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"Wehe dem Kind, dessen Stirn beim Kuss salzig schmeckt. (...) Es wird bald sterben", hieß es im Mittelalter bezüglich Neugeborenen, die offenbar an der Erbkrankheit Mukoviszidose litten. Erst 1938 erfolgte die erste eingehende pathologische Beschreibung der Erkrankung. Ab 1953 wurde der hohe Salzgehalt im Schweiß Betroffener als einer der Diagnoseparameter verwendet. Bis in jüngste Vergangenheit handelte es sich bei der cystischen Fibrose um jene Erbkrankheit, welche bei jungen Patienten am häufigsten tödlich verlief, stellte Saskia Gruber von der Klinischen Abteilung für Pädiatrische Pulmologie der MedUni Wien (AKH) im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung fest.
Derzeit kann man in Europa von einer Wahrscheinlichkeit, dass ein Neugeborenes eine Mukoviszidose entwickelt, von eins zu 2.000 ausgehen. "Weltweit gibt es rund 45.000 Patienten. In Österreich sind es rund 900 mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren", erklärte die Expertin.
Der entscheidende Durchbruch gelang der Forschung im Jahr 1989. Saskia Gruber: "1989 wurde das CF-Gen sequenziert." Es handelt sich um eine Erbanlage auf dem Chromosom 7. Die Krankheit beruht auf durch rund 2.000 mögliche Mutationen nicht oder falsch gebildete Formen von Kanälen (CFTR-Protein) durch die Membran von Epithelzellen, welche den Wasser- und Salzhaushalt (Chlorid-Kanal) der Zellen steuern. Die autosomal rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung, bei der zwei Elternteile mit solchen Mutationen (heterozygot) zusammenkommen müssen, um die Krankheit zu vererben, ist durch die Bildung von zähen Sekreten in Lunge, Bauchspeicheldrüse, Leber, Dünndarm charakterisiert. Lebensgefährlich ist der Krankheitsverlauf speziell wegen der Lungenkomplikationen mit chronischen Entzündungen und Infektionen sowie zunehmendem Funktionsverlust. Ehemals war eine Lungentransplantation im Spätstadium der einzige mögliche Ausweg.
Diese Situation hat sich grundlegend gewandelt. "Ich werde immer wieder auf die Prognose der Patienten im Vergleich mit Gesunden angesprochen. Ich antworte jetzt damit, dass sie schon an ihre Pensionsvorsorge denken sollten. Laut einer deutschen Berechnung liegt die Lebenserwartung der Betroffenen bereits bei 67 Jahren", erklärte Saskia Gruber.
Bei 85 Prozent der Erkrankten ist die F508del-Genvariante im CF-Gen für die Erkrankung verantwortlich. Eingeteilt werden die Mutationen in sechs Klassen, von denen die Klassen I, II und III zu den schwersten Formen der Mukoviszidose führen. Bei Genveränderungen der Klasse I wird beispielsweise gar kein als Chlorid-Kanal funktionierendes Eiweiß gebildet. Bei Klasse 2-Mutationen erfolgt eine gestörte Produktion. Das Eiweiß wird wieder abgebaut, bevor es an die Zelloberfläche gelangt. Klasse 3-Mutationen erzeugen funktionsloses CFTR-Protein.
Jahrzehntelang war nur eine symptomatische Behandlung der CF möglich. "Sie bestand aus Atemwegsreinigung, Prophylaxe und aggressiver Behandlung von Infektionen mit Antibiotika in oft doppelter Dosis und zwei bis drei Wochen lang sowie aus einer Optimierung der Ernährung", erklärte die Expertin.
Die Situation begann sich schließlich im Jahr 2012 grundlegend zu wandeln. Damals wurde der erste medikamentöse CFTR-Modulator zugelassen. Er verbessert die Funktion des Chloridkanals. Das half - abhängig von den bei den einzelnen Patienten vorliegenden Mutationen - nur zwei bis drei Prozent der Betroffenen. Mittlerweile wurde das erste Medikament durch Substanzen wie Lumacaftor, Tezacaftor und Elaxacaftor ergänzt, die als CFTR-Korrektoren wirken. Verwendet wird derzeit eine Dreifach-Kombination. Sie bedeutet wirksame Behandlungsmöglichkeiten für CF-Kinder, führt zu einer verbesserten Lungenfunktion und zu mehr Lebensqualität. 85 Prozent der Patienten können von der Behandlung profitieren.
Saskia Gruber: "Das war der 'Game Changer'." Die Lungenfunktion erhöht sich um 15 Prozent, es kommt zu einer verbesserten Lebensqualität." Darüber hinaus können plötzliche Krisen (Exazerbationen) verhindert werden. Die "alte" symptomatische Behandlung sollte deshalb aber nicht vernachlässigt werden. Was laut der Expertin noch fehlt: Eine wirksame Gentherapie, mit der die Ursache der Erkrankung selbst korrigiert werden kann. Auf diesem Gebiet laufen aber weltweit Forschungen.
Immer größere Bedeutung kommt wegen der verbesserten Behandlungsmöglichkeiten einer frühzeitigen Diagnose der CF zu. Bisher erfolgte das im Neugeborenen-Screening auf erbliche Stoffwechselerkrankungen aus einem Blutstropfen auf Löschpapier nach der Geburt. Laut Dieter Bettelheim von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der MedUni Wien verlagern sich die Diagnosemöglichkeiten immer mehr zu den Schwangeren. Das gilt auch besonders für Paare mit Kinderwunsch, die beispielsweise schon ein Kind mit CF haben. Wenn beide Eltern Träger einer CF-Mutation sind, beträgt das Risiko für eine Mukoviszidose bei ihrem Kind 25 Prozent.