Seit 1970 ist es in Österreich erst zweimal vorgekommen, dass eine Frau mit 60 Jahren Mutter wird: in den Jahren 2015 (Zwillingsgeburt in Wels) und 2002. Bis 2030 wird die erste Mutterschaft laut Prognose der Statistik Austria auf ein Durchschnittsalter von 31 Jahren steigen. Es zeichnet sich also deutlich ein Trend ab.
"Späte Mütter" sind voll im Trend
Stellt sich die Frage, ob das auch für künstliche Befruchtungen gilt. Wir haben bei dem Wiener Wunschbaby-Institut WIF nachgefragt: Kommen viele Frauen im Alter von 40 plus oder 50 plus mit einem Kinderwunsch in das Institut? "Leider ja, es ist ein Phänomen der heutigen Zeit, dass der Kinderwunsch sehr spät ausgelebt wird", sagt der Gynäkologe Wilfried Feichtinger, Gründer des In-vitro-Fertilisationszentrums. Biologisch gesehen sei das schon bedenklich. Das Durchschnittsalter aller Patientinnen seines Instituts liegt bei 36 Jahren. "Es verschiebt sich eindeutig immer mehr auf einen späteren Zeitpunkt", teilt Feichtinger mit. Das bestätigen auch die Zahlen der Statistik Austria. Waren es 2007 gerade einmal fünf Mütter, die im Alter zwischen 50 und 54 Jahren ein Kind zur Welt gebracht haben, so ist die Zahl 2013 auf 21 Mütter angestiegen.
Was hinter dem späten Kinderwunsch steckt
Eine der ältesten Mütter der Welt, die Inderin Rajo Devi, hat im November 2008 im Alter von 70 Jahren ihre Tochter zur Welt gebracht. Sie erzählte 2013 in einem Interview mit "Daily Mail online", dass ihre Tochter ihr Leben verlängert habe, weil sie unbedingt noch ihre Hochzeit erleben will; die Tochter mutiert quasi zum Verjüngungselixier. Auch die Mexikanerin Maria de la Luz wird, wenn alles gut geht, mit 70 Jahren nochmals Mutter werden. Sie befindet sich laut eigener Aussage im sechsten Schwangerschaftsmonat. "Sie haben mir gesagt, dass es ein Mädchen ist. Schauen Sie, man kann ihr kleines Gesicht erkennen", sagte sie gegenüber der "Daily Mail", während sie Ultraschallaufnahmen in die Kamera hielt.
Die damals 65-jährige Berlinerin Annegret R., die 2015 Vierlinge zur Welt brachte, gab an, dass sie sich dazu entschied, nochmals schwanger zu werden, weil sich ihre zehnjährige Tochter ein Geschwisterchen wünschte. "Abgesehen davon, dass sich zehnjährige Kinder vieles wünschen und nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann oder soll, scheint es für Außenstehende, dass die werdende Mutter ihr eigenes Bedürfnis mit dem Wunsch der Tochter zu erklären versucht. Die wahren Motive hinter einer späten Schwangerschaft sind mit großer Wahrscheinlichkeit selbst der Schwangeren nicht bewusst zugänglich", sagt Sabine Ritter, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin. "Um welche Motive es sich dabei handelt, ist im individuellen Fall zu beantworten. So kann es beispielsweise sein, dass die betroffene Frau Probleme mit dem Älterwerden hat, aber auch negative Erfahrungen in der Beziehung zu den eigenen Eltern auf diesem Wege zu bewältigen versucht."
Die Expertin folgert: Es gehe auf jeden Fall stark um eigene Bedürfnisbefriedigung. Die Bedürfnisse des Kindes würden weniger bedacht als die der Wunscheltern. "Wir leben leider in einer Gesellschaft, in der die natürlichen Grenzen, die Grenzen der Natur, nicht mehr respektiert werden. 'Alles ist möglich und nichts ist unmöglich' – so lautet das Motto unserer Zeit", sagt die Psychologin.
Die sogenannten "späten Mütter" regen auf, immer wieder sorgen sie weltweit für Schlagzeilen, oft hagelt es Kritik. Zurecht?
"Jeder soll sein Leben leben, wie er möchte", verteidigte sich Annegret R. in der RTL-Sendung "Extra". Und auch der 63-jährige Vater aus Wels hat nach der Geburt der Zwillinge in einem Interview mit dem Kurier keine Bedenken geäußert. Es habe während der Schwangerschaft nie Komplikationen gegeben. Nun sei man über den Nachwuchs einfach nur überglücklich. "Ein später Kinderwunsch ist nicht unverantwortlich, solange eine Schwangerschaft biologisch möglich ist", sagt der renommierte Frauenarzt und Reproduktionsmediziner Gernot Tews. Darin sind sich viele Experten einig.
Ab dem 35. Lebensjahr wird im Mutter-Kind-Pass der Eintrag "Risikoschwangerschaft" vermerkt. Das bedeutet jedoch nicht automatisch, dass das Risiko tatsächlich höher ist: "Grundsätzlich ist eine Frau, die mit 35 Jahren schwanger wird, noch nicht besonders gefährdet. Der Hauptgrund für diese Begrenzung ist, dass die Eizellen der Frau mit 35 ein Alter erreicht haben, in dem die Qualität der Eizellen nachlässt", sagt Tews. Bei einer 38-jährigen Frau sei, im Vergleich zu einer 33-Jährigen, das Risiko höher, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Die ersten altersbedingten Gefahren bei der Schwangerschaft würden mit etwa 40 Jahren anfangen. Frauen ab diesem Alter haben beispielsweise eine leicht erhöhte Neigung zu Schwangerschaftsdiabetes oder zu Bluthochdruck.
