"Es ist ein Mädchen, und es ist gesund." Sogar der Gynäkologin stehen die Freudentränen in den Augen, als sie ihrer Patientin das Ergebnis des Gentests eröffnet. Elisabeth Schuller beginnt sofort zu weinen. Nie hätte sie damit gerechnet, mit 43 Jahren noch einmal Mutter zu werden. Zwei Kinder hatte sie bereits verloren. Das Risiko, auch dieses Kind zu verlieren, war hoch. Die Chance, es gesund zur Welt zu bringen, gering. Aber das Mädchen kämpft sich durch. Für ihre Mutter ist schon vor der Geburt klar: Leni ist ein kleines Wunder.
Ein Jahr später sitzen wir auf Elisabeth Schullers Wohnzimmerteppich. Leni, das rotblonde Mädchen mit den Goldschuhen, krabbelt fröhlich durch den hellen Raum. An den Decken hängen pastellfarbene Girlanden, Lampions und ein silbern-pinker Einhorn-Luftballon, auf einem Schränkchen thronen lila Glitzerkrönchen - die Überbleibsel der ersten Geburtstagsparty. Tische und Schränke sind kindersicher gemacht, hochwertiges Holzspielzeug ordentlich in Regale geschlichtet, daneben eine kleine Kinderbibliothek, Klassik für Kinder ertönt, und man spürt: Hier ist alles eingestellt auf Leni, das Wunschkind.
Das ergab eine Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung
Elisabeth Schuller ist das Paradebeispiel für ein neues biografisches Muster: die späten Mütter. War eine Frau Mitte der 1980er-Jahre bei der Geburt ihres ersten Kindes noch durchschnittlich 24 Jahre alt, so ist sie heute bereits knapp 30. Schon vier Prozent aller Mütter haben bei der Geburt 40er hinter sich gebracht -und diese Gruppe wächst. Man findet sie in Großstädten, häufig haben sie studiert, verfügen über gute Jobs, genügend Wohnraum und stabile Partnerschaften, in denen das späte Elternglück das i-Tüpfelchen ist.
Die Gründe für späte Mutterschaft liegen auf der Hand. Wer sich nicht auf Heim, Kind und schlecht bezahlte Teilzeitjobs reduzieren lassen will, braucht Ausbildung und Joberfahrung. Aber da sich Karriere und Familienplanung in Österreich noch immer schlecht vertragen, wird der Kinderwunsch auf später verschoben. Darauf, dass die Familienpolitik hier dringend geeignete Rahmenbedingungen schaffen muss, weisen Experten, wie die Soziologin Christiane Rille-Pfeiffer vom Institut für Familienforschung, seit Jahren hin. Aber damit allein sei es nicht getan. Oft mangelt es einfach auch zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Partner, denn wo Mobilität und Flexibilität gefragt sind, sind auch Beziehungen brüchiger.
Je älter, desto gelassener
Auch Elisabeth Schuller war schon längere Zeit Single, als sie vor zwei Jahren Lenis Vater bei einer Après-Ski-Party kennenlernte. Mit ihrem Kinderwunsch hatte Elisabeth, die beruflich die Kommunikation eines großen Autokonzerns managt, abgeschlossen. Ihre neue, um sechs Jahre jüngere Liebe nicht. Vier Monate nach ihrem Kennenlernen war Elisabeth schwanger. Völlig überraschend und ungeplant. Ein Urlaubsbaby. "Ein Geschenk", sagt Elisabeth. "Wir sind unendlich dankbar, dass es Leni gibt. Im Moment ist sie mein Leben, und ich möchte jede Sekunde mit ihr genießen."
Auch das scheint typisch für späte Mütter zu sein. "Frauen, die persönliche und berufliche Ziele erreicht haben, haben im Vergleich zu jüngeren Eltern oft mehr Zeit und Muße, sich voll und ganz auf den Nachwuchs einzulassen", sagt Rille-Pfeiffer.
