Soziale Netzwerke haben eine neue Ära visueller Selbstdarstellung eingeläutet. Glatte Haut, symmetrische Gesichtszüge, vollere Lippen: Mit nur wenigen Klicks kann das eigene Gesicht perfektioniert werden. Mit der Realität hat das meist wenig zu tun. Warum immer mehr Menschen einem digitalen Ideal nacheifern
In den letzten Jahren ist die Zahl der Schönheitsoperationen weltweit stark angestiegen, wie eine Analyse der International Society of Aesthetic Plastic Surgery (ISAPS) aufzeigt. Immer mehr Menschen entscheiden sich für Schönheits-OPs: Heute werden fast 20 Millionen operative Eingriffe mehr durchgeführt als noch im Jahr 2010. Das entspricht einem Anstieg von 140 Prozent. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich minimal- oder nicht-invasive Eingriffe, wie Botox, Filler oder Lippenunterspritzungen.
Filter als Schönheitsideal
Aber auch umfangreichere Eingriffe werden immer beliebter: Beim „Mommy Makeover“ werden beispielsweise Eingriffe an Brust, Bauch, Hüfte und Po kombiniert. Solche Eingriffe kosten zehntausende Euros und sind auch nicht gänzlich komplikationsfrei. Ein Risiko, das viele Patientinnen dennoch auf sich nehmen. Oft steckt hinter dem Wunsch, einem Ideal zu gleichen, auch gar kein besonders großer Leidensdruck, sondern die problematische Vorbildwirkung vieler Stars und Influencer auf Social Platforms, wie Instagram oder TikTok: Zahlreiche Studien belegen, dass der regelmäßige Konsum von gefilterten Fotos und Videos zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung führen kann. Forscher sprechen sogar schon von „Selfie-Krankheiten“.
Eine Untersuchung der Boston University School of Medicine hat dieses Phänomen „Snapchat-Dysmorphie“ genannt. Dabei handelt es sich um eine Form der Körperdysmorphophobie, bei der Betroffene eine stark verzerrte Körperwahrnehmung haben und ihr reales Aussehen immer mehr an ihr gefiltertes Abbild anpassen wollen. Diese Dysmorphie treibt viele (vor allem junge Menschen) dazu, sich tatsächlich unters Messer zu legen, um das perfekt gefilterte Gesicht aus den Apps auch im Spiegel betrachten zu können.
Schönheitschirurgen warnen
Selbst Schönheitschirurgen sehen in Social Media realistische Gefahren für Patienten. Vor allem dann, wenn Risiken verschleiert oder falsche Vorstellungen geschürt werden. „Jeder Körper ist unterschiedlich. Und es ist wichtig, dass Patienten das verstehen. Menschen sind Individuen und keine exakt symmetrischen Figuren, und während bei einer Patientin größere Lippen toll aussehen, kann es sein, dass sie bei einer anderen Lippenform gar nicht so gut passen“, so Jennifer Kager, die auf ästhetische Medizin und Chirurgie spezialisiert ist.
Wer sich zu sehr von Social Media Filtern inspirieren lässt, läuft Gefahr, enttäuscht zu werden. „Auch wir als Fachärzte müssen filtern: Was ist machbar, was ist sinnvoll und womit können wir dem Patienten nachhaltig helfen? Als Ärztin kann ich nur mit der jeweiligen Anatomie arbeiten, und es gibt Fälle, in denen gewisse Vorstellungen vom Machbaren abweichen, weil die Anatomie das einfach nicht hergibt“, so die Fachärztin. „Wir wollen Menschen nicht verändern, sondern ihre Vorzüge unterstreichen. Gesundheit, Wohlbefinden sowie Natürlichkeit haben oberste Priorität. Bei bestimmten Beauty-Trends sagen wir deshalb im Vorhinein, dass wir diese nicht durchführen, weil wir davon nicht überzeugt sind. Das ‚Brazilian Butt Lift‘ wäre so ein Beispiel. Aufklärung und gute Beratung sind bei ästhetischen Eingriffen essenziell.“
Sich selbst hinterfragen
Wer einfach die lästige Zornesfalte loswerden möchte, kann guten Gewissens zum Beauty Doc gehen. All jenen, die einem KI-generierten Ideal gleichen wollen, täten aber gut daran, das eigene Bild von Perfektion zu überdenken, bevor der Wunsch nach Vollkommenheit gesundheitsschädigend wird. Oder: Social Media Nutzung drastisch reduzieren.
Snapchat-Dysmorphie
Über die "Selfie-Krankheit"
Dabei handelt es sich um eine verstärkte Ausprägung der Dysmorphophobie, bei der die Wahrnehmung des eigenen Körpers verzerrt ist. Betroffene empfinden dabei bestimmte Merkmale ihres Körpers als unschön oder belastend. Der Boston University School of Medicine zufolge sind etwa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 40/2024 erschienen.