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"Kinder profitieren von Mehrsprachigkeit", sagt die Sprachwissenschaftlerin Claudia Maria Riehl. Klar, da ist zum einen die Fähigkeit, sich problemlos in mehreren Sprachen verständigen zu können. Aber Riehl sieht noch weitere Vorteile: "Mit mehr Sprachen hat man Zugang zu einer viel größeren Gruppe von Menschen und lernt dadurch, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen." Studien zeigten außerdem, dass Kinder, die zwischen mehreren Sprachen wechseln, besser in der Lage sind, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und Ablenkungen auszublenden. Auch bei Kreativitätstests seien sie Einsprachigen überlegen.
Die Sprachwissenschaftlerin betont jedoch auch: "Das funktioniert nicht von selbst." Mehrsprachige Erziehung erfordere Zeit, Energie und Engagement der Eltern. Entscheidend sei, die unterschiedlichen Sprachen voneinander zu trennen. Zum Beispiel, indem jeder Elternteil konsequent nur eine Sprache mit seinem Kind spricht. "One person, one language" heißt dieser Ansatz. Alternativ könne man auch die Sprachen jeweils bestimmten Situationen zuordnen, sagt Riehl: Beim Spielen beispielsweise wird Deutsch gesprochen, bei den Mahlzeiten Türkisch.
Wird dagegen ständig zwischen den Sprachen gewechselt, "kommt es zu einer Sprachmischung, die unter Umständen dazu führt, dass die Kinder die Sprachen im Gehirn nicht getrennt abspeichern können", sagt Riehl. Und noch etwas ist ihr wichtig: Nur den Fernseher laufen und die Kinder in der Sprache berieseln lassen – das genügt nicht: "Der aktive Austausch ist wichtig: miteinander sprechen, spielen, vorlesen."
Ideal wäre in einem dreisprachigen Alltag möglichst gleichmäßig viel Input in den unterschiedlichen Sprachen, "in der Praxis schafft man das oft nicht", sagt die Erziehungswissenschaftlerin und Mehrsprachigkeits-Expertin Katharina van der Veen. In ihrer eigenen Familie werden Niederländisch, Deutsch und Englisch gesprochen.
Es sei aber wichtig, dass sämtliche Sprachen im Alltag relevant bleiben: "In unserer Familiensituation beispielsweise ergibt es Sinn, dass ich in Deutschland mit den Kindern auch Niederländisch spreche, damit die Sprache präsent ist. In den Niederlanden dagegen würde ich mit den Kindern kein Wort Niederländisch sprechen."
Auch Riehl sagt: "Das ist ein dynamischer Prozess." Mal dominiere die eine, mal die andere Sprache, abhängig von der aktuellen Lebenssituation und von den Bezugspersonen, die für das Kind gerade wichtig sind. Auch durch einen längeren Auslandsaufenthalt könne sich die Sprachengewichtung wieder verschieben: "Das ist völlig normal" – ebenso wie die Tatsache, dass die Kinder die Sprachen in einem frühen Stadium gelegentlich vermischen.
Aber wenn man die Sprachtrennung nach Situationen oder Personen konsequent praktiziere, "dann lernen sie schon ab zwei Jahren, die jeweils zum Gesprächspartner passende Sprache zu verwenden".
Und was ist mit der Annahme, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, erst später mit dem Sprechen beginnen? "Das ist ein weit verbreiteter Mythos. Der aktive Wortschatz pro Sprache mag verglichen mit einem einsprachigen Kind zunächst etwas kleiner wirken", sagt Katharina van der Veen: "Aber es müssen die Sprachkompetenzen sämtlicher Familiensprachen berücksichtigt werden. Das passiert aber leider häufig nicht."
Mindestens 50 Wörter sollten Kindern rund um den zweiten Geburtstag aktiv nutzen. Und wenn es sehr viel weniger sind? Dann empfiehlt van der Veen einen Besuch beim Kinderarzt: "Möglicherweise gibt es Probleme beim Hören oder mit der Mundmuskulatur. Mehrsprachiges Aufwachsen führt aber nicht dazu, dass Kinder später anfangen zu sprechen."
ILLUSTRATION - Eine Familie faesst sich am 02.10.2013 in Berlin an die Haende (gestellte Szene). Foto: Silvia Marks
ILLUSTRATION - Die unterschiedlichen Sprachen sollten regelmäßig im Alltag stattfinden - eine Methode, die dabei hilft: Eine Sprache bestimmten Situationen zuordnen und etwa Deutsch beim Spielen sprechen. (zu dpa: «Familie international: Ein Kind, drei Sprachen - so geht das») Foto: Robijn Page/Westend61/dpa-tmn - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit dem genannten Text und nur bei vollständiger Nennung des vorstehenden Credits - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++
ILLUSTRATION - Ça va: Nicht nur Kinder, auch Erwachsene können Familiensprachen in Wort und Schrift lernen. (zu dpa: «Drei Sprachen, zwei Eltern, ein Team: So verstehen sich alle») Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa-tmn - Honorarfrei nur für Bezieher des dpa-Themendienstes +++ dpa-Themendienst +++