Das kann Veronika Charvat bestätigen. Als sie mit 26 Jahren ungeplant Mutter wurde, hatte sie gerade ihren Traumjob bei der Volksbank bekommen. Die Beziehung zum Kindsvater zerbrach bald, und um ihre Stelle nicht zu verlieren, parkte Veronika ihre Tochter Saskia bei den Großeltern. "Unter der Woche habe ich sie eigentlich kaum gesehen. Am Wochenende habe ich sie dafür überallhin mitgeschleppt." Zum Picknick mit ihren kinderlosen Freunden, zum Musikfestival oder zum Spontantrip nach Kroatien. Was nach unbeschwerter Mutter-Kind-Action klingt, bedeutete für die junge Veronika vor allem eins: Stress.
"Alles in allem war ich damals ziemlich unentspannt und gestresst. Immer war ich unsicher, ob ich alles richtig mache, und habe mir viele Sorgen gemacht." Sorgen, die sie sich bei Maxi und Lilly nicht mehr macht. Ihre beiden "Kleinen" bekam Veronika im Alter von 41 und 42 Jahren. Mit ihnen sei alles viel entspannter. "Mein Mann und ich, wir müssen nichts mehr erreichen, stehen im Leben und haben die Möglichkeit, die Kinder und die Familie in den Vordergrund zu stellen", erzählt Veronika, die heute die Zahnarztpraxis ihres Mannes managt. Auch in der Erziehung sei sie heute viel entspannter. "Vermutlich, weil ich selbstbewusster bin und mir zutraue, auf mein Bauchgefühl zu hören. Früher habe ich mich viel an Erziehungsratgebern orientiert. Heute kann ich die Kinder sein lassen, wie sie sind. Ich kann sie viel mehr genießen, als ich das früher hätte können", sagt Veronika.
Jede Sekunde genießen
Einander genießen zu können - das spielt auch in der Beziehung zwischen der 47-jährigen Birgit Eichberger und ihrem Sohn Paul eine große Rolle. Paul, ein schüchterner, kleiner Wuschelkopf mit neugierigen Augen, der immer wieder Körperkontakt zur Mutter sucht, ist gerade drei Jahre alt geworden. In den Kindergarten geht er noch nicht, und überhaupt ist er am liebsten bei Mama. Und die stört das auch nicht - im Gegenteil: "Die Zeit, in der Paul mich braucht und meine Nähe will, vergeht so schnell. Ich wäre dumm, nicht jeden Augenblick auszukosten -und auch die mühsamen anzunehmen", fügt sie lachend hinzu. Früher wäre sie vermutlich nicht bereit gewesen, so viel zurückzustecken. Jetzt, wo sie älter sei, habe sie nicht mehr das Gefühl, etwas zu versäumen, wenn sie sich ihrem Sohn widmet. "Ich hatte in meinem Leben genügend Blasen von hochhackigen Schuhen, habe unzählige Partys und Galas erlebt, mich selbst verwirklicht und viel von der Welt gesehen. Ich verpasse nichts."
Ihr Leben richtet Birgit so ein, dass keiner in der Kleinfamilie zu kurz kommt. "Wenn ich Lust habe, schaufensterbummeln zu gehen, nehme ich Paul mit. Dann beobachten wir eben stundenlang den Schuhlift im Humanic oder das Glubschauge in der Louis-Vuitton-Auslage, so macht es ihm auch Spaß." Wenn Birgit sich mit Freunden trifft, dann legt sie den Termin so, dass sie Paul anschließend noch ins Bett bringen kann, und ihren Job als Onlineredakteurin hat sie kürzlich gekündigt, weil Homeoffi ce nicht mehr möglich war. Zukunftsangst hat sie trotzdem nicht. "Notfalls gehe ich beim Bäcker um die Ecke Semmeln verkaufen", lacht Birgit. In ihrem Leben gibt es eine Priorität, und die heißt Paul.
