Spätestens seit "Fifty Shades of Grey" ist die BDSM-Szene nicht nur salonfähig geworden, sondern haben Peitschen, Fesseln & Co. Zutritt zu gutbürgerlichen Haushalten gewonnen. Warum wollen Menschen, die im sozialen Leben ihren Mann oder ihre Frau stehen, in der Sexualität nichts lieber als beschimpft und missachtet werden - ein Sklavendasein führen
Bevor es nun richtig zur Sache geht, ein kleines Glossar zur Einstimmung. Und dann ein an Sigmund Freuds angelehntes Erklärungsmodell, warum Menschen durch Schmerz, Unterwerfung und Bestrafung die höchste Lust erleben können. Es gibt Dominas, Femdoms und Subs. Und noch viel mehr. Noch nie davon gehört? Dann ist es höchste Zeit, sich weiterzubilden, was es nicht alles in der Liebe an teils gewöhnungsbedürftigen Spielarten gibt.
Unter dem Begriff Femdom wird die weibliche Dominanz verstanden, auf Englisch "Female Dominance". Aber auch die dominante Frau selbst bezeichnet sich als Femdom - im Gegensatz zur Domina, die professionell Schmerz-und Unterwerfungswünsche erfüllt. Wogegen die Femdom nicht alles macht, was er möchte. Unter BDSM versteht man "Bondage, Discipline, Dominance and Submission". Susi und ihr Mann Franz sind seit zwanzig Jahren ein Paar. Es gibt drei Kinder und sieben Enkelkinder. Franz verließ seine erste Frau, weil Susi seine Unterwerfungsträume umsetzte. Besonders schwierig ist es für solcherart veranlagte Paare, die Grenze zwischen sexuellen Rollenspielen in den Abgründen der Lust und Familienpicknicks mit Kindern und Enkelkindern zu ziehen. Susi, die sich in meiner Praxis als Femdom zu erkennen gibt und einschlägige Workshops besucht hat, um ihren Mann fachgerecht zu unterwerfen, sagt, dass Franz es sich immer, also 24/7 vorstellen könnte, von ihr dominiert und auf dem eigens im Internet bestellten gynäkologischen Stuhl "behandelt zu werden". Am liebsten seien ihm folgende Praktiken: Die Behandlung der Hoden mit Nadeln und Schnüren und die Fußverehrung. Susi sucht mich auf, während Franz darauf wartet, dass sie wieder wie früher wird. Sie soll wieder mit ihm spielen. Unter "Spielen" versteht das Paar regelmäßige Erniedrigungen verbaler und physischer Art mit Peitschen und einem Hundezwinger, in den sie ihn sperrt. Er muss ihre Füße küssen und sich verbal demütigen lassen. Was aber Franz zu Susis Lustsklaven macht, der Schmerzen mehr begehrt als Streicheleinheiten, verbale Erniedrigungen Liebesbekundungen vorzieht, hat mit frühkindlichen Prägungen zu tun.
Franz' Mutter war fast nie für ihn da. Als Alleinerzieherin war sie, wenn die Kindermädchen gegangen waren, für Bestrafungen zuständig. Für Franz war es das Größte, ihre volle Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn er etwas angestellt hatte. Eine Mischung aus Angst und Lust war das Gefühl seiner Kindheit. In seiner Jugend wurden die ersten Beziehungserfahrungen negativer Aufmerksamkeit und Bestrafung durch die Mutter nach Regelbrüchen und "schlechtem Benehmen" in BDSM-Fantasien umgewandelt. Laut Sigmund Freud ist jede Angst häufig auch mit einer verborgenen Lust, verbotenen Wünschen verknüpft. Der sklavische Wunsch, geschlagen und beschimpft zu werden, ist somit der Versuch des Erwachsenen, der Ohnmacht des Kindes habhaft zu werden und jetzt selbst den Schmerz und das Leid aus freien Stücken szenisch zu wiederholen. Im Grunde sind Susi und Franz gleichermaßen Sklaven seiner Obsession.
Und Susi? Sie möchte nichts lieber als ihrem Franz klarmachen, dass sie dringend, dringend eine Paartherapie mit ihm machen will. Um aus dem Kerker des Femdom-Seins einmal auszubrechen und ihn beziehungsweise seine Getriebenheit, seine Anspannung und Aggression nicht mit endlosen Spielchen in der hauseigenen Folterkammer zwanghaft behandeln zu müssen. Nicht dass es nicht manchmal spannend wäre, eine neue Spielart zu versuchen. Aber es muss ein Spiel bleiben. Ein Spiel, kein Zwang.
Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin Haben Sie noch Fragen? Schreiben Sie mir bitte: praxis@wogrollymonika.at