Freche Widerworte, Stimmungsschwankungen und Wutanfälle aus kleinsten Anlässen - willkommen in der Wackelzahnpubertät. So nennt man die Phase, die fünf- bis sechsjährige Kinder durchleben. Die ersten Milchzähne fallen aus, es kommt zu körperlichen Veränderungen und eben auch zu einem geistigen Entwicklungsschub. Welche Anzeichen typisch für diese Phase sind und wie man mit den Herausforderungen am besten umgeht.
„Wackeln die Zähne, wackelt auch die Seele“, so definieren Pädagog:innen die als Wackelzahnpubertät bezeichnete Phase, die oftmals schon im Vorschulalter beginnt und bis in das Grundschulalter hinein andauern kann. Selbst wenn das Wort niedlich und eher harmlos klingt, Kinder und Eltern gehen in diesem Entwicklungsabschnitt durch eine anstrengende, von Wutausbrüchen, Stimmungsschwankungen und Trotzphasen geprägte Zeit.
Da braucht es von beiden Seiten starke Nerven und vor allem Geduld. Und auch Verständnis für all die überfordernden Eindrücke, die kurz vor dem Schuleintritt auf das Kind einprasseln. Hier eine psychologische Erklärung für das Phänomen der Wackelzahnpubertät sowie wertvolle Tipps für den richtigen, deeskalierenden Umgang mit dem Kind.
Was ist die Wackelzahnpubertät?
Die „Trotzphase“ oder Autonomiephase im Kleinkindalter ist gerade überstanden. Die Familie schnauft durch und erfreut sich an einem leichteren Leben, da fängt der Nachwuchs mit den ersten ausfallenden Milchzähnen wieder an zu „trotzen“. Die Wörter „Trotzphase“ und „trotzen“ stehen hier in Anführungszeichen, weil ihr negativer Beigeschmack diesen wichtigen Entwicklungsschritten im Leben eines Kindergarten- und Vorschulkindes nicht gerecht wird. Pädagog:innen sprechen daher eher von einer ersten und zweiten Autonomiephase - denn genau darum geht es sowohl in der „Trotzphase“ als auch in der sogenannten Wackelzahnpubertät. Die Kinder wollen nicht etwa ihre Eltern ärgern, sondern unternehmen lebenswichtige Schritte zu einer Loslösung: Der Nachwuchs wird größer und damit selbstständiger.
Kinder wollen nun mehr alleine machen, mehr bestimmen dürfen. Dabei handelt es sich um übliche psychologische Phasen, die Kinder auf ihrem Weg zum erwachsenen Menschen durchlaufen.
Den Kindern machen ihre Wünsche wie auch die Anforderungen, die die Umwelt nun an sie stellt, Angst. Sie schwanken zwischen dem Wunsch nach einer engen Bindung wie im Kleinkindalter und ihrer Sehnsucht danach, als „groß“ wahrgenommen zu werden. Die für die Wackelzahnpubertät typischen Verhaltensweisen erwachsen aus genau diesem Zwiespalt. Für Kinder wie für ihre Eltern ist dies keine einfache Zeit. Aber mit dem Wissen um die psychologischen Vorgänge und richtige Verhaltensweisen können beide Seiten gut und mit einer gestärkten Beziehung aus dieser Sturm- und Drangzeit hervorgehen.
Welche Kennzeichen sind typisch für diese Entwicklungsphase?
In der Wackelzahnpubertät macht das Kind Veränderungen durch, die sich in Stimmungsschwankungen oder plötzlichen Wutausbrüchen äußern können. Die psychischen Auswirkungen entstammen einer Unfähigkeit, die eigenen Emotionen zu regulieren: Das Kind muss erst lernen, mit seinen Gefühlen richtig umzugehen.
Zudem vollzieht sich eine körperliche Entwicklung, die aus dem niedlichen Kleinkind mit den charakteristischen kindlichen Proportionen und Gesichtszügen ein augenscheinlich „erwachseneres“ Kind machen. Das Kindchenschema mit den kurzen Gliedmaßen, den rundlichen Körperformen und den großen Augen verschwindet allmählich. Stattdessen machen viele Kinder nun einen kräftigen Wachstumsschub durch, die Glieder werden länger und die Gesichtszüge markanter.
Wackelzahn-Pubertät: Gelassen durch die 6-Jahres-Phase. Der praktische Elternratgeber.
Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr, denn das Kindchenschema dient evolutionär vor allem dazu, den Brutpflegetrieb bei Erwachsenen auszulösen. Kurz gesagt: Das Baby mit seinen süßen Körperzügen soll Erwachsene dazu bringen, sich aufopfernd um es zu kümmern. Dieses Verhalten ist für Babys und Kleinkinder überlebenswichtig – für die deutlich selbstständiger werdenden Vorschul- und Schulkinder nicht mehr ganz so sehr.
Das charakteristische Merkmal der Wackelzahnpubertät ist der namensgebende Ausfall der ersten Milchzähne. Doch Vorsicht: Die ersten Anzeichen dieser Phase können schon weit vor dem ersten Wackelzahn auftreten.
Wie lange dauert sie?
Die Wackelzahnpubertät wird auch als Sechs-Jahres-Krise bezeichnet. Die meisten Kinder durchlaufen sie in einem Alter zwischen fünf und sieben Jahren, allerdings sind diese Angaben nicht in Stein gemeißelt. Die Entwicklung verläuft individuell sehr verschieden, so zeigen manche Kinder bereits mit vier Jahren die charakteristischen Kennzeichen. Andere hingegen brauchen etwas mehr Zeit und durchlaufen diesen Entwicklungsschritt erst mit etwa sechs Jahren.
Mit spätestens acht Jahren ist die Wackelzahnpubertät jedoch meist abgeschlossen. Kinder und Eltern haben bis zu diesem Zeitpunkt gelernt, sich auf die neue Situation einzustellen und können adäquat mit den neuen Fähigkeiten und Anforderungen umgehen. Üblicherweise haben Kinder bis zu einem Alter von acht Jahren zudem gelernt, mit Gefühlen wie Wut, Ohnmacht und Angst richtig umzugehen. Dabei brauchen sie jedoch viel Unterstützung durch ihre Eltern und andere Bezugspersonen.
Wichtig:
Dauer und Ausprägung der Wackelzahnpubertät zeigen sich individuell sehr verschieden. Manche Kinder werden in dieser Phase als sehr anstrengend wahrgenommen, während ein anderes sie scheinbar problemlos durchläuft.
Was löst die Wackelzahnpubertät aus?
Bei der Wackelzahnpubertät handelt es sich übrigens nicht um eine Pubertät, denn diese wird durch Hormone im jugendlichen Alter ausgelöst. Hormone sind für die Sechs-Jahres-Krise allerdings meist nicht hauptverantwortlich. Stattdessen handelt es sich um eine durch körperliche Veränderungen begleitete psychische Entwicklung des Kindes. Symptome sind beispielsweise:
Das Kind wirkt launisch und ist reizbar.
Es macht häufig einen traurigen oder bedrückten Eindruck.
Es fordert vehement ein, eigene Entscheidungen zu treffen.
Es möchte viele Dinge nun allein und ohne Hilfe tun.
Zugleich fordert es aber vermehrt die Hilfe und Unterstützung der Eltern ein.
Typischerweise kommen viele Kinder nun nachts wieder mit ins Elternbett und/oder beginnen, einzunässen – selbst, wenn sie schon lange allein in ihren Kinderzimmern schliefen und/oder trocken waren. Geben Sie Ihrem Kind die Nähe, die es nun braucht. Nach einer Weile – spätestens, wenn die Wackelzahnpubertät abgeschlossen ist – schläft es wieder in seinem eigenen Bett und wird wieder rechtzeitig auf die Toilette gehen.
Diese sich widersprechenden Verhaltensweisen zeigen sehr deutlich, in welchem Zwiespalt das Kind steckt: Einerseits möchte es als „groß“ wahrgenommen werden, andererseits machen ihm die (anstehenden) Veränderungen wie beispielsweise der Schuleintritt schlicht Angst. Mit einer einfühlsamen und bindungsorientierten Begleitung durch die Eltern und andere Bezugspersonen kommt das Kind jedoch gut durch diese Phase und lernt, seine Angst zu überwinden, mit seinen Gefühlen umzugehen und mehr Selbstvertrauen in seine Eigenständigkeit zu entwickeln.
Ein wichtiger Hinweis ist: So mancher Erwachsener befeuert die Angstgefühle noch, indem ständig betont wird, wie „groß“ und selbstständig das Kind doch jetzt sei. Deshalb ist wichtig, das Kind nicht zu überfordern – dies kann die Unsicherheit und Ambivalenz dieser Lebensphase nebst den unangenehmen Begleiterscheinungen noch verstärken.
