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Grazer Forscherin: "Offene Placebos" wirken ohne Täuschung

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Offener Placebo: Kinder reagierten schwächer auf Fotos mit Süßigkeiten
©APA, dpa, Henning Kaiser
Placebos können Leiden sogar verringern, wenn die Patienten wissen, dass sie eine wirkstofffreie Substanz schlucken, sagte die klinische Psychologin Anne Schienle aus Graz im Gespräch mit der APA. Der Effekt ist etwa bei Angststörungen und Depressionen recht groß und könnte auch übergewichtigen Kindern das Abnehmen erleichtern. Allerdings hatten dermaßen viele Eltern Vorbehalte gegen solche "offene Placebos", dass sie nicht genug Freiwillige für eine klinische Studie fand.

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Schienle, die an der Abteilung für Klinische Psychologie der Universität Graz arbeitet, wollte bei adipösen (fettleibigen) Kindern testen, ob offene Placebos ihre übermäßige Esslust dämpfen. "Wir werden ständig mit Nahrungsreizen konfrontiert, die Appetit machen, sei es im Fernsehen, beim Vorbeigehen an einem Schaufenster oder in den Medien", erklärte sie in einer Aussendung des Wissenschaftsfonds (FWF), der ihre Forschung fördert: "Für Kinder ist es in solchen Situationen besonders schwierig, nur so viel zu essen, wie sie wirklich brauchen."

Für die Teilnahme an der Studie brauchten die adipösen Kinder freilich die Zustimmung der Eltern. Diese waren aber in der Mehrzahl skeptisch. "Sie haben gesagt: Mein Kind soll da nicht mitmachen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass das hilft", so Schienle. Sie fand deshalb nicht genug Freiwillige, um einen Effekt von offenen Placebos auf die Esslust über mehrere Wochen zu untersuchen. "Das war das erste Mal in meinem Forscherinnenleben, dass ich eine Längsschnittstudie (mehrfache Erhebung über einen längeren Zeitraum, Anm.) nicht durchführen konnte", berichtete sie.

"Wir haben daraufhin eine Umfrage bei 800 Erwachsenen durchgeführt, ob sie selbst eine 'offene Placebo'-Pille einnehmen oder ihren Kindern verabreichen würden", sagte die Psychologin: "Es zeigte sich, dass offene Placebos stark polarisieren." Ein Drittel der Eltern lehnte die Mittel strikt ab und hielt eine Wirkung für nicht plausibel. Ebenfalls ein Drittel zeigte sich davon jedoch überzeugt und würde ein offenes Placebo selbst oder bei den eigenen Kindern ausprobieren. Wer eine ganz klassische schulmedizinische Einstellung hat, will kaum offene Placebos versuchen, so Schienle: "Wenn aber jemand überzeugt ist, dass der Geist den Körper beeinflussen kann, ist dies ein positives Anzeichen, dass er diese als Therapiemöglichkeit akzeptiert."

"Es ist tatsächlich so, dass Störungen gut auf Placebos ansprechen (das heißt, die Symptome lassen nach, Anm.), wo eine emotionale oder auch motivationale Komponente wichtig ist", erklärte sie: "Zum Beispiel im klinischen Bereich der Angststörungen und Depressionen weiß man, dass der Placeboeffekt relativ groß ist." Es gebe auch schon eine Reihe von Studien, dass auch offene Placebos ein Leiden reduzieren können und das Wohlbefinden steigern.

Sie sind eine fairere Alternative zu "klassischen" Placebos, die mit Täuschung der Patienten arbeiten, so Schienle: "Wenn man den Betroffenen sagt, sie erhalten ein bestimmtes Medikament zur Verringerung ihrer Symptome, ihnen tatsächlich aber eine inerte (untätige, Anm.) Substanz verabreicht, ist das mit ethischen Problemen behaftet." Denn dadurch wird ihnen die rechtlich vorgeschriebene "Patientenaufklärung" versagt. Bei offenen Placebos sei dies nicht der Fall. "Hier wissen die Patienten genau, dass die Substanz keine pharmakologische Wirkung hat, aber trotzdem helfen soll, die Symptome zu reduzieren", sagte sie.

"Der Therapieerfolg kommt bei offenen Placebos vermutlich durch die körperlichen Rituale, die man von der klassischen Medizin zum Beispiel bei der Einnahme von Medikamenten kennt", erklärte Schienle: "Das setzt unbewusste Mechanismen in Gang und regt die Selbstheilungskräfte an." Am besten wäre es demnach, wenn man die Einnahme des Scheinmedikaments richtiggehend zelebriert, anstatt es profan hinunterzuschlucken.

Schließlich konnte die klinische Psychologin doch ein Experiment mit offenen Placebos durchführen, und zwar bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Wenn sie blau gefärbtes Wasser als Mundspray erhielten, reagierten die Kinder nach dem Betrachten von Fotos mit Süßigkeiten weniger stark darauf. Ihre körperlich automatisierte Reaktion, die etwa vermehrten Speichelfluss, physiologische Erregung und neuronale Aktivität in bestimmten Gehirnregionen umfasst, war geringer. "Die Jugendlichen und Erwachsenen zeigten hingegen mehr Skepsis gegenüber dem Konzept und der Effekt wurde nicht erreicht", so Schienle: "Das weist darauf hin, dass die Wirkung offener Placebos von einer positiven Einstellung der Person abhängt."

Dass die Kinder nicht verstanden, was ein Placebo überhaupt ist, schließt sie aus: "Die Kinder haben gesagt: Eigentlich weiß ich, dass es nicht helfen kann, aber ich habe das Gefühl, es hilft doch."

Auch Kindergartenkinder sprachen auf offene Placebos an und könnten dadurch zu mehr Bewegung motiviert werden. Sie erhielten von Schienle teils einen "Zaubertrank, der schneller macht" als täuschendes Placebo, teils ein offenes Placebo. Anschließend sollten die Kinder möglichst flott laufen. "Mit beiden Arten von Placebo waren sie schneller als ohne", berichtete die Psychologin.

(S E R V I C E - FWF-Projekt - https://www.fwf.ac.at/forschungsradar/10.55776/KLI1062, DOIs der Fachpublikationen - https://www.mdpi.com/2227-9067/11/11/1320, https://doi.org/10.3390/ejihpe14080161, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38333629/)

KÖLN - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/dpa/Henning Kaiser

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