In Kolumbien haben dieses Jahr drei Männer offiziell die erste "Dreier-Ehe" des Landes geschlossen. In der Stadt Medellin wurde der besondere Dreierbund fürs Leben am Montag notariell beglaubigt. "Wir leben zusammen, teilen Haus, Bett, alles. Wir leben die Vielliebe", sagte einer der Männer. Interessant ist, dass er hierfür nicht etwa den Begriff der Polygamie gebraucht, was dem klassischen Sprachgebrauch zufolge der „Mehrfachehe“ entsprechen würde, sondern bewusst von „Vielliebe“, also „Polyamorie“ spricht.
Zwar wurde der Begriff „polyamory“ vor lediglich zehn Jahren in das Oxford Dictionary aufgenommen, das Phänomen ist jedoch so alt wie die Menschheit selbst. Das Konzept der Monogamie etablierte sich nämlich erst, sofern man dem Philosophen Friedrich Engels Glauben schenken mag, mit dem Aufkommen des Privateigentums und diente primär den Männern zur Kontrolle der weiblichen Sexualität und somit ihrer Vaterschaft.
Bei Polyamorie geht es nicht um Kontrolle. Es geht um Gleichberechtigung. Um Vertrauen. Und Ehrlichkeit. Gemeint sind damit Mehrfachbeziehungen unter dem Wissen und Einverständnis aller Beteiligten. Ein Mensch hat also zur gleichen Zeit und über einen längeren Zeitraum hinweg Liebesbeziehungen mit mehreren Personen. Diese Beziehungen können sowohl auf einer rein sexuellen als auch auf einer emotionalen Ebene stattfinden. Die Zahl der Partner ist dabei unbeschränkt. Das spiegelt sich auch im Symbol der Bewegung wieder: Ein rotes Herz mit dem Unendlichkeitszeichen. Polyamorie stellt somit das Modell der monogamen Zweierbeziehung als einzig erstrebenswerte Form des Zusammenlebens in Frage.
Treu sein ja. Monogam sein nein.
Viele polyamorös lebende Menschen sind davon überzeugt, dass ein Partner nicht alle Bedürfnisse befriedigen kann. Und dass man sich nicht seinem Partner zuliebe in seiner eigenen Freiheit begrenzen lassen muss. Sie wollen Einschränkungen, wie man sie aus monogamen Zweierbeziehungen kennt, auflockern oder ganz aufheben. Freiheitsliebe ist das Schlagwort. Dennoch hat Polyamorie nichts mit belanglosen One-Night-Stands, Swingerclubs oder heimlichen Affären und Seitensprüngen zu tun.
Josef Düregger lebt seit vielen Jahren polyamor. In dem Magazin „Libelle“ schrieb über das Treue-Verständnis monogamer Beziehungen: „Es ist ein Treue-Verständnis, wo man durch Unterlassung seine Liebe beweist. Wenn du mich wirklich liebst, verzichtest du auf bestimmte Freiheiten, zumindest aber auf das Selbstbestimmungsrecht über deinen Körper. Hier spielt der alte Opfergedanke eine Rolle, der Verzicht als Liebesbeweis. Egal wie gut diese Partnerschaft funktioniert, wie viele wunderbare verbindende Elemente diese Beziehung beglücken, wie sehr man in Krisenzeiten zueinander steht, sobald ein Partner einen Dritten zu sinnlich berührt, gilt die Treue als gebrochen. Aber müsste Liebe nicht mehr sein? Ein Gefühl, dass keine Opfer vom anderen fordert?“ Josef Düregger steht zu dem Konzept der „positiven Treue“. Hier zählt, was zwei Menschen verbindet und nicht das, was trennt. Treue bedeutet in erster Linie Ehrlichkeit, Loyalität und Respekt. Opfer sind als Liebesbeweis überflüssig. Heimliches Fremdgehen gibt es genauso wenig wie Lügen oder vorzeitigem Auflösen von gut funktionierenden Partnerschaften aufgrund von sogenannten „Ausrutschern“. Es soll eine freiere Form der Liebe ermöglicht werden. Kurz: Mehr Freiheit, weniger Zwang.
Aber was ist mit der Eifersucht?
Das Konzept der Polyamorie klingt in der Theorie überzeugend. Aber funktioniert es auch in der Praxis? Schließlich wird hier versucht über Gefühle, die nun einmal irrational sind, ein rationales Konzept zu stülpen. Eifersucht stellt wohl das größte Hindernis in polyamoren Beziehungen dar. Natürlich gibt man sich auch in dieser Liebesform nicht der Illusion hin, dass es keine Eifersucht gibt. Es geht dabei auch gar nicht um die Abwesenheit dieses Gefühls, sondern um den Umgang damit. Ob polyamore Beziehungen gelingen, hängt größtenteils davon ab, ob die Eifersucht bewältigt werden kann. Dafür spielt Ehrlichkeit, vor allem aber Kommunikation, eine wichtige Rolle. Das Ziel ist, dass aus Eifersucht Mitfreude wird. Sich mit und für den Partner freuen, wenn er oder sie durch eine andere Person Glück erfährt. Und sich von dem der Eifersucht zugrundeliegenden Besitz- und Ausschließlichkeitsanspruch zu lösen. Das verlangt einen hohen Reifegrad und viel emotionale Stärke von den Beteiligten.
Das Konzept der Polyamorie hat neben dem „Dealbreaker“ Eifersucht aber auch noch andere Schwächen. Carlo (Name von der Redaktion geändert), hat das alternative Beziehungsmodell nur eine Zeit lang gelebt. „Obwohl ich Polyamorie als sehr interessante Beziehungsform und Lebensweise sehe, die mir auch positive Erfahrungen gebracht hat, habe ich das Ganze als sehr oberflächlich und hedonistisch wahrgenommen“, gesteht er. Ob Polyamorie ein Beziehungskonzept der Zukunft werden kann, bleibt offen. Fakt ist aber, dass es in Zukunft eine größere Vielfalt, mehr Variationen und ein Nebeneinander verschiedener Formen der Liebe und Sexualität geben wird.