Eine fürchterliche Bluttat erschütterte am Sonntag einen idyllischen Ortsteil von Kützbühel: Ein 25-Jähriger erschoss seine Ex-Freundin, deren Familie und ihren neuen Freund. Was treibt einen Menschen zu solch einer Gräueltat? Und warum sind es so gut wie immer Männer, die diese verüben? News.at befragte den Kriminalsoziologen Dr. Reinhard Kreissl.
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4.00 Uhr morgens. Der 25-Jährige klingelt am Haus, in dem die 19-Jährige, die sich zwei Monate zuvor von ihm getrennt hat, zusammen mit ihrer Familie wohnt. Der Vater öffnet die Türe, weist den jungen Mann ab. Eineinhalb Stunden später steht dieser erneut vor der Türe. Dieses Mal mit der Pistole seines Bruders bewaffnet, die er einem Tresor entnommen hat. Er erschießt zuerst den Vater der 19-Jährigen, dann ihre Mutter und ihren Bruder, bevor er seine Ex-Freundin und ihren neuen Freund tötet. Anschließend sucht er die Polizeiinpektion auf, um ein Geständnis abzulegen. Ein Alkoholtest fällt negativ aus.
Was waren die Gründe?
Dass sich der 25-Jährige gestellt hat, ist Kreissl zufolge untypisch. Häufig ende eine derartige Tat mit einem Suizid. Doch was bewegt einen jungen Menschen dazu, eine ganze Familie auszulöschen? "Es gibt US-amerikanische Untersuchungen an Strafgefangenen, die für einen Mord einsitzen. Wenn man sie nach ihrem Motiv fragt, hört man immer wieder: 'He didn't respect me'". Es geht also um Respekt. Und um Anerkennung. Eine Trennung ist gewissermaßen eine Zurückweisung. Der Betroffene fühlt sich verletzt und nicht respektiert. "Das ist ein Element in dieser toxischen Mischung", so der Kriminalsoziologe.
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Andere Elemente wurzeln in der jeweiligen Biografie des Täters. "Gewalttäter waren meist selbst einmal Opfer", erklärt der Experte. Auch permanenter Druck könne dazu beitragen, dass das Fass irgendwann einmal überlauft. So zum Beispiel ständiger Erfolgsdruck oder die Beschneidung des Betroffenen in seinem persönlichen Handlungsspielraum. "Wenn er immer nur hört, er darf dies nicht und er darf jenes nicht", veranschaulicht Kreissl, dem zufolge der Zugang zu Waffen ein zusätzliches Problem darstelle. Natürlich könne man auch zu einem Küchenmesser greifen. "Aber die Schwelle, jemanden mit einer Schusswaffe zu töten, ist eine ganz andere".
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Verändertes Rollenbild erschwert Situation
Dann wäre da noch die Sache mit dem Rollenbild: Die Rolle des Mannes wandelt sich zusehends - sowohl im familiären als auch im beruflichen Kontext. Der Mann ist nicht länger der Alleinverdiener, das ökonomische Zentrum der Familie. Gleichzeitig stellt der Arbeitsmarkt neue Anforderungen an ihn. Gefragt sind heute mehr denn je Kreativität, Einfühlungsvermögen, Kommunikations- und Anpassungsfähigkeit - "alles nicht unbedingt männliche Werte", so Kreissl. Alte Modelle lösen sich auf, die Rolle des Mannes, der mitunter auch eine Entwertung seiner traditionellen Fähigkeiten verspürt, muss neu definiert werden. Verunsicherung ist die Folge, die nicht zuletzt in Gewalt mündet.
Nun sind es meist die Männer, die mit Gewalt reagieren. Warum? Einerseits, so Kreissl, richten Frauen Gewalt und Frustration eher nach innen, während Männer sie nach außen richten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Gesellschaft es von ihnen so erwartet. "Männer werden kriminell, Frauen krank". Zum anderen verfügen Frauen andere Konfliktlösungsstrategien. "Frauen lösen Konflikte intelligenter - über kommunikative Strategien." Was nicht bedeutet, dass nicht auch sie aggressiv und hinterhältig sein können. Nur äußert sich das bei ihnen eben anders. Was ihnen oft zum Verhängnis wird.
Totschlag oder Mord?
"Männer kommen vor Gericht häufiger mit Totschlag davon", erklärt der Experte. Weil sie damit argumentieren, die Tat im Affekt begangen zu haben. "Frauen müssen zu raffinierteren Strategien greifen. Weil sie körperlich unterlegen sind." Während Männer also - überspitzt formuliert - zuschlagen, hecken Frauen einen Plan aus. Womit das Argument der Tat im Affekt nicht mehr greift. "Bei einer Beziehungstat hat die Frau im Strafrecht häufig die schlechteren Karten, weil ihre Tat eher einem Mord entspricht. Das ist die Ironie des Gesetzes."
Apropos Affekt: "Keiner von uns ist davor gefeit, in so einer Situation auszurasten", sagt der Kriminalsoziologe. Für gewöhnlich halten uns zivilisatorische Schranken davon ab, eine Bluttat wie jene in Kitzbühel zu begehen. Gerade bei einer Beziehungstat wie dieser sei es aber oft ein Trigger, der einen speziellen Prozess in Gang setzt, den man dann nicht mehr bewusst kontrollieren kann. Menschen, die einen begangenen Mord aufarbeiten, sprechen oft von einem Blackout. "Da läuft irgendein Automatismus ab. Das kann im Prinzip jedem passieren". Wenn die Wahrscheinlichkeit auch relativ gering ist.
Ein Leben lang ein Mörder?
Natürlich könne man nun davon ausgehen, dass aggressive Menschen auch eine niedrigere Hemmschwelle haben. Anderseits hieße es, so der Experte, nicht umsonst: Hunde, die bellen, beißen nicht. Oder aber: Stille Wasser sind tief. "Es gibt keine Phänomenologie des Mörders." Und so schwer die Tat auch wiegt - letztlich dürfe man nicht vergessen, dass der Mensch in einem einzigen Moment seines Lebens ein Mörder war, während er die übrige Zeit vermutlich mehr oder weniger wie jeder andere gelebt hat. "Man muss ihm auch die Chance geben, da irgendwann einmal wieder rauszukommen."
Steckbrief
Dr. Reinhard Kreissl
Dr. Reinhard Kreissl ist Soziologe und Publizist. Er forschte und unterrichtete in Deutschland, Australien, den USA und Österreich. Sein Schwerpunkt liegt u.a. auf der Rechtssoziologie sowie der Soziologie abweichenden Verhaltens und sozialer Kontrolle. Er ist Mitherausgeber des Fachmagazins "Kriminologisches Journal". Von 2012 bis 2015 war er wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie in Wien. 2015 gründete er das Vienna Centre for Societal Security (VICESSE), als dessen Direktor er fungiert.
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