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"Ich will das Kuscheln als normalen Beruf etablieren"

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Kuschel Kiste
©Bild: Kuschel Kiste/Elisa Meyer
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Elisa Meyer und ihre Mitarbeiter kuscheln mit wildfremden Menschen für Geld. Dabei ist aber nichts Sexuelles, vielmehr handelt es sich um eine Art Therapie, die die Österreicherin und ihr Unternehmen einsamen Menschen anbietet. Wie dieses professionelle Kuscheln funktioniert, ob man es sich vom Arzt verschreiben lassen kann und wer diese Kuschelstunden bucht, erzählt sie im Interview.

News.at: Frau Meyer, wie wird man professionelle Kuschlerin?
Elisa Meyer: 2016 habe ich von dem Beruf des Profikuschlers gelesen. Ich war sofort Feuer und Flamme und habe nach einiger Zeit und Recherchen beschlossen, selbst den Kuscheldienst anzubieten - zunächst mit wenig Resonanz. Ich habe dann zwei Fernausbildungen gemacht und mit Marketing experimentiert. Es kamen langsam einige Kunden, aber auch Menschen, die ebenfalls Kuschler werden wollten. Der nächste Schritt war also, selbst eine Ausbildung, die erste in Europa, anzubieten. So ist die Kuschel Kiste entstanden.

Wie viele MitarbeiterInnen haben Sie?
Vor Corona hatten wir fast 50. Mittlerweile sind es nur noch etwa 30. Aber da ich weiter fleißig ausbilde, denke ich, dass es nach Corona wieder mehr werden.

Wie kann man sich so eine Kuschelstunde vorstellen?
Zuerst werden in einem zehnminütigen Vorgespräch Erwartungen und Vorstellungen sowie unsere Regeln und Verbote geklärt und der Vertrag unterschrieben. Nachdem der Kunde sich umgezogen hat (bequeme Kleidung ist Standard), starten wir auf der Couch mit einer unverfänglichen Begrüßung. Nach dieser Aufwärmphase kommen andere Positionen, wo der Kunde sich besser fallen lassen kann. Dabei streicheln wir, je nachdem, was der Kunde mag. Oft wird dabei auch geredet. Manchmal fällt der Kunde aber auch in einen tranceartigen Zustand und taucht am Ende quasi wieder auf.

Was mögen die KundInnen denn am liebsten?
Es gibt nichts, was alle wollen, aber meistens gefällt das ganze enge Kuscheln und Drücken am besten.

Wo wird gekuschelt?
Wir arbeiten bevorzugt auf der Couch oder auf einer Matratze, Bett ist eher zu intim für die Dienstleistung. Meist bei dem Kuschler zuhause in einem separaten Raum. Wir machen aber auch Hausbesuche. Im Frühling 2021 wird das erste Kuschelstudio in Leipzig eröffnen.

Ich finde meine Kunden weder sympathisch noch unsympathisch, sondern sie sind einfach Menschen, die ich nicht weiter bewerte.

Was passiert, wenn man sich nicht sympathisch ist?
Wenn der Kunde uns nicht mag, kann er das im Vorgespräch sagen und auch während der Kuschelstunde jederzeit abbrechen. Das ist aber noch nie vorgekommen. Von den Kuschlern wiederum verlangen wir eine absolute Professionalität. Ich finde meine Kunden weder sympathisch noch unsympathisch, sondern sie sind einfach Menschen, die ich nicht weiter bewerte.

Was ist, wenn sich ein/e KuschlerIn vom Kunden abgestoßen fühlt? Wenn diese/r etwa ungepflegt ist?
Sollte ein Kunde sich nicht an die Regeln halten oder unhygienisch erscheinen, brechen wir die Stunde aber ab oder kuscheln erst gar nicht.

