Was macht echte Nähe aus – und was passiert, wenn sie nur simuliert wird? Bestsellerautor Joachim Bauer erklärt, wie unser Gehirn Bindung schafft und warum Chatbots zur Gefahr werden können. Ein Gespräch über Spiegelneuronen und die trügerische Verlockung digitaler Liebe.
Was passiert zwischen zwei Menschen, wenn sie sich – wie wir jetzt – erstmals begegnen?
Joachim Bauer: Wir haben neuronale Systeme, die speziell die Körpersprache unseres Gegenübers auslesen. Das passiert ganz automatisch intuitiv. Und diese Signale werden dann vom Empfänger verwertet und zwar so, all das, was vom anderen kommt, ja fast wie so eine Art Imitation zurückzuspiegeln. Das beruht auf den sogenannten Spiegelneuronen. Diese Systeme nehmen die körpersprachlichen Signale des Gegenübers auf und tendieren dazu, sie quasi in gleicher Münze zurückzugeben. Wenn jemand freundlich auftritt, dann wird das die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Gegenüber auch in eine freundliche Stimmung kommt. Das Gleiche gilt natürlich, wenn jemand mit schlechter Laune auftritt, es wird auf der Gegenseite entweder zu Angst oder zu Aggression führen.
Ist die zwischenmenschliche Beziehung durch Pseudobeziehungen mit Chatbots in Gefahr?
Eine der stärksten Motivationen des Menschen aus neurowissenschaftlicher Sicht ist das Zusammensein mit anderen Menschen und die Wertschätzung, die uns andere Menschen geben. Die sozialen Instinkte sind nach Darwin die stärksten Instinkte des Menschen. Somit ist es ein neurobiologisch verankertes Grundbedürfnis des Menschen, mit anderen Menschen zusammen zu sein und von anderen Menschen geachtet und wertgeschätzt zu werden, Zuwendung zu bekommen.
Geliebt zu werden …
Geliebt zu werden … Viele Menschen haben Angst, dass sie von anderen Menschen kritisch bewertet werden. Wenn ich die ganze Kindheit und Jugend hindurch immer nur höre, du machst alles falsch und du bist nicht gut genug, dann nehme ich eine innere Haltung mit ins Leben, die zur Folge hat, dass ich mich beim Zusammensein mit anderen Menschen nicht wohlfühle. Und jetzt kommen diese Chatbots als Angebot: Das sind Maschinen, aber sie verhalten sich so, dass es sich anfühlt, als wären sie Menschen. Das bietet sozusagen die Chance, aber auch die Gefahr, mit der wir konfrontiert sind. Die Chance ist, dass Menschen, die sich gar nicht mehr unter andere Menschen trauen, vielleicht in einem Chatbot die Möglichkeit haben, sich auszutauschen und eine Auskunft über sich zu bekommen, einen Gesprächspartner zu haben. Die Frage ist, wäre es nicht besser, dass schüchterne Menschen lernen, mit realen anderen Menschen zusammen zu sein.
Kann sich die Beziehung zu einer KI, einem Chatbot positiv auf den Nutzer und die Nutzerin auswirken?
Das ist eben die Frage. Der Nutzer und die Nutzerin weiß mit dem Verstand, dass es eine Maschine ist. Entweder sagt die Maschine das selbst oder die Nutzerin weiß es von anderen Quellen, dass eine KI kein wirklicher Mensch ist. Sie simuliert nur, als wäre sie ein Mensch. Der Kopf der Nutzerin weiß das auch, aber das Herz der Nutzerin fühlt anders. Und jetzt baut sich eine Bindung auf, entsteht Vertrauen. Die Seele des Menschen kann nicht anders, als zu jemandem, der Empathie simuliert, eine Liebesbeziehung aufzubauen. Es gibt tatsächlich eine Entwicklung, wo vor allem Menschen, die Schwierigkeiten im realen Umgang mit anderen Menschen haben, in Gefahr sind, eine Ersatzliebesbeziehung zu Chatbots aufzubauen und dann davon abhängig zu werden. Die Abhängigkeit ist sowohl psychisch als auch finanziell. Chatbots sind ja nicht kostenlos, sondern müssen bezahlt werden mit monatlichen Abonnements.
Wobei man sie nicht ins Restaurant einladen muss und nicht ins Kino ausführen …
Genau. Sie haben auf dem Sofa die Maschine stehen und den Chatbot quasi als Hausgenossen. Ich würde das niemandem verbieten, nur muss man wissen: Will ich das? Will ich mit einer Maschine eine Beziehung eingehen, an der dann mein Herz hängt, an der die Seele hängt? Und was ist, wenn der Chatbot abgestellt wird von dem Provider? Der Chatbot wird ja von einer Firma bedient und manchmal abgedatet. Dann ist er plötzlich gar nicht mehr der, der er war oder der sie war. Die Chatbots können ja die männliche oder die weibliche Identität annehmen. Also er oder sie sein. Es entsteht eine Abhängigkeit, die sowohl psychischer als auch finanzieller Natur ist.
