Immer öfter kommt es in letzter Zeit zu Lieferengpässen bei Medikamenten. Apotheker müssen Patienten mit den Worten: "Tut mir leid, haben wir derzeit nicht" abfertigen. Für den Apotheker unbefriedigend, für die Arzt mühevoll - und für den Patienten beängstigend. Wie groß ist die Gefahr, dass ein lebensnotwendiges Medikament einmal nicht verfügbar ist? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.
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- Wie ernst ist die Lage?
- Was bedeutet das für den Patienten?
- Was bedeutet das für die Apotheke?
- Woher kommt das Ersatzmedikament?
- Warum kommt es immer wieder zu Engpässen?
- Welche Medikamente sind betroffen?
- Schaffen Online-Apotheken Abhilfe?
- Wie kann man das Problem lösen?
- Wie wird sich die Situation künftig entwickeln?
Wie ernst ist die Lage?
Grundsätzlich müsse man, so Dr. Christoph Baumgärtel, Experte der Arzneimittelbehörde, zwischen der Nichtverfügbarkeit eines Medikaments und einem Versorgungsengpass unterscheiden. Ist ein Medikament nicht verfügbar, heißt das, dass es in den Apotheken für einige Zeit nicht erhältlich ist. Das ist aber noch nicht weiter schlimm. Denn in der Regel kann man auf andere Präparate ausweichen. Hierfür eignen sich entweder Medikamente, die auf demselben Wirkstoff basieren, oder Generika. Manchmal ist ein Präparat auch nur in einer bestimmten Packungsgröße nicht erhältlich.
Ein Versorgungsengpass entsteht dagegen erst dann, wenn es auch an den notwendigen Alternativen mangelt. "Bislang konnte glücklicherweise in allen Fällen Ersatz gefunden werden und es war noch kein Patientenleben in Gefahr", entwarnt Mag. Alexander Herzog, Generalsekretär vom Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig). Mit der Zunahme von Vertriebs- oder Lieferengpässen steige laut Baumgärtel aber auch die Gefahr, dass es einmal tatsächlich zu einem bedrohlichen Engpass kommt. Derzeit sind 215 Arzneimittel offiziell nicht lieferbar (Stand 19.2.2020).
Was bedeutet das für den Patienten?
Für den Patienten bedeuten Lieferengpässe in der Regel einen Mehraufwand an Zeit und Mühe. Pharmafirmen können, müssen aber nicht darüber informieren, wenn ein Medikament gerade nicht verfügbar ist. So kann es passieren, dass ein Arzt unwissentlich ein nicht erhältliches Arzneimittel verschreibt. Da der Apotheker nur exakt jenes Produkt verkaufen darf, das auf der Verordnung notiert ist, muss der Patient, wenn dieses nicht erhältlich ist, die Apotheke wieder mit leeren Händen verlassen.
Hat der Patient Glück, lässt sich das gewünschte Präparat über eine andere Apotheke beschaffen. Auch der Import aus dem Ausland ist keine Seltenheit. Ist das Medikament jedoch auch in anderen Ländern vergriffen, muss eine Alternative her. Für deren Verordnung ist ein neuerlicher Besuch beim Arzt notwendig. Dann geht es zum zweiten Mal in die Apotheke. Für Menschen, die ohnehin schon von einer Erkrankung geschwächt sind, in ihrer Mobilität eingeschränkt sind oder das Präparat dringend brauchen, kann diese Situation sehr belastend sein.
Was bedeutet das für die Apotheke?
Für die Apotheken ergibt sich durch die Lieferengpässe ein Mehraufwand von durchschnittlich zehn Stunden pro Woche. Ist ein Medikament nicht vorhanden, muss nach einem Ersatz gesucht werden. Im besten Fall lässt sich in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt schnell eine Alternative finden. "Wir kommunizieren täglich mit den Ärzten. Natürlich übernehmen wir diese zusätzliche Aufgabe. Aber effizient ist das nicht. Lieber würden wir die Zeit für die Beratung unserer Kunden nützen", bemängelt Mag. Christian Wurstbauer, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer.