Wie oft kommt es zu unangenehmen Situationen, zu Missverständnissen?
Das passiert eher selten. Wenn, dann verliebt sich der Kunde fast immer oder bindet sich anders emotional. Das heißt, es findet eine Verschiebung in der Beziehungsebene statt. Wir sprechen so etwas sehr schnell an, damit sich keine falschen Erwartungen aufbauen. Das ist aber nicht unangenehm, sondern gehört zur Arbeit eines Kuschlers dazu, mit solchen Dingen umzugehen.
Für Leute, die die Beziehungsebene nicht klar trennen können, zum Beispiel wegen psychischen Problemen (Borderline, Narzissmus, Schizophrenie, etc.) oder einer instabilen Charakterstruktur, ist das Kuscheln nicht zu empfehlen.

Also keine sexuellen Missverständnisse?
Oft wird ausgetestet, wie ernst wir unsere Regeln nehmen. Da muss ich als Kuschlerin meine eigenen Grenzen setzen können. Da darf ich als Frau keine Angst vor Männern haben und auch keine Angst vor meiner eigenen Kraft, die ich gegebenenfalls einsetzen könnte. Auch darf man keine Angst vor der Erregung haben, denn auch das kommt vor beim Kuscheln, es ist ganz natürlicher. Es ist von Vorteil, wenn einem wenig peinlich ist.

Im Normalfall kann ich nicht unterscheiden, wer mich gerade berührt

Nähe und Berührung braucht jeder Mensch. Aber hat es in so anonymer Form dieselbe Wirkung wie etwa von einem geliebten Menschen?
Berührung ist an sich neutral. Also im Normalfall kann ich nicht unterscheiden, wer mich gerade berührt (etwa mit verbundenen Augen). Für das Gehirn ist vor allem wichtig, ob die Berührung angenehm oder unangenehm ist und der Kontext, also wo ich mich befinde und mit wem. Darum klären wir vorab, dass es um absichtslose Berührung geht. Damit ist das Gehirn schon auf angenehme Berührung vorbereitet. Durch unsere Berührungskunst kommt nochmal ein positiver Impuls dazu.
Es kommen aber auch Kunden zu uns, die traumatische Erfahrungen mit Berührung gemacht haben, da braucht es dann wesentlich mehr Zeit und Geduld, damit das Gehirn die Berührung als positiv empfindet. Es braucht eine Umdeutung, eine Entkoppelung vom Negativen und einem Neuerlernen der positiven Berührung. Auch das gehört dazu, nicht umsonst nennt sich das Ganze auch Kuscheltherapie.

Was bewirken Sie im Leben der Menschen? Wie geht es den "Bekuschelten" danach?
Meistens sind sie ausgeruht, frisch, euphorisch, zufrieden. Es gibt die Wirkung des Oxytocinrausches, der für den Rest des Tages Wohlbefinden schafft. Oxytocin hat aber auch mittel- und langfristige Auswirkungen, wenn es regelmäßig ausgeschüttet wird. Kunden berichten, dass sie im Alltag selbstbewusster werden, in sozialen Situationen besser klarkommen. Sie fühlen sich in ihrer Haut wohler, ihr Schlaf verbessert sich und sie sind in Stresssituationen gelassener. Oft höre ich auch, dass die Lebensfreude wiederkehrt. Viele Menschen haben zwar ein ganz ordentliches, normales Leben, aber Spaß haben die wenigsten dran. Das kann Kuscheln definitiv ändern.

Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Übel, es ist quasi eine Volkskrankheit.

Wer bucht Kuschelstunden?
70 Prozent sind Männer, 30 Prozent Frauen. Sie kommen aus jeder Altersstufe und aus allen möglichen Berufen. Der Beziehungsstatus ist in 80 Prozent Single, getrennt oder geschieden, der Rest ist in einer Beziehung. Das gemeinsame Merkmal ist die Einsamkeit, denn Einsamkeit ist ein weit verbreitetes Übel, es ist quasi eine Volkskrankheit.

Wie viele KundInnen hat die Kuschel Kiste?
Ich kann hier nur Auskunft über meine Kunden in Leipzig geben: Drei bis vier Kunden pro Woche in normalen Zeiten. Es gibt natürlich Fluktuationen. Besonders jetzt durch Corona.

