Sich glutenfrei zu ernähren gehört heute quasi zum guten Ton. Oder aber zumindest auf Weizen zu verzichten. Denn beide tun uns, wie ja gemeinhin bekannt, nicht gut. Meint man. Die Realität sieht allerdings, wie nun auch eine aktuelle US-Studie belegt, anders aus. Wann ist es wirklich notwendig, Gluten gänzlich vom Speiseplan zu streichen? Welche Gefahren birgt eine entsprechende Diät, wenn keine medizinische Notwendigkeit vorliegt? Ist Weizen schädlich? Und warum ist es heute so schick, auf derlei Inhaltsstoffe zu verzichten?
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Sich glutenfrei zu ernähren liegt in den USA schon seit Jahren im Trend. Rund ein Viertel der US-Bevölkerung verzichtet laut DI Mag. Julia Edlmair von der "Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Zöliakie" auf glutenhaltige Produkte. Australien ist ebenso vorne mit dabei. Mittlerweile hat der Hype auch Österreich erreicht. Weil es - so die Annahme - prinzipiell gesünder ist auf Gluten zu verzichten. Und es obendrein beim Abnehmen hilft. Ein Irrglaube, wie die Expertin weiß. Und wie nun auch eine aktuelle US-amerikanische Studie belegt.
US-Forscher sprechen Warnung aus
Forscher der Harvard School of Medicine und der Columbia University gingen der Frage auf den Grund, ob der Verzicht auf Gluten der Herzgesundheit zugute kommt. Für ihre Untersuchung werteten sie die Daten zweier US-Langzeitstudien mit insgesamt 110.000 US-Amerikanern aus. Das Ergebnis: Der Verzicht auf Gluten wirkt sich nicht positiv auf die Herzgesundheit aus. Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein. Denn wer auf Gluten von verzichtet, verzichtet auch auf Vollkornprodukte. Und damit auf Inhaltsstoffe wie Vitamin B, die das Herz schützen.
"Basierend auf unseren Daten ist eine glutenarme Diät nur mit dem Ziel der Herzgesundheit nicht zu empfehlen", folgern die Forscher im "British Medical Journal". Und damit nicht genug, gelten Vollkornprodukte doch auch als wichtiger Lieferant von Ballaststoffen, die wiederum die Darmtätigkeit regulieren und dafür sorgen, dass der Blutzuckerspiegel langsamer ansteigt, wie Martin Raithel von der Deutschen Gesellschaft für Allergologie gegenüber "welt.de" betont. Insofern ist es nicht ratsam, glutenhaltige Produkte gänzlich vom Speiseplan zu streichen.
Wo Gluten drin steckt und was es kann
Die meisten Getreidesorten enthalten Gluten, auch Klebereiweiß genannt. Allen voran Weizen, aber auch Dinkel, Roggen und Gerste - um nur die bekanntesten zu nennen. Wie der Zweitname verrät, punktet der Inhaltsstoff mit seiner Bindungsfähigkeit. Daher wird beispielsweise Weizenmehl auch gerne für Saucen verwendet. Verzichtet man dagegen auf Gluten, muss ein anderes Bindemittel her. Dabei verändert sich mitunter auch der Geschmack des Lebensmittels. Um das zu kompensieren, wird oft mehr Fett oder Zucker beigemengt. So kommt es, dass glutenfreie Produkte häufig kalorienreicher sind als glutenhaltige.
Beim Abnehmen helfen glutenfreie Produkte also nicht. Und wie steht es um deren gesundheitlichen Mehrwert? Prinzipiell, so Edlmair, schadet es nicht, sich glutenfrei zu ernähren. Es bestünde auch keine Gefahr von Mangelerscheinungen, solange man sich insgesamt ausgewogen ernährt. Die Sache hat allerdings den einen oder anderen Haken. Auf Gluten gänzlich verzichten - und das ein Leben lang - muss nur, wer an der Autoimmunkrankheit Zöliakie leidet. Von ihr ist rund ein Prozent der Bevölkerung betroffen. Möglicherweise auch mehr, da eine hohe Dunkelziffer nicht ausgeschlossen werden kann.
Warum die Selbstdiagnose mehr schadet als nutzt
Bei Zöliakie-Patienten verursacht Gluten eine Entzündung im Dünnarm. Die Symptome können von Bauchschmerzen über Durchfall ebenso wie Verstopfung bis hin zu Hauterkrankungen und diversen Mangelerscheinungen reichen. Mit anderen Worten: Sie sind ausgesprochen vielfältig. Aus diesem Grund dauert es oft auch sehr lange, bis eine entsprechende Diagnose gestellt wird. "Zwischen den ersten Beschwerden und der Diagnose vergehen im Schnitt sieben Jahre", schildert Edlmair.
