Über 1,2 Millionen der Österreicher sind nikotinsüchtig. 835.000 leiden an Kaufsucht und immerhin 370.000 sind alkoholabhängig, wie das "Institut Suchtprävention" berichtet. Wie aber kommt es zur Sucht? Und warum kann man Sucht auch als Chance sehen? News.at fragte nach.
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So viel steht fest: Ein Sucht-Gen gibt es nicht. Mit anderen Worten: Sucht ist weder erblich bedingt noch auf eine andere Art und Weise körperlich veranlagt. Sucht lässt sich auch nicht an bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen festmachen. Prof. Dominik Batthyany, Leiter des Instituts für Verhaltenssüchte an der Wiener Sigmund Freud Privatuniversität, beschreibt Sucht als ein Problemlöseverhalten, eine Art Krücke. "Menschen werden suchtkrank, weil sie merken, dass ihnen ein gewisses Verhalten oder eine gewisse Substanz im Leben hilft." Sie zum Beispiel leistungsfähiger oder entspannter macht.
So manifestiert sich die Sucht
Die dahinterliegende Wirkungsweise ist folgende: Man fühlt sich - aus welchem Grund auch immer - schlecht, konsumiert eine Substanz oder führt eine Handlung aus, wodurch es im Belohnungssystem des Gehirns zur vermehrten Ausschüttung von Dopamin, dem sogenannten Glückshormon, kommt. Mit dem Ergebnis, dass man sich besser fühlt. Das Gehirn speichert den Zusammenhang zwischen der Einnahme der Substanz beziehungsweise der Ausführung der Handlung und dem verbesserten Gefühlszustand ab. Befindet man sich erneut in einer negativen Gefühlslage, weiß das Gehirn nun: Hier gibt es etwas, das hilft.
Mit der Zeit entwickelt sich ein Verlangen nach der Substanz oder dem Verhalten. Ausgelöst wird dieses, so Prof. Peter Berger, Leiter der Ambulanten Behandlungseinrichtung Spielsuchthilfe, durch Hinweisreize einerseits, etwa ein mit Alkoholika gefülltes Supermarktregal oder einen mit Spielautomaten ausgestatteten Saal, und durch das Bewusstsein anderseits, dass diese spezielle Sache zu einem verbesserten Befinden beiträgt. Der Drang, die Substanz zu konsumieren oder die Handlung auszuführen, wird immer stärker.
Sucht als Lern- und Verlernprozess
Gleichzeitig verlieren alternative Verhaltensweisen, die bisher dazu beigetragen haben, dass man sich besser fühlt, ihren positiven Effekt und damit auch ihre Bedeutung. "Das Belohnungssystem stumpft ab", erklärt Berger. "Es verlangt nach einem starken Dopaminreiz, den nur mehr die Substanz oder die Handlung liefern kann. Alle anderen Aktivitäten, die sonst Freude bereitet haben, verblassen in ihrem freudvollen Aspekt." Oder wie es Batthyany formuliert: "Sucht ist ein Lern- und Verlernprozess." Denn während man "seine Gefühle wiederholt auf diese Weise manipuliert, verlernt man andere Lösungsstrategien".
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Ein Beispiel: Eine Person trinkt ein Glas Wein, um sich zu entspannen. Der Konsum bringt den erwünschten Effekt und wird daher wiederholt. Einmal, zweimal ... bis er schließlich fixer Bestandteil des Tages ist. Alternative Entspannungsstrategien, beispielsweise Sport oder Lesen, rücken in den Hintergrund. Der Betreffende verlernt, dass es auch noch andere Methoden zur Entspannung gibt. Bis der Alkoholkonsum die einzige Bewältigungsstrategie für Stress und Anspannung darstellt.
So entstehen Entzugserscheinungen
Dementsprechend groß ist die Bedeutung, die der Betreffende dem Suchtverhalten beimisst. "Es wird so wichtig, dass Menschen plötzlich Dinge tun, die sie sonst nicht getan hätten", erklärt Batthyany. Hinzu kommt, dass manche Substanzen zu einer körperlichen Gewöhnung führen, wie es laut Berger vor allem bei beruhigenden Mitteln wie Alkohol, Sedativa oder Opiaten der Fall ist. Das Nervensystem gewöhnt sich an deren dämpfende Wirkung. Bleibt diese aus, ist es übermäßig erregt. Die Folge sind Entzugserscheinungen wie Zittern, Schwitzen bis hin zu Krämpfen.
Eine Sucht aus eigener Kraft zu besiegen ist schwierig. Daher empfiehlt sich eine Therapie. Der erste Schritt besteht allerdings darin, sich einzugestehen, dass man süchtig ist sprich die Kontrolle über sein Verhalten, das Suchtmittel oder die Handlung betreffend, verloren hat. Und weil eine Sucht für gewöhnlich von Selbstvorwürfen, Scham- und Schuldgefühlen begleitet wird, dauert dieser Prozess meist sehr lange. Batthyany sieht Sucht aber auch als Chance, "weil sie dort hinzeigt, wo eine Verletzung war, wo etwas geheilt werden muss".
Suchtverhalten als Chance
Verbirgt sich hinter der Sucht vielleicht ein Bedürfnis, das früher zu kurz gekommen ist? Und was braucht es, um dieses jetzt zu befriedigen? So werden im Zuge der Therapie nicht nur alternative Problemlösestrategien erarbeitet, es wird auch der eigentlichen Ursache der Sucht auf den Grund gegangen. Um sie ein für allemal zu besiegen.
Steckbrief
Dominik Batthyany
Dr. Dominik Batthyany ist Gründer und Leiter der Therapie- und Beratungsstelle Mediensucht an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien sowie Leiter des Instituts für Verhaltenssüchte und Suchtforschung an der SFU.