Jeden sechsten Menschen in Österreich belastet die dunkle Jahreszeit psychisch stark. Ab welchem Zeitpunkt professionelle Hilfe notwendig ist und wie Sie einem mentalen Tief im Herbst und Winter vorbeugen können
Wenn der Wecker läutet, ist es noch dunkel. Und beim Heimkommen ist es schon wieder dunkel. Dazwischen liegen graue, neblige und kalte Tage.
Die Monate von Anfang Oktober bis Ende Februar stellen für viele Leute eine mental schwierige Zeit dar. Jeder sechste Mensch in Österreich leidet an sogenanntem Herbst- und Winterblues. „Der Herbst- und Winterblues ist etwas Melancholisches“, erklärt Psychiaterin Elisabeth Harmankaya. „Die Menschen ziehen sich sozial zurück und sind vermehrt zu Hause. Sie blicken wehmütig auf das Jahr zurück.“
Bei rund ein bis drei Prozent der Betroffenen sind die Symptome jedoch noch schwerwiegender: Antriebs- und Freudlosigkeit, erhöhtes Schlafbedürfnis, reduziertes Selbstwertgefühl, unter dem die Betroffenen stark leiden, sowie veränderter Appetit.
Die Dunkelziffer sei allerdings hoch, ist Elisabeth Harmankaya überzeugt: „Viele Menschen können nicht beschreiben, wie sie sich fühlen, und holen sich keine professionelle Hilfe, wenn es ihnen schlechtgeht.“
Lichtmangel als ein Auslöser
Je kürzer die Tage, desto schlechter ist bei vielen Betroffenen die Stimmung. Wenig verwunderlich: Schließlich ist einer der Hauptgründe für mentale Probleme, die in der kalten, dunklen Jahreszeit auftreten, Lichtmangel.
Der Körper schüttet bei Dunkelheit vermehrt Melatonin aus. Dieses Hormon steuert unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus. Es sorgt dafür, dass wir müde sind, und dämpft gleichzeitig die Laune. „Der Körper signalisiert so, dass jetzt die Zeit wäre, mehr zu schlafen und Reserven zu sparen“, sagt Medizinerin Harmankaya, „doch das passt nicht mehr zum Lebensrhythmus der heutigen Gesellschaft.“
Auch Vitamin D spielt eine Rolle. Denn dieses Vitamin kann zwar über einen geringen Teil über die Nahrung aufgenommen werden, hauptsächlich wird es aber mit Hilfe von UVB-Strahlung vom Körper gebildet. Der Vitamin-D-Spiegel beeinflusst unter anderem unseren Serotoninhaushalt. Serotonin, das auch als Glückshormon bezeichnet wird, macht uns zufriedener.
Rasch professionelle Hilfe holen
Wer sich länger als zwei Wochen niedergeschlagen fühlt, sollte rasch einen Arzttermin vereinbaren. „Meist kommen die Menschen erst, wenn es ihnen richtig schlecht geht. Doch besser wäre, einmal zu früh zu kommen. Denn es geht auch um Prävention“, so die Psychiaterin.
Für Menschen, die wissen, dass es ihnen im Winter psychisch schlechter geht, macht es Sinn, sich darauf vorzubereiten und schon im Vorfeld Routinen in den Alltag einzubauen. „Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört, aktiv zu bleiben“, so die Expertin. Das betreffe einerseits den sportlichen, als auch den sozialen Bereich. Besonders gut tut ein Aufenthalt im Freien, solange es hell ist.
Kontrolle des Vitamin-D-Spiegels
Der überwiegende Teil der Österreicherinnen und Österreicher leidet vor allem im Winter an einem Vitamin-D-Mangel. Studien zufolge sind fast zwei Drittel der Menschen hierzulande unterversorgt. Bei älteren Menschen sind es sogar 95 Prozent.
Selbst jene Menschen, die öfters in der Natur unterwegs sind, sind davon betroffen. Denn einerseits enthalten viele Tagescremen einen UV-Filter, sodass die zur Bildung von Vitamin D notwendige UVB-Strahlung gar nicht in die Hautschichten eindringen kann. Andererseits ist die Intensität der Strahlung in unseren Breiten in den Wintermonaten nicht stark genug.
Es macht daher Sinn, den Vitamin-D-Spiegel kontrollieren zu lassen und gegebenenfalls Vitamintabletten zu sich zu nehmen.
Tageslichtlampe am Morgen
Vielen Menschen hilft eine Tageslichtlampe. Entscheidend ist eine Beleuchtungsstärke der Lampe von mindestens 10.000 Lux. „Optimalerweise sollte man sich mindestens eine halbe Stunde in der Früh direkt nach dem Aufstehen vor die Lampe setzen“, erklärt Harmankaya. „Dazu die Lampe am besten einfach auf den Tisch stellen und sich passiv beleuchten lassen.“ Weder Handy noch Tablet sollten in dieser Zeit zur Hand genommen werden, da diese anderen Lichtquellen stören.
Schlaf und Ernährung
Die Ernährung wirkt sich ebenfalls auf die Psyche aus. Die Medizinerin empfiehlt daher, genügend Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Fisch zu sich zu nehmen. „Gleichzeitig soll der Ernährungsplan aber keinesfalls zu strikt sein“, sagt Harmankaya, „Natürlich darf man ab und zu Fast Food essen. Wichtig ist, die richtige Balance zu bewahren.“
Schlafhygiene, indem man etwa täglich zur selben Uhrzeit aufsteht und schlafen geht, trägt ebenfalls zum mentalen Wohlbefinden bei. Ganz allgemein sollte man laut der Psychiaterin „Dinge machen, die einem persönlich gut tun“ und die eigenen vier Wände in eine „Wohlfühloase“ verwandeln.
Und manchmal hilft es, sich bewusst zu machen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Tage endlich wieder länger und die Temperaturen angenehmer werden.
Über die Ärztin
Elisabeth Harmankaya
studierte Medizin in Wien und war zuletzt leitende Oberärztin an der Klinik Hietzing. In ihrer Praxis in Wien betreut die Psychiaterin u. a. Patienten und Patientinnen mit Burn-out, Depressionen, Angsterkrankungen sowie Schlafstörungen.