Ein Schnelltest schafft hier keine Abhilfe. Ebenso wenig eine Diät ohne entsprechende Diagnose. Im Gegenteil: "Wenn man vermutet, an Zöliakie zu leiden, dann nimmt man, wenn man auf Gluten verzichtet, die Therapie vorweg", warnt Prof. Eva Untersmayr-Elsenhuber, Allergieexpertin der MedUni Wien. Was eine medizinische Diagnose schlichtweg unmöglich macht. Die Symptome sind dann ja nicht mehr vorhanden, die Entzündung im Dünndarm mehr oder weniger ausgeheilt. So nimmt sich der Patient jegliche Chance auf Gewissheit.
So erfolgt die Zöliakie-Diagnose
Bei Verdacht auf Zöliakie ist der Gang zum Facharzt daher ein Muss, wobei die Diagnose in zwei Schritten erfolgt. Zuerst wird das Blut auf zöliakiespezifische Antikörper untersucht. Sind solche vorhanden, wird eine Gastroskopie durchgeführt. Bei der Gastroskopie wird dem Dünndarm eine Gewebeprobe entnommen, deren Untersuchung darüber Aufschluss geben soll, ob die Darmschleimhaut geschädigt ist. Ist das der Fall, kann man davon ausgehen, dass der Betroffene an Zöliakie leidet.
"Zöliakie ist eine ernstzunehmende Erkrankung", warnt Untersmayr-Elsenhuber. Ebenso wenig spaßen dürfe man mit einer Weizenallergie, die für den Betroffenen lebensbedrohliche Folgen haben kann. Hier reagiert man nicht auf das Gluten im Allgemeinen, sondern nur auf die im Weizen vorhandenen Eiweißstoffe. Andere Getreidesorten können problemlos verzehrt werden. Eine Weizenallergie wird per Pricktest diagnostiziert. Kein standardisiertes Diagnoseverfahren gibt es dagegen für die sogenannte Glutensensitivität.
Was bedeutet Glutensensitivität?
An einer Glutensensitivität leiden Edlmair zufolge zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung. Ursache und Therapiemöglichkeiten werfen hier noch einige Fragen auf. Doch: "Wenn Bauch-Darm-Beschwerden verschwinden und der Betroffene sich insgesamt fitter und leistungsfähiger fühlt, spricht nichts dagegen, sich glutenfrei zu ernähren." Immer vorausgesetzt, eine Zöliakie kann ausgeschlossen werden. Im Falle einer Sensitivität ist es aber "auch nicht so tragisch, wenn man mal eine normale Semmel isst", so Edlmair.
Es ist nicht so tragisch, mal eine normale Semmel zu essen. Weder für Personen mit Verdacht auf Glutensensitivität, und schon gar nicht für Gesunde. Und dennoch hat Gluten im Allgemeinen und Weizen im Speziellen heute oftmals keinen guten Stand bei den Konsumenten. Viele fragen sich: Ist Weizen per se schädlich? Dazu Untersmayr-Elsenhuber: "Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat man in der Landwirtschaft versucht, den Weizen zu optimieren." Die Pflanzen sollten resistenter, der Ertrag größer und die Backeigenschaften besser werden.
Weizen im Wandel der Zeit
Und weil für die guten Backeigenschaften nun mal das Gluten verantwortlich ist, versucht man mitunter seinen Gehalt per Züchtung zu erhöhen. "Was die Nutzpflanzenzüchtungen anbelangt, sind gewisse Lebensmittel heute anders als vor 50, 100 Jahren", bestätigt Edlmair. Man könne nicht ausschließen, dass dies Auswirkungen auf uns hat, dass der menschliche Körper manche Nahrungsmittel aufgrund ihrer Veränderung nicht mehr so gut verarbeiten kann.
"Natürlich hat sich der Weizen durch Züchtungen verändert", bestätigt Untersmayr-Elsenhuber. "Aber er ist auch ein Grundnahrungsmittel." Abgesehen davon sei es nie gut, ein Lebensmittel komplett vom Speiseplan zu streichen. Die Allergieexpertin befürwortet das wachsende Bewusstsein für gesunde Ernährung, eine generelle Verteufelung von Weizen heißt sie aber nicht gut. "Es gibt so viele wunderbare Getreidesorten. Die Abwechslung ist das, was gut ist und gefördert werden sollte", so Untersmayr-Elsenhuber. Was im Übrigen nicht nur fürs Getreide, sondern für die Ernährung allgemein gilt.