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Schamlippenverkleinerungen: Darf's ein bisserl weniger sein?

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13 min
Frau hält Hände vor ihren Intimbereich

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Darf's ein bisserl weniger sein? Die Genitalien der Frau bleiben schon längst nicht mehr vom immer stärker um sich greifenden Schönheitswahn verschont. Der Wunsch nach der vermeintlich perfekten Vulva steigt. Die Hemmschwelle, einen operativen Eingriff vornehmen zu lassen, sinkt. Die Schamlippenverkleinerung führt die Riege der plastischen Eingriffe im Intimbereich an. Weil frau unten herum jung, straff, glatt oder einfach nur "normal" aussehen will. Was aber ist normal? Wann ist ein chirurgischer Eingriff wirklich notwendig? Und wer kann hierüber befinden? Wir befragten die Sexualtherapeutin Dr. Elia Bragagna.

In Deutschland werden jährlich rund 5.400 korrigierende Eingriffe an den Schamlippen vorgenommen. Das geht aus einem im Jahr 2013 erschienen Bericht der Deutschen Gesellschaft der Plastischen Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen hervor. In Großbritannien wurden 2012 etwa 2.000 Schamlippenverkleinerungen durchgeführt. Dabei wurde ein Anstieg aufs Fünffache in nur fünf Jahren verzeichnet, wie "bbc.com" berichtet. Für Österreich liegen keine konkreten Zahlen vor. Weil die Operationen in ihrer Gesamtzahl nicht erfasst werden. Eines ist aber sicher: Immer mehr Frauen unterziehen sich einer Beauty-OP im Intimbereich.

Der Traum von der perfekten Vulva

Warum? "Die Mehrheit der Frauen, die einen derartigen Eingriff vornehmen lassen, tut dies aus ästhetischen Gründen", erklärt Bragagna. Oder aber weil Form und/oder Größe der Genitalien beim Tragen diverser Kleidungsstücke stören. Dazu die Sexualtherapeutin: "Einem Mann würde man niemals den Hoden wegschneiden, nur weil die Hose zwickt." Frauen dagegen orientieren sich stärker an äußeren Vorgaben. Und die gibt es in der von Medien durchdrungenen heutigen Zeit zuhauf. Entspricht die eigene Vulva dann nicht der vermeintlich idealen, kommt es zur Verunsicherung. Das Entfernen der Intimbehaarung trägt seinen Teil dazu bei, tritt hier doch erst zum Vorschein, was vorher gut verborgen war.

Vielen Frauen fiele es schwer zu akzeptieren, was sie dann sehen, gibt Bragagna zu bedenken. "Bei vielen merkt man eine so tiefe Verunsicherung, dass man sich fragen muss: Reicht eine Operation aus, um die gewünschte Sicherheit im Umgang mit dem eigenen Genital zu erlangen?" Dieses Problem betreffe vor allem sehr junge Frauen. Verblendet vom medial transportierten Schönheitsideal weicht ihr Bild vom weiblichen Körper, wie er aussehen sollte, stark von jenem ab, wie er tatsächlich aussieht. "Viele haben einen präpubertären Mädchenkörper im Kopf." Einen, bei dem alles straff und glatt ist und die äußeren Schamlippen die inneren schön verdecken. "Dann muss man ihnen sagen: 'Du bist aber kein Mädchen mehr.'"

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Wenn man zu wenig fühlt ...

Ein anderer Grund, einen intimchirurgischen Eingriff vornehmen zu lassen, sind Schmerzen beim Sex auf der einen oder aber zu wenig Empfinden auf der anderen Seite. Auch hier sind es wieder äußere Vorgaben, die verunsichern. "Sie zeigen, wie erregt die Frau ist, wie sie schreit und stöhnt." Weichen die eigenen Empfindungen von den medial vermittelten ab, drängt sich früher oder später die Frage auf: Was stimmt nicht mit mir? Gleichzeitig wüssten viele Frauen nicht, was sie bräuchten, um eine Erregung entwickeln zu können. "Manche müssen einfach nur mehr geschmust werden", erklärt die Sexualtherapeutin. Herauszufinden, was man braucht, ist aber oft schwieriger, als man denkt.

Die unzureichende Erregung wiederum kann ein Grund für Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sein. Viele Frauen würden den Mann eindringen lassen, noch bevor sie ausreichend erregt sind. Ausreichend erregt heißt in diesem Fall, dass die inneren Schamlippen bis aufs Dreifache anschwellen und dabei ganz automatisch auseinander weichen. "Kann der Mann nicht eindringen, bereitet das Eindringen Schmerzen oder ist die Reibung zu stark, ist das ein klassisches Zeichen dafür, dass die Frau nicht genug erregt ist." So die Realität. Und der Irrglaube: Viele Frauen denken, sie müssten ihre inneren Genitallippen operieren lassen, weil sie zu eng wären.

Wann ist eine Operation notwendig?

Anderseits gibt es Fälle, in denen ein chirurgischer Eingriff eine medizinische Notwendigkeit darstellt. Etwa wenn die inneren Schamlippen so groß sind, dass sie permanent an Gewand oder Innenschenkel reiben. "Manche Frauen sind so entzündet, dass sie nicht mal gehen können. Und das, obwohl sie weite Kleidung tragen, die nicht reibt", erklärt Bragagna. Gerade jene Frauen wären es aber, die "bescheidene Bedürfnisse haben, wie man ausschauen muss", ergänzt die Expertin.