In Watte gepackt
Psychologen attestieren späten Müttern oft ein gewisses Maß an "Überengagement", das es den Kindern erschwere, etwas beiläufiger aufzuwachsen. Nicht selten bringt man sie auch mit dem Begriff "Helikoptereltern" in Verbindung. "Kinder später Eltern werden häufig in eine perfekt vorbereitete, auf ihre Bedürfnisse abgestimmte Welt hineingeboren", fasst es die Soziologin Rille-Pfeiffer zusammen. Zwischen Bioessen, Pekip-Kursen, Babyschwimmen, musikalischer Früherziehung und Montessori-Spielzeug bekommen sie meist nur wenig Ahnung von den dunklen Seiten des Lebens.
"In Watte" sei sie als Kind oft gepackt worden, erzählt die heute 32-jährige Anna. Als ihre Mutter Mitte der 80er-Jahre im Alter von 46 Jahren schwanger wurde, hielt sie die Symptome zunächst für erste Anzeichen des Klimakteriums. Die Geschwister waren mit 14,17 und 19 Jahren schon aus dem Gröbsten heraus, als mit Anna ein völlig unerwarteter, aber umso mehr geliebter Nachzügler das Licht der Welt erblickte. "Ich erinnere mich, dass mich meine Mutter früher immer vor allen Gefahren beschützen wollte. Bei mir war sie vermutlich besorgter, als sie es bei meinen Geschwistern war", erzählt Anna. Ihrer eigenen zweijährigen Tochter würde sie heute "die eine oder andere Beule mehr zugestehen".
Christiane Rille-Pfeiffer, Soziologin am Institut für Familienforschung
Im Fokus der Aufmerksamkeit ihrer Familie zu stehen, hatte für Anna Licht-und Schattenseiten. "Ich habe in meiner Kindheit fast ausschließlich positive Bestärkung erfahren. Kritik an meinem Verhalten gab es kaum." So lernte Anna auch später als andere Kinder, mit Enttäuschungen und Konflikten umzugehen. "Scheitern zu akzeptieren und mein Selbstwertgefühl nicht an Lob zu koppeln, war etwas, das ich mir im Erwachsenenalter erst mühsam aneignen musste." Andererseits habe ihr das Bewusstsein, "etwas unerwartet Schönes zu sein, das begeistert angenommen wird", auch den Mut gegeben, ihre Träume zu verwirklichen. Den Applaus und Zuspruch, den sie früher von Eltern und Geschwistern bekam, holt sich Anna heute als Sängerin auf der Bühne von ihrem Publikum.
Dass ihre Eltern theoretisch ihre Großeltern hätten sein können, war für Anna nie ein Problem. "Meine Eltern sind mit ihrem Alter immer sehr humorvoll umgegangen", und auch ihre Freundinnen hätten sie eher für die großen Geschwister beneidet als für die alten Eltern bemitleidet. "Die Vorstellung, dass meine Eltern vielleicht nicht alle meine Kinder aufwachsen sehen, macht mich zwar traurig. Aber dafür genießen wir die Zeit jetzt umso mehr."
Selbstbewusstere Kinder
Annas Biografie deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie des deutschen Max- Planck-Instituts: Weil sich Töchter und Söhne später Eltern besonders erwünscht fühlen, entwickeln sie in hohem Maß Selbstvertrauen und den notwendigen Glauben an sich selbst, heißt es da. Und die Studie belegt einen weiteren Vorteil später Mütter: Kinder, deren Eltern bei ihrer Geburt 35 bis 44 Jahre alt waren, sind im Erwachsenenalter deutlich seltener krank als Kinder jüngerer Eltern. Der Grund dafür liegt vor allem im Bildungsgrad der Mütter und damit in ihrem Gesundheitsbewusstsein. Überhaupt gleichen Lebensstil und Lebensart typischer älterer Mütter meist die möglichen Nachteile der späten Geburt aus.