Ein Egoismus, der Konsequenzen hat
Tews war langjähriger Leiter der Landesfrauenklinik Linz und betreibt seit April 2014 das "IVF- und Kinderwunschinstitut Dr. Tews" in Wels. Er sah die bevorstehende Geburt im Fall der 65-jährigen Deutschen kritisch: "Statistisch gesehen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass alle vier Babys in der Kindheit, also zwischen drei und fünf Jahren, keine gesundheitlichen Folgeschäden aufweisen, bei unter 50 Prozent. Diese Frau macht ihren Selbstfindungstrip ohne jede Rücksicht auf ihre ungeborenen Kinder und das gefällt mir daran nicht", lautete das Urteil des Frauenarztes.
Bei künstlichen Befruchtungen ist die Wahrscheinlichkeit prinzipiell höher, dass die werdende Mutter mehrere Kinder zur Welt bringt. "Setzt man einer jungen Patientin zwei befruchtete Eizellen ein, liegt die Chance einer Schwangerschaft bei über 40 Prozent. Im Fall einer Schwangerschaft werden es zu 25 Prozent Zwillinge", sagt Tews. Bei Frauen, die sich mit über 40 Jahren durch In-vitro-Fertilisation befruchten lassen, können bis zu drei Eizellen eingesetzt werden, so Feichtinger. Auch bei jüngeren Frauen können nach mehreren Fehlversuchen zwei oder drei Eizellen eingepflanzt werden. "Bei der Eizellenspende erhöhen vor allem junge Eizellen die Chance auf eine Mehrlingsschwangerschaft", teilt der Leiter des Wunschbaby-Instituts mit.
Die Krux mit dem Gesetz
Zumindest gesetzlich sind Müttern über 50 Jahren Grenzen gesetzt: "Die In-vitro-Fertilisation ist in Österreich bis zum Eintritt des natürlichen Wechsels und die Eizellenspende bis zum vollendeten 45. Lebensjahr gesetzlich erlaubt", sagt Befruchtungs-Experte Wilfried Feichtinger. Die Eizellenspenderin dürfe dabei nicht älter als 30 Jahre oder jünger als 18 Jahre sein. "Ab einem Alter von 50 Jahren rate ich dringend von einer Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung ab", sagt Reproduktionsmediziner Gernot Tews. In den meisten Ländern Europas liegt die gesetzliche Begrenzung für eine Eizellenspende bei 50 Jahren.
Das hält viele Mütter nicht davon ab, sich mit über 50 Jahren noch künstlich befruchten zu lassen. Ein globales Verbot - es sei dahingestellt, ob das eine konstruktive Lösung ist - gibt es nicht. So kommt es vor, dass Frauen für eine künstliche Befruchtung ins Ausland gehen. "Das ist leider so. Im Fall der 60-jährigen Oberösterreicherin war es Zypern", sagt Tews. Viele Frauen in Europa würden sich nach Zypern wenden, denn dort sei die Gesetzeslage sehr offen, so der Frauenarzt. Für ihn ist die gesetzliche Regelung in Österreich teilweise absurd: Sie erlaubt beispielsweise einer 31-jährigen Frau nicht, dass sie ihrer Freundin eine Eizelle spendet, weil sie zu alt ist. Aber ein 93-Jähriger darf seinem Großneffen Samen spenden.
Späte Mutter-Kind-Beziehung
Vor allem, wenn das Kind in der Pubertät ist, sagt Psychologin Sabine Ritter Spätgebärenden Schwierigkeiten voraus: "Kinder brauchen in der Pubertät jemanden, an dem sie sich reiben und mit dem sie Konflikte austragen können." Stattdessen bestehe die Gefahr, dass sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kind umkehrt – die Kinder würden dann im Extremfall die Eltern pflegen. Psychologisch handle es sich hierbei um eine Form der sogenannten Parentifizierung.
In anderen Bereichen stehen laut Expertin ältere Mütter den jüngeren in nichts nach: "Wie das Kind erzogen wird, hängt in erster Linie von der Persönlichkeitsstruktur der Mutter ab und nicht von ihrem Alter", sagt Ritter. Auch emotional gesehen gebe es bei der Mutter-Kind-Beziehung keinen Unterschied im Vergleich zu jüngeren Müttern. So könne eine ältere Frau – sofern sie psychisch und physisch dazu in der Lage sei – mit Sicherheit dem Kind dieselbe Liebe und Nähe bieten. Was den älteren Mamis vielleicht in Zeiten von Twitter, Facebook und Co. an Know-how fehlt, würden oft andere Bezugspersonen oder das soziale Umfeld ausgleichen. Der Hund liegt laut Psychologin woanders begraben: "Die Schwierigkeit und Problematik einer späten Schwangerschaft liegt – zumindest am ersten Blick betrachtet – in der Biologie und nicht in der emotionalen Kompetenz der Mutter."
Weiterführender Link:
Hier finden unter anderem werdende Mütter Hilfe:
Das Beratungsservice des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen
Helpline: 01/504 8000
Kommentare
AnmeldenMit Facebook verbinden Di., 29. Mai. 2018 20:29meldenantwortenVerantwortungslos!
TopExpertFr., 22. Mai. 2015 14:46meldenantwortenWäre es nicht sinnvoller die Statistik der Totgeburten zur Veranschaulichung her zuziehen? Oder einen Prozentwert der Überlebenschance einer Embryos abhängig vom Alter der Mutter? Ohne der Gesamtanzahl der Geburten pro Altersgruppe der Mutter ist die Anzahl der überlebenden Säuglinge ohne jede Aussagekraft.
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