Sie bieten Kuscheln in Österreich, Deutschland und der Schweiz an. Wo wird das Service am besten angenommen?
Am besten kommt das Kuscheln in Wien und im Westen Deutschlands an, vor allem in Großstädten. Ich würde sagen, hier sind die Menschen besonders einsam und dadurch besonders bedürftig. In Luxemburg und der Schweiz ist die Skepsis schon noch sehr groß und - durch die Größe der Länder - überwiegt die Scham oder Furcht, entdeckt zu werden, leider oft noch.

Langfristig plane ich, das Kuscheln als normalen Beruf zu etablieren, dessen Leistung im besten Fall von der Krankenkasse übernommen wird.

Wird Ihre Kuscheltherapie auch von ÄrztInnen verschreiben?
Es gibt immer wieder Kooperationen mit Therapeuten/Psychologen. Derzeit kommen einige Kunden mit einem Attest von ihrem Psychiater oder Arzt, dass das Kuscheln für sie medizinisch notwendig ist. Das ist aber ein ganz neuer Trend, bislang wird ja leider Fußpflege eher als notwendig angesehen als eine Entspannungsmassage. Eine völlig verkehrte Welt. Langfristig plane ich, das Kuscheln als normalen Beruf zu etablieren, dessen Leistung im besten Fall von der Krankenkasse übernommen wird.

Wie wird man zum Kuschler, zur Kuschlerin? Welche Fähigkeiten muss man dafür mitbringen?
Man braucht eine grundsätzliche Zuneigung und Offenheit allen Menschen gegenüber und muss daran glauben, dass jeder Mensch es verdient hat, bekuschelt zu werden. Außerdem muss man sehr altruistisch sein, denn es geht nicht um einen selbst, sondern um den anderen. Dazu braucht es viel Empathie und eine große Fähigkeit, Körpersprache zu beherrschen.
Man muss auch seine eigenen Grenzen setzen können, wie oben bereits erwähnt. Und auch emotionale Reaktionen dürfen einen nicht schockieren. Wir verweisen unsere Kunden bei Problemen zwar an Psychologen etc., allerdings kommt es beim Kuscheln häufig vor, dass Dinge aufbrechen, die wir dann auch auffangen müssen.

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Elisa Meyer: "Als Kuschler sind wir dazu berufen, die Kollateralschäden der Lockdowns abzumildern" © Elisa Meyer

Wie schwer haben Sie es aufgrund der Corona-Krise? Vermutlich ist die Nachfrage gestiegen – aber die Möglichkeiten sind wohl eher eingeschränkt?
Durch die Berufsverbote bin ich direkt betroffen. Diese steigern allerdings die Nachfrage. Denn was einem verboten wird, das will man besonders. So gesehen muss ich eigentlich dankbar sein, denn ohne die Verbote und das Isolationsgebot würden die meisten Menschen weiterhin lieber in ihren Onlinewelten leben und nichts vermissen. Nun wird aber im öffentlichen Diskurs darüber gesprochen, was Umarmungen eigentlich bewirken, warum sie wichtig sind, und was passiert, wenn man zu wenig kuschelt. Das ist eine super Entwicklung! Deswegen schreibe ich auch an meinem zweiten Buch, wo es genau darum gehen wird. Titel: „Kuscheltherapie“. (Hier geht es zum Crowdfunding des Buches.)
Als Kuschler sind wir dazu berufen, die Kollateralschäden der Lockdowns abzumildern, damit es weniger Depression, Burnouts, Selbstmorde, etc. geben wird. Da haben alle Therapeuten und Körperarbeiter eine wichtige Rolle für die nächsten paar Jahre.

Sind Sie selbst vergeben? Wenn ja, wie schwer ist das für Ihren Partner/Ihre Partnerin?
Nein. Ich würde mir aber auch nie jemanden suchen, der damit ein Problem hätte.

Haben Sie auch einmal genug vom Kuscheln? Gibt es ein Zuviel an Körpernähe?
Nein, außer nach vier Stunden am Stück. Da ist man dann einfach „satt“ von Berührung.

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