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Die neue Nüchternheit

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Der Mythos vom gesunden Glas Wein ist mittlerweile widerlegt. Neue Studien zeigen, dass Alkohol schon in geringen Mengen gesundheitsschädlich ist. Und obwohl in Österreich nach wie vor zu viel Alkohol getrunken wird, macht sich vor allem bei jüngeren Menschen mit dem alkoholfreien Genuss ein neuer Trend bemerkbar

Beim Betreten ist sofort klar, was sich früher in diesem Raum befand. Das Licht ist gedämpft, viele Flächen sind verspiegelt. Den Mittelpunkt bildet nach wie vor der Tresen mit Barhockern. „Die Bar war nicht das, was wir wollten. Sie passte nicht zum Konzept“, sagt Michael Peceny, Sommelier für nichtalkoholische Getränke im vegetarischen Sternerestaurant Tian in der Wiener Innenstadt.

Nun werden in der ehemaligen Bar im Keller des Restaurants Kochkurse abgehalten. Vor allem aber experimentiert und tüftelt Peceny hier an neuen Ge­tränken. Denn seit 2017 können Gäste im Tian zum Gourmetmenü nicht nur die Weinbegleitung, sondern alternativ auch eine alkoholfreie Getränkebegleitung wählen. Und nein, es werden dabei keine dicken Smoothies oder frisch gepressten Säfte und noch weniger gezuckerte ­Limonaden serviert. Der Anspruch liegt deutlich höher: Jedes servierte Getränk ist raffiniert auf den jeweiligen Gang des Menüs abgestimmt. Es harmoniert mit dem Geschmack der Speisen, dominiert ihn aber nicht. „Unser Ziel ist, dass ­Gäste, die keinen Alkohol trinken, nicht das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten“, erklärt der Sommelier für Nicht­alkoholisches.

Vor sieben Jahren, als im Tian erstmals die alkoholfreie Alternative angeboten wurde, war die Nachfrage gering. „Drei- bis viermal pro Woche bestellte jemand die alkoholfreie Variante“, erinnert sich Peceny zurück. Doch das änderte sich: „Mittlerweile liegt das Verhältnis alkoholisch zu nichtalkoholisch bei 60 zu 40.“ Jetzt im Jänner, in dem immer mehr Menschen unter dem Motto „Dry January“ auf Alkohol verzichten, überwiegen die alkoholfreien Getränke.

Antialkoholisches liegt also sogar im „Hochkonsumland“ Österreich im Trend. Es sind vor allem jüngere Generationen, die sich für einen bewussteren, gesundheitsbetonteren Lebensstil entscheiden. Konzepte wie die aus New York stammende Nüchternheitsbewegung „Sober Curious“ werden durch die sozialen Medien immer populärer. Das Ziel dahinter: körperliche Fitness, klarer Geist und somit letztlich auch gesundes Altern.

„Unser Ziel ist, dass Gäste, die keinen Alkohol trinken, nicht das Gefühl haben, auf etwas zu verzichten."

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Alkohol erhöht das Krebsrisiko

Es ist ein lebensbejahender Trend. Denn galt früher ein Gläschen Rotwein am Abend als förderlich für das Herz, so ist diese Annahmen mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Die neuesten Erkenntnisse zeigen das Gegenteil: Jedes Glas Alkohol hat einen schädlichen ­Effekt auf unsern Körper.

Nicht nur auf unser Gehirn wirkt sich Alkohol negativ aus. Auch das Risiko für zahlreiche Krankheiten, darunter jenes für Krebs, steigt bereits durch ­moderaten Konsum. Zwar wird der genaue Zusammenhang von Alkohol und ­Krebs­entstehung aktuell noch erforscht. ­Angenommen wird aber, dass ein Abbauprodukt des Alkohols, das Acet­aldehyd, Mutationen in unserer DNA verursachen kann.

In Kanada wurden aufgrund dieser Erkenntnisse die Empfehlungen zum Alkoholkonsum umgehend angepasst. Einzig Abstinenz gilt hier als gesund. Risikoarm sind weniger als 27 Gramm reiner Alkohol pro Woche. Das entspricht etwa der Menge eines Biers oder eines Viertels Wein.

Zuwächse bei alkoholfreiem Bier

Selbst in Österreich, das hinter Tschechien Platz zwei des weltweiten Pro-Kopf-­Bierkonsums erreicht, registrieren die Brauereien die Entwicklung hin zu mehr Nüchternheit. Chefbraumeister Christian Pöpperl ist seit 1995 bei Stiegl tätig. „Wir bemerken in letzter Zeit mehr Gesundheitsbewusstsein und ein abnehmendes Interesse der Menschen am Alkohol“, sagt er. „Der Pro-Kopf-Konsum von Bier sinkt. Gleichzeitig steigt der alkoholfreie Bierkonsum überproportional.“ Und das werde sich in absehbarer Zukunft nicht ändern, ist Pöpperl überzeugt.

Das Ziel der Salzburger Brauerei ist es, alkoholfreies Bier mithilfe neuer Technologien geschmacklich noch weiter zu verbessern. Zudem brachte Stiegl vergangenes Jahr Limonaden in acht unterschiedlichen Geschmacksrichtungen auf den Markt. Das Feedback sei positiv, so der Chefbraumeister. Man werde daher jedenfalls weiterhin verstärkt auf alkoholfreie Produkte setzen.

Kombucha, Shrub und Amazake

Michael Peceny experimentiert viel. Seine Arbeitsgeräte in der ehemaligen Bar erinnern an ein Labor: unzählige Gläser mit verschiedensten Zutaten, Erlenmeyerkolben, Messbecher und sogar ein Ultraschallgerät. Damit sei es möglich, Zellstrukturen aufzubrechen, so der Sommelier. Das mache den Geschmack noch intensiver.

Immer dann, wenn im Lokal ein Gericht des Menüs gewechselt wird, entwickelt Peceny das dazu passende Getränk. Eines ist allerdings aufgrund der hohen Nachfrage stets verfügbar: Popcorn-Kombucha, ein säuerliches Getränk mit einer Note von Karamellpopcorn.

Kombucha ist – neben Shrub, der auf Essig basiert, und Amazake, einem traditionellen japanischen Getränk aus fermentiertem Reis – die Grundlage vieler Kreationen Pecenys. In einem großen Behälter fermentiert er dafür zunächst Schwarz- oder Grüntee. Je länger dieser fermentiert, umso saurer wird das Getränk. „Zu viel Süße ist für mich ein No-Go“, erklärt er. Denn: „Von zu viel Zucker ist man spätestens beim dritten Gang satt.“ In einer zweiten Fermentation kommt der gewünschte Geschmack dazu. Das kann fast alles sein: Kiwi, Kürbis, ge­röstete Granatapfelkerne, Champignons oder eben karamellisiertes Popcorn.

Aktuell experimentiert Peceny mit Erdbeeren, die er in der vergangenen Saison durch Fermentieren haltbar machte. Das neue Getränk wird „eine Vorschau auf den Frühling“. Auch Mispeln und Quitten will er demnächst verarbeiten.

Seine Ideen sind jedenfalls nicht ­enden wollend. Und so zeigt Michael ­Peceny mit seinen in der ehemaligen Bar entwickelten Getränken: Genuss muss nicht unbedingt alkoholisch sein.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 01+02/2025 erschienen.

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Michael Peceny kreiert im Tian seit 2017 die alkoholfreie Getränkebegleitung. Er arbeitet in enger Abstimmung mit der Küche. Wird eine neue Speise ins Menü aufgenommen, entwickelt er in zwei bis vier Wochen das dazu passende Getränk

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