Ist ein Patient aufgrund eines Mangels gezwungen, auf ein ihm nicht bekanntes Präparat umzusteigen, kann das große Verunsicherung mit sich bringen. In diesem Fall muss der Apotheker aufklären und beruhigen. "Wenn jemand kein Vertrauen in die Therapie hat, sei es, weil das Medikament eine andere Form, eine andere Farbe oder einen anderen Namen hat, dann ist das ganz schlecht für den Therapieerfolg", gibt Wurstbauer zu bedenken. Daher gilt es dem Patienten zu erklären, dass das Medikament zwar ein anderes, der Wirkstoff aber derselbe ist.
Woher kommt das Ersatzmedikament?
Im besten Fall kann ein in einer Apotheke vergriffenes Medikament aus einer anderen Apotheke bestellt oder - in kleinen wie auch in größeren Mengen - aus dem Ausland importiert werden. Für den Patienten fallen dadurch keine gesonderten Kosten an. Das Problem ist jedoch, dass die Engpässe für gewöhnlich nicht lokal beschränkt sind. Ist ein Medikament erst einmal knapp, dann meist nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, wenn nicht weltweit. Richtig problematisch wird die Sache dann, wenn nicht nur ein bestimmtes Medikament, sondern der Wirkstoff, auf dem dieses sowie die potenziellen Ersatzprodukte basieren, nicht verfügbar ist.
Warum kommt es immer wieder zu Engpässen?
Dass es immer wieder zu Lieferengpässen kommt, hat mehrerlei Gründe. Zum einen werden Arzneimittel und Wirkstoffe heute großteils in Billiglohnländern wie China und Indien produziert. Zum anderen schließen sich immer mehr Produktionsstätten zusammen. Stichwort Monopolisierung. Immer mehr Medikamente werden demnach von immer weniger Unternehmen hergestellt. "Kommt es hier zu einem Ausfall, ist Feuer am Dach", warnt Baumgärtel, sind kleine und mittlere Betriebe, die den vorübergehenden Mangel ausgleichen könnten, heute doch im Verschwinden begriffen. Die Folgen sind weltweit spürbar.
Hinzu kommt, dass Österreich im EU-Vergleich oft sehr niedrige Medikamentenpreise hat. "Viele Mengenarzneimittel kosten heute weniger als eine Packung Kaugummi an der Tankstelle", kritisiert Wurstbauer. Und was billig weiterverkauft wird, darf natürlich auch nicht allzu teuer eingekauft werden. So kann es passieren, dass Pharmafirmen ein Kontingent, das ursprünglich für Österreich vorgesehen war, in ein anderes Land verkaufen - schlicht und einfach deshalb, weil es dort mehr Gewinn einbringt. Als Player im globalen Wettbewerb bewegen sich die Unternehmen dabei im legalen Rahmen.
Manchmal durchläuft ein Arzneimittel bis zu einem halben Dutzend europäische Länder, bis es schließlich in der Apotheke landet. "Da wird ein Niedrigpreisland wie Österreich natürlich nicht an erster Stelle bedient", bemängelt Wurstbauer. Es gilt das Prinzip der freien Marktwirtschaft: Wer am meisten bietet, erhält im Normalfall die Ware. So kann es auch passieren, dass bereits von einem Mangel bedrohte Medikamente aus Österreich ins Ausland exportiert werden. "Der Parallelhandel trägt dazu bei, dass Lieferengpässe verstärkt oder gar geschaffen werden", kritisiert Baumgärtel.
Welche Medikamente sind betroffen?
