich geglaubt, dass die großen Auktionshäuser den pekuniären Wert dominieren. Tatsächlich spielen wir alle zusammen und am Ende des Tages ist das eine Abstimmung mit den Füßen, hoffentlich auch mit den Augen und den Köpfen, wenn uns ein Künstler etwas sagt und uns bewegt.

Ich halte Eitelkeit für ein Defizit und Selbstdarstellung für schädigend.

Klaus Albrecht Schröder

Sie haben die Mitarbeiterzahl von 60 auf 360 erhöht. Was macht Ihren Führungsstil aus?

Es darf keine Blame-Kultur geben. Man darf nie Schuldige suchen, sondern nur Fehler, um diese zukünftig vermeiden zu können. Man kann ein Unternehmen nie gegen seine Mitarbeiter führen. Man muss eine klare Vision, ein klares Ziel haben, klare Aufgaben geben und die finanziellen und personellen Ressourcen richtig allozieren. Nur dann holen Sie das Beste raus.

Sie haben nie gebrüllt?

Das liegt mir nicht. Dass ich dezidiert sein kann, ist keine Frage. Dass ich einen Fehler anspreche, ist auch keine Frage. Aber nie, um einen Schuldigen zu identifizieren, sondern um den Fehler zu identifizieren. Habe ich vielleicht ein-, zweimal etwas gesagt, das mir im Nachhinein leidtut? Vermutlich. Das tut mir leid!

Die Albertina Modern ist gesichert?

Ja. Wir sind dort Mieter. Unbefristet.

Was ist mit Haselsteiner?

Hans Peter Haselsteiner ist einer der wichtigsten Mäzenen in Österreich. Er hat erkannt, dass die Rettung der Sammlung Essl vor ihrer Zerstreuung durch Verkauf entscheidend ist. Mir ist das seit 2014, als ich einen Sammlerkäufer gesucht habe, nicht gelungen. Mir ist es vor allem nicht gelungen, die Republik Österreich dazu zu bringen, 120 Millionen für eine Sammlung zu bezahlen, die ein Vielfaches davon an Wert repräsentiert.

Das Essl-Museum in Klosterneuburg bleibt?

Ja. Das ist eine Immobilie, die wir seit 2017 unbefristet gemietet haben und bei der Dr. Haselsteiner als Eigentümer sehr geholfen hat. In Klosterneuburg präsentieren wir direkt aus dem Depot heraus unsere Bestände.

Was sagen Sie zu Gottfried Helnwein. Er sollte ein Museum bekommen ...

Helnwein ist nicht nur ein von mir bewunderter Künstler, den ich zweimal mit großem Erfolg gezeigt habe, sondern auch ein Freund und ich wünsche, dass alle seine Träume in Erfüllung gehen. Aber es nicht die Aufgabe des Generaldirektors der Albertina, die Pläne von Künstlern zu Ende zu denken.

Welche Pläne haben Sie?

Es haben mich zwei Universitäten in Österreich kontaktiert, ob ich bereit wäre zu unterrichten. Und ich wurde von Sammlern gefragt, ob ich sie beraten würde.

Aber wenn man quasi zum Inventar der Albertina gehört und aufhört. Was macht das mit einem?

Ich gehöre nicht zum Inventar der Albertina. Die Rolle, die ein Direktor spielt, ist zeitlich begrenzt. Ich bin mir dieser Relativität bewusst. Dass ich nach über einem Vierteljahrhundert mit der Albertina identifiziert werde, liegt in der Natur der Sache und will ich gar nicht kleinreden. Es wäre erstaunlich, wenn es anders wäre bei dem, was da an Änderungen passiert ist. Aber das wird in 20 Jahren vergessen sein, weil die späteren Generationen mich nicht mehr kennen. Ich höre oft: Was Sie für Ausstellungen gemacht haben! Van Gogh, Matisse, Michelangelo, Monet! Ja, das waren Riesenerfolge. Aber Ausstellungen sind flüchtig. Die Öffentlichkeit bestaunt nicht den Erhalt der Prunkräume, die Errichtung moderner Depots, das Aufstocken des Personals oder die Digitalisierung der Sammlungen. Sie bewundert bahnbrechende Retrospektiven. Ich habe meinen Frieden mit dieser einseitigen Betrachtung meiner Direktion gemacht.

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Die Rolle, die ein Direktor spielt, ist zeitlich begrenzt. Ich bin mir dieser Relativität bewusst.

Klaus Albrecht Schröder

Wie gefällt Ihnen die mediale Zuschreibung, sie seien der Sonnenkönig der Museumslandschaft?

Diese Charakterisierung finde ich dumm. Eher würde ich mich als einen verzopften Bildungsbürger schimpfen lassen.

Wie viel Selbstdarstellung braucht man in Ihrem Job?

Überhaupt keine. Man muss kunsthistorisch firm sein, eine Vision für das Museum und ein Gefühl für die Besucher haben. Und man muss ein Unternehmen führen können und führen wollen. Aber man muss nicht eine Persönlichkeit sein, vor der man in die Knie geht.

Nichtsdestotrotz gelten Sie als eitler Mensch.

Bin ich aber nicht. Ist mir auch egal, wenn man das denkt. Ich halte Eitelkeit für ein Defizit und Selbstdarstellung für schädigend. Ich mache das, was für die Gesellschaft wichtig ist und nicht das, was mir wichtig erscheint.

Wie wichtig ist Ihnen das Urteil der Branchenkollegen?

Die Selbstüberbietung vor der eigenen Branche ist nirgendwo eine so große Versuchung wie in der Kunst. Darüber verfehlt man leicht die Besucher und die Kunst.

Wie umfassend ist ihre private Kunstsammlung?

Ich habe keine Kunstsammlung, aber ich besitze Kunstwerke von Freunden, die ich auch als Künstler sehr bewundere. Aber es lohnt nicht, bei mir einzubrechen.

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