Während in Österreich noch debattiert wird, macht Italien Nägel mit Köpfen und führt die Impfpflicht für Kinder bis zu sechs Jahren ein. Wer nicht geimpft ist, wird nicht zum Schulbesuch zugelassen. Soll es auch in Österreich eine Impfpflicht für Kinder geben? Die einen schlagen aufgrund der aktuellen Zahl an Masernfällen Alarm, die anderen warnen vor möglichen Impfschäden. Wie hoch ist das Risiko, einen Impfschaden zu erleiden? Kann eine Impfung tatsächlich zu Autismus führen? Und was passiert, wenn wir uns nicht impfen lassen?
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In Österreich wird über eine verpflichtende Masern-Mumps-Röteln-Impfung in Kindergärten und Schulen debattiert. Der Grund: In den ersten zwei Monaten dieses Jahres hat es in zehn Ländern Europas, darunter Österreich, bereits mehr als doppelt so viele Masernfälle gegeben wie im gesamten Jahr 2016. Dass es sich dabei um keine harmlose Kinderkrankheit handelt, bestätigt Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien: "Masern sind hoch infektiös. Ist man nicht immun, steckt man sich bei Kontakt mit einer erkrankten Person mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit an."
Immun ist man, wenn man zu einem früheren Zeitpunkt bereits selbst an Masern erkrankt ist. Oder sich impfen hat lassen. Kritische Stimmen bemängeln, dass man trotz Impfung an Masern erkranken könne. Dazu die Expertin: "Es macht einen Unterschied, ob sich eine Person, wie vorgesehen, zweimal oder nur einmal impfen hat lassen." In ersterem Fall liegt der Schutz zwischen 97 und 98 Prozent. Nicht auf die Impfung ansprechen würden nur ein bis drei Prozent. Beim Rest sei die Immunisierung höchst wirksam.
Folgen der Masernerkrankung mitunter fatal
Wurde eine Person nur einmal geimpft, ist kein lebenslanger Schutz gegeben. Nicht, weil der Impfstoff mangelhaft wäre, sondern weil er schlicht und einfach nicht ordnungsgemäß angewendet wurde. Hier besteht, ebenso wie bei Personen, denen gar keine Impfung zuteil wurde, die Gefahr einer Maserninfektion, die wiederum schwerwiegende Erkrankungen nach sich ziehen kann. Eine Mittelohr- oder Lungenentzündung zählt dabei noch zu den harmloseren. Anders als die Gehirnentzündung: "Ein Viertel der Erkrankten stirbt. Und ein Großteil derer, die überleben, hat bleibende Hirnschäden", warnt die Expertin.
Abgesehen davon kann eine Maserninfektion bereits bestehende Immunzellen großflächig zerstören. Zellen, die uns bis dahin vor verschiedensten anderen Erkrankungen geschützt haben. Es kann Wochen, ja sogar Monate dauern, bis sich das Immunsystem wieder vollständig regeneriert hat. In der Zwischenzeit besteht die erhöhte Gefahr, zusätzlich zu den Masern auch noch andere Infektionen zu bekommen, die, wie Wiedermann-Schmidt warnt, "in Summe einen ganz schweren Verlauf nehmen können".
Babys wiederum sind während ihrer ersten Lebensmonate nur dann geschützt, wenn die Mutter - egal ob aufgrund einer ausgeheilten Erkrankung oder einer Impfung - immun ist. Durch die Antikörper, die sie an das Kind weitergegeben hat, sinkt das Infektionsrisiko. Ist der sogenannte Nestschutz nicht gegeben, steigt das Ansteckungsrisiko. Und damit die Gefahr einer schleichenden, dauerhaften Hirnentzündung, die, so die Expertin, zu hundert Prozent tödlich verläuft. "Dieses Risiko soll man nicht eingehen."
Wie groß ist das Risiko eines Impfschadens?
So viel zu den Gefahren, die der Verzicht auf eine Masernimpfung mit sich bringt. Doch wie steht es um das Risiko, das man eingeht, wenn man sich impfen lässt? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, einen Impfschaden zu erleiden? Dazu die Expertin: "In Österreich werden ganz wenige Fälle gemeldet." Impfschäden sind hierzulande nämlich meldepflichtig. Besteht der Verdacht auf einen Impfschaden, wird ein Verfahren eingeleitet, in dem untersucht wird, ob es sich tatsächlich um einen solchen handelt.
"Zwischen 2010 und 2011 wurden 36 solcher Verfahren nach dem Impfschadengesetz abgeschlossen", erzählt Wiedermann-Schmidt. Die Verfahren laufen oft über mehrere Jahre. Somit kann das ursprüngliche Ereignis lange zurückliegen. "30 der Verfahren wurden als negativ eingestellt, sechs Fälle als positiv deklariert." Zwei davon waren auf eine Tuberkuloseimpfung, eine auf einen Lebendimpfstoff gegen Polio zurückzuführen. Eine weitere Schadensmeldung wurde in Zusammenhang mit der Hepatitis-B-Impfung eingebracht.
Jener Tuberkulose- und Polioimpfstoff, auf die sich die Schadensmeldungen bezogen haben, gibt es heute bei uns gar nicht mehr. Und was den Schaden betrifft, der durch die Hepatitis-B-Impfung hervorgerufen wurde: Hier kam es zu einer Entzündung des Augennervs, die sich mittlerweile wieder vollständig zurückgebildet hat. Alles in allem seien anerkannte Impfschäden mehrheitlich auf früher verwendete Impfstoffe zurückzuführen. "Die Nebenwirkungen der Impfstoffe waren früher ungleich größer", entwarnt die Expertin.
So etwa die Tuberkulose- und die Pockenimpfung. Wobei zu der Zeit, als Letztere noch üblicherweise zum Einsatz kam, eine entsprechende Impfpflicht bestand. "Alle mussten sich impfen lassen. Nur so konnte man die Pocken ausrotten." Heute gibt es der Expertin zufolge gar keinen Impfstoff mehr, der derart hohe Nebenwirkungen hat wie die Pockenimpfung damals. So sei auch die Gefahr, dass die Masernimpfung einen Schaden verursacht, minimal. Gleichzeitig könnte man die Masern, wenn die ganze Bevölkerung konsequent geimpft werden würde, ausrotten.
Kann Impfen zu Autismus führen?
Trotz des Wissens um das tatsächliche Risiko eines Impfschadens gehen uns Berichte über Kinder, die nach einer Impfung an Autismus erkrankt sein sollen, nicht aus dem Kopf. Hierfür zeichnet ein gewisser Andrew Wakefield verantwortlich. 1998 veröffentlichte der damals als Arzt tätige Brite eine Studie, in der er einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismus herstellte. Bald stellte man allerdings fest, dass die Daten, auf der die Studie basierte, haltlos waren.
Die Studie wurde zurückgezogen, Wakefield bekam Berufsverbot. Einige Jahre später veröffentlichte ein japanischer Spezialist für Autismus eine Studie, die Wakefields Ergebnis eindeutig widerlegte. Die Vorstellung, zwischen besagter Impfung und Autismus könnte ein Zusammenhang bestehen, bleibt dennoch fest in den Köpfen vieler Menschen verankert. Letztlich entscheide aber die Frage: Welches Risiko bringt eine Impfung wirklich? Und wie hoch ist die Gefahr, wenn man sich nicht impft lässt?
Steckbrief
Ursula Wiedermann-Schmidt
Ursula Wiedermann-Schmidt ist Fachärztin für Immunologie und Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien.