Wie viele Kinder werden in Österreich durch Kaiserschnitt geboren?
Hebamme Amelie Zitny: Etwa jedes dritte Kind kommt so zur Welt. Diese Rate von ca. 30 Prozent ist relativ hoch, weitaus höher als sie sein sollte. Die WHO empfiehlt 10-15 Prozent.
Wie oft ist ein Kaiserschnitt – ohne medizinischen Grund – gewollt?
Eher selten, das passiert nicht oft, etwa zwei bis drei Prozent der Kaiserschnitte sind auf Wunsch. Es hängt auch stark davon ab, ob es ein öffentliches Krankenhaus ist oder ein privates.
Es ist also prinzipiell zugelassen, dass eine Frau beispielsweise sagt, sie will einen Kaiserschnitt an diesem bestimmten Datum, weil das ihr Glückstag sei?
Ja prinzipiell schon, da geht es um ihr Selbstbestimmungsrecht.
Ist dann vorab eine Beratung oder ein Gespräch vorgeschrieben?
Wenn eine Frau einen Kaiserschnitt wünscht, bekommt sie ein Gespräch mit einem Facharzt und dieser wird gemeinsam mit ihr versuchen, herauszufinden, was der Grund für diesen Wunsch ist. Vielleicht ist es eine Fehlinformation, eine bestimmte Angst, die er ihr nehmen kann und die Frau entscheidet sich dann doch für eine normale Geburt. Manches Mal gibt es aber Umstände, die absolut für einen Wunschkaiserschnitt sprechen.
Prinzipiell ist eine gute Vorbereitung auf die Geburt wichtig, denn so können Frauen besser mitreden, Fragen stellen und mitbestimmen. Sie werden dadurch kompetenter.
Was spricht denn gegen so einen Wunschkaiserschnitt?
Der Kaiserschnitt ist eine große Bauchoperation. Bei jeder großen OP gibt es Risiken wie Blutungen, Infektionen oder Wundheilungsstörungen. Und bei Folgeschwangerschaften kann es zu Plazentaeinnistungsstörungen kommen. Für das Neugeborene ist eine unkomplizierte, spontane Geburt besser als ein geplanter Kaiserschnitt. Die Wehentätigkeit bereitet ein Ungeborenes hormonell auf die Kreislaufumstellung nach der Geburt vor.
Gilt die Aussage „Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt“ noch?
Nein, im Gegenteil! Der Trend geht mehr zu vaginalen Geburten nach Kaiserschnitt. Gerade Frauen, die das erste Kind per Kaiserschnitt bekommen haben, werden unterstützt, das nächste Kind vaginal zu gebären. Da findet gerade ein großer Wandel statt, es ist auch ein starkes Bestreben der Gesundheitspolitik, die Sectiorate zu senken. Frauen können definitiv nach einem Kaiserschnitt eine normale Geburt anstreben. Außer natürlich die Indikation für den ersten Kaiserschnitt wiederholt sich. Wichtig ist natürlich auch, dass bei Problemen jederzeit rasch gehandelt werden kann.
Gibt es prinzipiell einen Trend zu natürlichen Geburten oder sogar zu Hausgeburten?
Hausgeburten sind konstant, konstant niedrig. Doch der Wunsch der Frauen, natürlich und aus eigener Kraft zu gebären, war und ist immer sehr hoch. Es kann sein, dass durch Internet und Co. die Frauen immer besser informiert sind und so ihre Wünsche klarer definieren und äußern können. Im Krankenhaus ist es sicher das Ziel, die Sectiorate zu senken, weil sie definitiv zu hoch ist und es dafür nicht immer gute Gründe gibt.
Ist ein Kaiserschnitt für das Krankenhaus lukrativer?
Meines Wissens nach nicht, es gibt eine Pauschale. Aber wirklich seriös kann ich diese Frage nicht beantworten. Eines liegt aber klar auf der Hand: ein Kaiserschnitt ist planbarer für alle Beteiligten.
Ist auch dadurch die Kaiserschnittrate gestiegen?
Nein, sondern weil man das einfach als medizinischen Fortschritt ansah und es für die beste und sicherste Methode hielt. Was sich inzwischen wieder langsam relativiert.
Sind Kaiserschnitte für Mütter oft traumatisch? (Stichwort: „Ich hab es nicht geschafft“)?