Wie also "muss" frau ausschauen? Oder anders gefragt: Welche Korrekturen werden am häufigsten vorgenommen? Die Verkleinerung der inneren Schamlippen führt die Riege der Intim-OPs an. "Es gibt aber auch die Möglichkeit, den Schamhügel oder die äußeren Genitallippen mittels Eigenfett aufzuplustern", erklärt Bragagna. "Damit sie jünger aussehen." Ebenfalls gerne in Anspruch genommen werden Eingriffe zur Straffung und damit Verengung der Vagina. Auch hier ginge es darum, jünger auszusehen. Oder aber frau lässt sich zwecks Luststeigerung den G-Punkt mit Hyaluronsäure aufspritzen. Ein Eingriff, den die Expertin ganz und gar nicht gut heißt: "Eine Frau, die die Erregung nicht aufbauen kann, müsste daran arbeiten genau das zu lernen." Mit einer Operation wäre das Problem jedenfalls nicht behoben.

Was ist "normal"?

Während die einen unten herum jung, frisch und straff wirken wollen, geht es anderen einfach nur darum, "normal" auszusehen. Was also ist normal? Dazu Bragagna: "Es gibt kein Normal. Normal ist, dass es keine Norm gibt. Die Norm ist das Individuum. Und alle, die sich hier einschränken, arbeiten eigentlich gegen ihren Körper." Was aber nicht heißt, dass Betroffene eine derartige Entscheidung leichtfertig träfen. Vielmehr stecke oft eine gewisse Hilflosigkeit hinter dem Entschluss, sich im Intimbereich operieren zu lassen. Hinzu käme der steigende Druck, den kulturellen Anforderungen hinsichtlich des perfekten Körpers gerecht zu werden. Von "freiwillig" könne man hier laut Bragagna also kaum mehr sprechen.

Gleichzeitig betont die Sexualtherapeutin die oft ungeahnte Vielfalt und Individualität des weiblichen Genitals. Doch was, wenn dieses Argument nicht ausreicht? Wenn sich die Frau trotzdem mit dem Aussehen ihres Intimbereichs unwohl fühlt? Wie kann man als Außenstehender entscheiden, ob eine Operation notwendig ist oder nicht. "Ich schau mir immer den Beweggrund der Frau an. Sind es ästhetische Gründe? Ist die Kleidung wichtiger als der Körper? Hat die Frau möglicherweise ein verzerrtes Körperbild? Liegt eine Störung der Körperwahrnehmung vor? Ist das der Fall, dann tut man ihr nichts Gutes, wenn man sie operiert." Denn: Ein verändertes Körperbild trägt nicht unbedingt zu mehr Selbstbewusstsein oder einer gesünderen Körperwahrnehmung bei. Zumal der positive Effekt dann meist auch nur ein kurzfristiger ist.

Wenn das Körperbild verzerrt ist

Apropos verzerrtes Körperbild: Die sogenannte Body Dysmorphic Disorder*, also die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers, lässt sich anhand von vier Fragen erkennen:

  • Glauben Sie, dass Sie eine oder mehrere unattraktive oder entstellende körperliche Makel haben, obwohl die anderen nicht dieser Meinung sind oder Ihre Bedenken übertrieben finden?

  • Denken Sie mindestens eine Stunde am Tag an Ihr Makel?

  • Wenn ja, belastet Sie das sehr?

  • Beeinträchtigt das Ihren Alltag signifikant (z. B. Ihr Sozialleben)?

Liegt eine Body Dysmorphic Disorder vor, rät u. a. das Bundesministerium für Gesundheit** dazu, die Operation nicht vorzunehmen. Zudem wäre es sinnvoll, wenn der Operateur dem Patienten nahelegt, einen Sexualtherapeuten oder Psychologen aufzusuchen.

Lieben Sie sich, wie Sie sind!

Was aber ist die Alternative zum Eingriff? Dazu Bragagna: "In unserer Gesellschaft herrscht die Haltung des Machbaren, des Veränderbaren vor. Dass derartige Eingriffe gemacht werden, ist ein trauriger Ausdruck dafür, dass wir Frauen uns einfach nicht akzeptieren können, wie wir sind." Dabei ginge es der Expertin zufolge darum, die Vielfalt des weiblichen Genitals zu erkennen, lernen, seinen eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Und damit nicht genug. Es ginge darum zu lernen, seinen Körper schön zu finden, wie er ist. Egal, ob die inneren Schamlippen hinter den äußeren hervorlugen. Egal, ob der Venushügel prall oder eher flach ist. Und egal, ob das Intimste der Frau so aussieht, wie in Hochglanzmagazine und auf Internetseiten dargestellt.

Die im Diagramm angeführten Operationsmotive wurden in einer im Jahr 2000 veröffentlichten Studie, an der 163 Patientinnen teilgenommen haben, erhoben. Quelle: "Leitlinien zur weiblichen Genitalchirurgie - Konsensuspapier", u.a. vom Bundesministerium für Gesundheit, der Akademie für sexuelle Gesundheit, der Frauenabteilung der Stadt Wien und dem Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen.

* Die vier Fragen wurden dem Paper zu kosmetischen Genitaloperationen der Frau, herausgegeben von der Akademie für Sexuelle Gesundheit, entnommen. Autorin: Elia Bragagna

** Quelle: "Leitlinien zur weiblichen Genitalchirurgie - Konsensuspapier"

© Beigestellt

Steckbrief

Dr. Elia Bragagna

Beruf
Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, Psycho- und Sexualtherapeutin

Dr. Elia Bragagna ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, Psycho- und Sexualtherapeutin, Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Österreichischen Akademie der Ärzte und ärztliche Leiterin der Sexualmedizinischen Praxis Graz.

Über die Autoren

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