Wie meistern Eltern diese Phase am besten?
Steckt das Kind in der „Krise“, ist das auch für Eltern eine Herausforderung, schließlich müssen diese nun oft als Prellbock für die eigenen Kinder herhalten. Dabei ist es beruhigend, zu wissen: Es ist ein gutes Zeichen, wenn ein Kind sich im Kindergarten oder in der Schule „benimmt“ und nur zu Hause ausflippt. Das bedeutet, dass der Nachwuchs den Eltern vertraut und deshalb seinen über den Tag angesammelten Frust daheim abladen kann. Deshalb gilt für Eltern: Wutanfälle und Beleidigungen möglichst nicht persönlich nehmen, auch wenn das mitunter schwer fällt. Das bedeutet allerdings nicht, dass man sich von seinem Kind alles bieten lassen soll.
Hier einige Tipps für den Umgang mit Wutanfällen:
Nicht unmittelbar auf Beleidigungen und Wutanfälle reagieren – das Kind wütend sein lassen.
Nicht zurückschreien.
Ruhig bleiben und nach einer Abkühlphase herausfinden, was das Kind braucht, um wieder in die „Spur“ zu finden.
Manche Kinder beruhigen sich in einer Kuscheleinheit, andere müssen erst einmal alleine sein.
Mit dem Kind ruhig sprechen, wenn es sich wieder beruhigt hat. Erst dann ist es zugänglich für vernünftige Gespräche und Argumente.
Mögliche Formulierungen, die dabei dem Kind helfen können: „Ich verstehe, dass es heute ein anstrengender Tag für dich war. Außerdem war es doof, dass Jonas heute lieber mit Leon anstatt mit dir gespielt hat. Morgen ist wieder ein neuer Tag! Ich verstehe auch, dass ich vorhin für dich die „blöde Mama“ war. Mir hat das aber wehgetan, als du das gesagt hast.“ Auf diese Weise wird dem Kind signalisiert, dass die Sorgen und Nöte nachvollzogen werden können. Zugleich werden aber wichtige Grenzen gesetzt.
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Tipps zum Umgang mit der Wackelzahnpubertät
Das Kind und seine Gefühle ernst nehmen:
Auch wenn der Auslöser des Wutanfalls oder der Traurigkeit in den Augen der Eltern banal erscheint: Die Gefühle des Kindes sollten ernst genommen werden und man sollte gemeinsam nach Lösungen suchen.Geduldig sein: Geduld zu zeigen ist nicht einfach. Die besten Eltern haben einmal einen schlechten Tag und schreien zurück. Wichtig ist jedoch, dass Eltern zeigen, dass sie sich um Verständnis und Ruhe bemühen. Sollte dennoch ein „Ausrutschter“ passieren und Eltern das Kind anschreien: Eine Entschuldigung zeigt, dass auch Eltern nicht perfekt sind – und stellt das Vertrauen wieder her.
Dem Kind mehr Selbstständigkeit zutrauen: Alleine auf dem Hof spielen oder sonntags Brot vom Bäcker holen? Die Gurken fürs Abendessen mit dem Messer schneiden? Kindern sollte so viel Eigenständigkeit wie möglich zugesprochen werden. Nur so entwickelt es ein gesundes Selbstbewusstsein und Vertrauen in seine Fähigkeiten.
Bewegung sorgt für Ausgleich: Gerade Erst- und Zweitklässler leiden unter dem ständigen Stillsitzen in der Schule. Körperlicher Ausgleich ermöglicht den Abbau von Frust und Stress, beispielsweise durch aktive Spielplatzbesuche am Nachmittag, durch Fußball spielen oder andere Sportarten.
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Das Fazit lautet: Die Wackelzahnpubertät ist eine herausfordernde Zeit im Leben eines Kindes und seiner Familie. Die körperlichen Veränderungen gehen einher mit psychischen Auswirkungen - es wird selbstständiger und löst sich allmählich von seinen Eltern. Dieser Autonomieprozess macht Kindern auch Angst, weshalb sie unausgeglichen sind und Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle zu kontrollieren. Eltern brauchen viel Geduld, Verständnis und sollten den Mut aufbringen, ihren Kindern so viel Eigenständigkeit zuzutrauen wie möglich.
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