Die biologische Uhr
Aber trotz aller Vorzüge gibt es natürlich auch die Kehrseite des späten Glücks, und die heißt: biologische Uhr. Denn obwohl die Lebenserwartung in den letzten hundert Jahren deutlich gestiegen ist, liegt die beste Zeit für eine Schwangerschaft nach wie vor zwischen 20 und 30 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine 35-Jährige innerhalb eines Jahres schwanger wird, liegt um 40 Prozent niedriger als bei einer 22-Jährigen. Ab dem 40. Lebensjahr sinkt diese Wahrscheinlichkeit noch einmal sprunghaft ab. "Und das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und Frühgeburten ist bei einer 40-Jährigen doppelt so hoch wie bei einer 30-Jährigen", sagt der Reproduktionsmediziner Wilfried Feichtinger. Auch die Gefahr, dass das Kind mit Fehlbildungen zur Welt kommt, steigt mit zunehmendem Alter. Statistisch gesehen hat eines von hundert Kindern einer 40-Jährigen Trisomie 21, also das Downsyndrom. Der Grund dafür ist die nachlassende Qualität der Eizellen.
Wilfried Feichtinger, Gynäkologe und Gründer des Wunschbaby-Instituts
"Eine Frau zwischen 30 und 35 Jahren hat noch ungefähr 50 Prozent gesunde Eizellen." Ab 40 Jahren sind bereits 80 Prozent der Eizellen "fehlerhaft", sagt Feichtinger. Abhilfe könnte das sogenannte "Social Freezing" schaffen. Dabei werden jungen Frauen vorsorglich Eizellen entnommen und eingefroren, mit denen sie ihren Kinderwunsch gegebenenfalls auch nach ihrem 40. Geburtstag erfüllen können. In Österreich ist dieses Verfahren allerdings nur bei medizinischer Indikation erlaubt. Etwa für Krebspatientinnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen. Aber selbst wenn das Verfahren jemals für alle zugelassen wäre, würde Feichtinger Frauen nur bis zum natürlichen Wechsel behandeln. "Das muss die Grenze sein und bleiben."
Nach neun ist Schluss
Dass irgendwann Schluss sein muss, weiß auch Verena Broschek. Die 49-jährige Juristin hat neun gesunde Kinder zur Welt gebracht. Das erste mit 23, das letzte mit 43 Jahren. Noch einmal, sagt sie, würde sie das Glück nicht herausfordern, auch wenn sich ihr Jüngster, der sechsjährige David, noch sehnlichst ein Geschwisterchen wünscht. An David, sagt Verena, hänge sie schon deshalb besonders, weil er ihr letztes Kind ist und sie mit ihm alles, was Mutterschaft bedeutet, zum letzten Mal durchlebt: Von der Schwangerschaft übers Babyschwimmen bis - ganz aktuell - zur Schuleinschreibung. "Ich muss zugeben, dass ich ziemlich fixiert darauf bin, David noch einmal alles mitzugeben und anzubieten, was möglich ist." Bildung zum Beispiel. Die ist Verena besonders wichtig. Und auch, dass jedes ihrer neun Kinder eine Sportart verfolgt und ein Instrument erlernt.
Dank einer Erbschaft kann sich die Juristin das auch leisten. Dass sie trotz dieses finanziellen Polsters und trotz der Kinderschar immer auch ihrer Arbeit nachging, war für sie wichtig. Nur bei David ist es anders. "Ich möchte mir viel Zeit für ihn nehmen und noch einmal alles ganz bewusst erleben." Dass sie dabei nicht mehr die Allerjüngste ist, stört Verena nicht. "Zum Glück habe ich eine sehr gute Gesundheit und fühle mich fit. Über das Alter mache ich mir keine Gedanken, das ist noch sehr weit weg." Da bereite ihr die Vorstellung, dass alle ihre Kinder irgendwann aus dem Haus sein werden, schon mehr Kopfzerbrechen. "Die Vorstellung, dass es ruhiger werden wird, finde ich schrecklich. Auch wenn es natürlich das Ziel ist, dass die Kinder auf eigenen Beinen stehen, fühlt es sich für mich erst dann ganz an, wenn alle zu Hause sind."
Kinder sind das, was von uns bleibt. Und wer einen Kinderwunsch hat, sollte sich vom Alter jedenfalls nicht davon abhalten lassen, ihn auch zu erfüllen.