Ist das dann eine Pseudoliebe, auf die wir zusteuern würden?
Es ist tatsächlich eine Pseudoliebe mit sehr viel Verwöhnungsstrukturen. Man weiß, dass zum Beispiel viele Männer, die sich weibliche Chatbots abonniert haben, diese Chatbots beschimpfen und ihre schlechte Laune an denen auslassen. Und diese weiblichen Chatbots werden immer freundlich antworten. Jedes antisoziale Verhalten des Nutzers werden sie nicht bestrafen, wie das in einer realen Beziehung wäre, dass die Frau dann sagen würde, also so kannst du nicht mit mir sprechen und wenn du das nicht akzeptierst, dann verlasse ich dich. Der Chatbot wird alles dulden. Das heißt, die Chatbots begünstigen antisoziales Verhalten. Sie begünstigen Psychopathologien beim Nutzer.
Heißt das, dass die Beziehung oder die Liebe zu einem Chatbot die Liebe zu einem realen Menschen nicht ersetzen kann?
Ja, das würde ich schon sagen. Also Chatbots sind Notlösungen, wie Pflaster, die man auf eine Wunde macht. Aber sie tragen nicht zur Heilung bei, sondern sie machen aus der Wunde einen Dauerzustand. Ich hatte mehrere Patienten in meiner Praxis, deren Partnerschaft auseinanderging, nicht weil sie schlecht war, sondern weil einer der Partner, in der Regel sind es die Männer, angefangen hat, auf Sexseiten zu gehen und dann dort hängengeblieben ist. Und wo dann quasi der Ruin der Partnerschaft damit begonnen hat, weil der Mann dann im Internet immer drastischere Angebote genutzt hat. Ein Patient hatte mir mal gesagt, wissen Sie, durch diese intensive Nutzung von Pornoseiten hatte ich plötzlich das Gefühl, meine Frau ist nur noch schlechtes Porno. Das heißt, er hat durch die intensive Pornonutzung seine reale Beziehung ruiniert, sozusagen die Abwertung seiner Frau. Das sind Verrohungseffekte durch ein Überkonsumverhalten, weil es so einfach gemacht wird.
Haben Sie ein paar Tipps, wie man die Liebe lebendig halten kann?
Viele Liebesbeziehungen ermüden dadurch, dass wir den anderen nicht mehr frisch auf uns wirken lassen. Wenn wir eine frische Beziehung eingehen, dann besteht der Charme einer frischen Liebe darin, dass wir uns richtig wahrnehmen. Wir haben uns ja noch nie zuvor gesehen oder kennen uns jetzt erst seit Kurzem. Und jedes Mal, wenn die gegenüberliegende Person auftritt, löst sie in mir eine Resonanz aus, eine frische Resonanz.
Ach, du bist das und heute sehe ich das an dir, morgen beachte ich das mehr und ich gebe diese Resonanz zurück. Das ist das, was die frische Liebe so schön macht. Die Ermüdung besteht darin, dass diese Resonanz zur Routine wird. Dass ich dann denke, wenn ich nach ein paar Wochen oder Monaten die andere Person kenne, dass ich dann weiß, wer sie ist. Das ist ein großer Irrtum, dass wir denken, wir kennen jemand anderen, nur weil wir schon längere Zeit mit ihm oder mit ihr zusammen sind. Denn die andere Person entwickelt sich weiter, sie wird es vielleicht nicht erzählen, aber jede Woche ist sie wieder eine andere, sie hat sich verwandelt. Und deswegen ist es sehr wichtig, dass wir, um eine Beziehung frisch zu halten, den Partner oder die Partnerin immer wieder frisch auf uns wirken lassen, so wie wenn wir ihn oder sie zum allerersten Mal sehen würden. Das ist ein Tipp, den ich allen geben möchte. Das heißt, mach dir klar, du kennst deinen Partner, auch wenn du ihn schon monatelang, jahrelang kennst, in Wirklichkeit nicht. Schau frisch auf ihn, schau frisch auf sie, so wie wenn er oder sie dir zum ersten Mal begegnen würde und gib ihm oder ihr frische Resonanz. Mache, tu das, bevor es ein anderer tut.
Joachim Bauer (73) …
… ist Neurowissenschafter, Arzt, Psychotherapeut und Buchautor in Berlin. Im Grazer Hotel Weitzer beleuchtet Monika Wogrolly mit ihm die Frage, ob die zwischenmenschliche Liebe durch die Beziehung zu KIunterstützten virtuellen Assistenten, die menschliche Gespräche und Beziehungen simulieren („Chatbots“), ersetzbar ist. Bauers aktuelles Buch: „Realitätsverlust“