"Nicht nur seltene oder hochpreisige Arzneimittel sind betroffen", sagt Dr. Gerald Bachinger, Leiter der NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft. Vom Blutdrucksenker über Schmerzmittel bis hin zu Immunsuppressiva - grundsätzlich kann jedes Medikament einem Lieferengpass zum Opfer fallen. Erst letztes Jahr musste eine organtransplantierte Patientin auf jenes Präparat warten, das verhindern sollte, dass ihr Körper das neu eingesetzte Organ wieder abstößt. Das Mittel kam rechtzeitig an und die Frau nicht zu Schaden. "Das Potenzial von Schadensfällen ist aber vorhanden."
Schaffen Online-Apotheken Abhilfe?
Bei 90 bis 95 Prozent der von Lieferengpässen betroffenen Medikamente handelt es sich um rezeptpflichtige Arzneimittel. Diese dürfen in Österreich nicht versandt und damit auch nicht von Online-Apotheken verkauft werden. Lassen sie sich dennoch über den Online-Handel beziehen, so steht auf jeden Fall eine illegale Quelle im Hintergrund. Im Gegensatz zu registrierten Online-Apotheken gibt es hier keine Garantie, die Qualität von Herstellung und Transport betreffend. Vom Kauf rezeptpflichtiger Arzneimittel im Internet ist daher dringend abzuraten.
Wie kann man das Problem lösen?
Zum Problem der Lieferengpässe tragen viele Faktoren bei. Daher muss auch auf verschiedensten Ebenen nach Lösungsansätzen gesucht werden. Um der Gefahr vorzubeugen, dass bei einem Produktionsausfall der weltweite Markt betroffen ist, müsste man der Monopolisierung entgegenwirken. Im Idealfall sollte die Produktion von Wirkstoffen zurück nach Europa verlagert werden. Dadurch würden aber die Produktionskosten und in weiterer Folge auch die Medikamentenpreise steigen. "Die Industrie von Fernost wird sich so schnell nicht wieder in Europa ansiedeln", prognostiziert Baumgärtel.
Dennoch ist die Lage nicht aussichtslos. Eine Verordnung, die mit 1. April 2020 in Kraft tritt, schreibt vor, dass Medikamente, die hierzulande bereits von einem Lieferengpass bedroht sind, nicht exportiert werden dürfen. Zudem will man künftig sämtliche Pharmafirmen dazu verpflichten, drohende Engpässe zeitnah zu melden. Die Informationen werden in einem zentralen Register erfasst. Die Liste ist auf der Homepage der AGES abrufbar. Zwar konnten hier auch schon zuvor Engpässe gemeldet werden, die Meldung war bis dato aber nicht verpflichtend.
Bevor ein Arzt nun ein bestimmtes Medikament verschreibt, kann er auf Basis der Liste eruieren, ob dieses auch tatsächlich erhältlich ist und - wenn nicht - sofort ein alternatives Präparat verschreiben. Auf diese Weise kann man allen Beteiligten - dem Arzt, dem Apotheker und vor allem auch dem Patienten - viel Zeit und Mühe sparen. "Mit der neuen Verordnung wird die aktuelle Situation entschärft. Versorgungsprobleme wird es", so der Patientenanwalt, "aller Voraussicht nach aber nach wie vor geben."
Wie wird sich die Situation künftig entwickeln?
Seriöse Prognosen darüber, wie sich die Situation in den nächsten Jahren entwickeln wird, lassen sich Herzog zufolge nicht erstellen. "Wir sind aber davon überzeugt, dass sie sich entspannen würde, wenn wir es schaffen, Österreich und Europa als Produktionsland wieder attraktiver zu machen." Hier sei jedenfalls die Politik gefragt, die sich laut Wurstbauer auch der Frage stellen müsse, "ob die billigste Variante immer die beste ist". Zwar wird auf EU-Ebene bereits an Lösungsansätzen gearbeitet, doch handelt es sich hier, so Baumgärtel, um ein multifaktorielles Problem. "Das kann nicht über Nacht gelöst werden."