Ja das kommt ganz häufig vor. Ich schätze, neun von zehn Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, hadern damit. Einerseits hadern sie mit ihrer Weiblichkeit und eben dem Gefühl, es „nicht geschafft“ zu haben. Andererseits ist es für Eltern oft ganz schlimm, wenn sie das Gefühl haben, nur sie hätten für eine natürliche Geburt gekämpft, nicht aber das Team aus Ärzten und Hebammen. Wenn dieses Team jedoch der Mutter das Gefühl gibt, man habe gekämpft und alles versucht, aber aus medizinischen Gründen sei eben einfach ein Kaiserschnitt nötig, dann sind die Nachwirkungen meist schon weniger traumatisch.
Wie helfen Sie als Hebamme, wenn Sie in der Nachbetreuung merken, dass die Mütter mit dem Kaiserschnitt zu kämpfen haben? Was kann man da tun?
Was ich oft mache, ist ein sogenanntes Re-Bonding mittels Heilbad. Da wird das Baby gebadet und dann nass der Mutter auf den nackten Bauch gelegt. Danach werden beide eingepackt und kuscheln lange. Meist fließen dann bei Mama und Kind die Tränen. Das Bonding (Beziehungsband knüpfen) fehlt nämlich oftmals nach einem Kaiserschnitt, weil die Babys nicht immer sofort zur Mutter können. In einem Gespräch über die Geburt versuche ich danach, ein paar Themen aufzulösen.
Ich rate Ihnen auch, alles niederzuschreiben, zum Beispiel in einem Brief, der nicht unbedingt abgeschickt werden muss.
Sehr gut ist es auch, wenn man die Geburt mit dem Arzt und der Hebamme noch einmal nachbespricht, sei es am Tag nach der Geburt oder auch Monate danach, dann, wenn die Mutter das Bedürfnis danach hat. Die meisten Ärzte und Hebammen sind sicher dazu bereit. Allerdings haben Mütter mit kleinen Babys meist weder Kraft, Energie oder Zeit dazu.
Wichtig ist es auf jeden Fall, sich Hilfe und das Gespräch zu suchen. Für Mütter, aber auch Väter, mit traumatischen Geburtserlebnissen gibt es Anlaufstellen in Form von psychologischer Hilfe, Selbsthilfegruppen und Körperarbeit.
Ganz schlimm ist es übrigens, wenn Menschen im Umfeld Sätze sagen wie – und das tun sie leider oft: „Sei froh, dass du ein gesundes Kind hast.“ Das unterstellt der Mutter, sie sei nicht froh. Das hilft gar nicht.
Was sind die häufigsten medizinischen Gründe für einen Kaiserschnitt?
Das sind meist zwei Dinge, einerseits der Geburtsstillstand, wenn sich über Stunden nichts tut und das Kind nicht runterrutscht, oder sich der Muttermund nicht öffnet und andererseits, wenn es dem Baby nicht gut geht. Die andere Hälfte der Kaiserschnitte sind geplante (medizinische) Kaiserschnitte.
International gesehen gibt es enorme Unterschiede: In Brasilien etwa ist die Sectiorate mit über 50 Prozent enorm hoch, in Skandinavien mit etwa 15 Prozent wiederum sehr niedrig. Wie erklären Sie das?
Das sind wohl einfach unterschiedliche Entwicklungen im Sektor der Geburtshilfe, Skandinavien ist hier, wie auch im Bildungsbereich, extrem fortschrittlich. In Brasilien etwa ist das Gegenteil der Fall. Doch versucht man da auch eine Trendwende zu erreichen und die vaginale Geburt frauenfreundlicher (mit Betreuung und Schmerzmittelgabe) “attraktiver” zu gestalten.
Info zur Person:
Amelie Zitny ist Mutter von drei Kindern und seit 1994 als Hebamme tätig. Aktuell arbeitet sie an einer großen Geburtsklinik in Wien. Zusätzlich betreut sie als Wahlhebamme auch Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt und im Wochenbett. Gemeinsam mit der Gynäkologin Dr. Jasmin Rahhal-Schupp hat sie einen Online-Geburtsvorbereitungskurs erstellt: www.deine-geburt.com - unter anderem auch mit Infos rund um den Kaiserschnitt.
Filmtipp
Amelie Zitny erwähnte im Gespräch mit News auch den Film "Meine Narbe - Ein Schnitt ins Leben" von der österreichischen Regisseurin Mirjam Ungar zu dem Thema. Darin erzählen Eltern schonungslos ehrlich über ihr persönliches Erleben des Kaiserschnittes und schildern die drastischen Folgen davon. Der Film kann hier angsehen werden.
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