Lange Zeit galt eine Impfung gegen Sars-CoV-2 als derHoffnungsträger im Kampf gegen die Pandemie. Je näher die Zulassung der ersten Impfstoffe rückte, desto stärker sank allerdings die Bereitschaft der Österreicher, sich auch tatsächlich impfen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb, weil zumindest die bis dato zugelassenen Vakzine auf einer Technologie basieren, die auf diese Weise noch nicht eingesetzt wurde. Die Rede ist vom mRNA-Impfstoff. Wie genau unterscheidet er sich von herkömmlichen Impfstoffen? Und sind die Bedenken, die manch einer hat, gerechtfertigt? Markus Zeitlinger, Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie an der MedUni Wien, gibt Antwort auf die wichtigsten Fragen.
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- Wie unterscheidet sich ein mRNA- von anderen Impfstoffen?
- Wie funktioniert der mRNA-Impfstoff?
- Was spricht für, was gegen mRNA-Impfstoffe?
- Warum wurde bis dato kein mRNA-Impfstoff zugelassen?
- Welche Nebenwirkungen sind möglich?
- Wie wahrscheinlich sind Langzeitfolgen?
- Macht es Sinn, auf einen anderen Impfstoff zu warten?
- Können mRNA-Impfungen Autoimmunerkrankungen verursachen?
- Wie groß ist das Risiko einer allergischen Reaktion?
- Wirkt der Impfstoff bei allen gleich gut?
Wie unterscheidet sich ein mRNA- von anderen Impfstoffen?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen zwei Ansätzen - jenem, bei dem das ganze Virus injiziert wird, und jenen, bei denen man lediglich auf einen Teilaspekt fokussiert. Auf ersterem basiert der Totimpfstoff. Da mit ihm das zuvor abgetötete Virus als Ganzes in den Körper gelangt, bildet dieser Antikörper gegen verschiedene im Virus enthaltene Partikel. "Diese Art von Impfung kommt einer natürlichen Infektion am nächsten", erklärt Zeitlinger. Bei zweiteren konzentriert man sich auf jenen Teilaspekt, von dem man annimmt, dass er am wichtigsten ist, um eine Infektion zu verhindern. Dabei handelt es sich meist um das Spike-Protein, das dem Virus das Eindringen in die Zelle ermöglicht. "Alle drei Alternativen zum Totimpfstoff - der Lebend-, der mRNA- und der Protein-Impfstoff - haben gemein, dass sie dem Körper dieses spezielle Protein auf ihre jeweils eigene Art und Weise zeigen."
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Beim Protein-Impfstoff wird besagtes Protein aus dem Virus herausgearbeitet, um es dann zu injizieren. Im Gegensatz dazu wird beim Lebend- wie auch beim mRNA-Impfstoff kein Viruspartikel, sondern eine Erbinformation in den Körper eingebracht. Bei Ersterem wird die RNA dafür in ein für den Menschen harmloses Virus verpackt. AstraZeneca etwa greift hierfür auf ein Adenovirus zurück, das zwar Schimpansen, nicht aber Menschen krank machen kann. Beim mRNA-Impfstoff wird die Erbinformation nicht in ein Virus, sondern in Lipid-Nanopartikel, also, vereinfacht gesagt, in winzig kleine Fettkügelchen verpackt. In beiden Fällen gelangt die RNA in die Zelle, wo sie gelesen wird und als Bauplan zur Herstellung des gewünschten Viruspartikels dient, auf den der Körper dann mit der Produktion von Antikörpern reagiert.
"Diese Parallele zu betonen ist wichtig, weil der Sprung zwischen dem Lebend- und dem mRNA-Impfstoff geringer ist, als man glauben möchte", sagt der klinische Pharmakologe. Es sei nur die Art und Weise, wie die Erbinformation des Virus in die Körperzelle gebracht werde, in der sich die beiden Impfstofftechnologien unterscheiden. "Eigentlich ist der mRNA-Impfstoff auch eine Art Vektor-Impfstoff. Nur, dass der Vektor" - also das Material, in das verpackt die RNA in den Körper gelangt - "in diesem Fall ein Lipid-Nanopartikel ist." Abgesehen davon bestehe kein großer Unterschied zwischen dem Lebend- und dem mRNA-Impfstoff.
Wie funktioniert der mRNA-Impfstoff?
"Man kann die Körperzelle mit einem Haus vergleichen", veranschaulicht Zeitlinger. Jede Zelle birgt, wenn man so will, verschiedene Räume. Einer davon ist die Bibliothek - der Zellkern. Hier befindet sich ein Kochbuch - die DNA. Weil der Koch das Kochbuch nicht lesen kann, kopiert er einzelne Seiten heraus. Mit den Kopien - der mRNA - geht er in die Küche - die Ribosomen -, wo er die Gerichte zubereitet, sprich das entsprechende Protein oder andere Viruspartikel, je nachdem, was gerade benötigt wird, hergestellt. Danach wird das Kochrezept nicht wieder zurückgelegt, sondern vernichtet. Es handelt sich ja nur um eine Kopie. "Das ist wichtig, um zu verstehen, warum die mRNA das Erbgut nicht verändern kann. Die mRNA gelangt gleich gar nicht in den Zellkern. Daher kann sie die Erbinformation auch nicht nachhaltig verändern."
Was spricht für, was gegen mRNA-Impfstoffe?
Mit der mRNA-Technologie lassen sich relativ rasch große Mengen an Impfstoff herstellen. Wie klinische Studien gezeigt haben, verfügen diese offenbar über eine sehr hohe Schutzwirkung. "Ob das auf sämtliche mRNA-Impfstoffe zutrifft oder nur auf jene zwei, die bis dato zugelassen wurden, wird sich weisen", merkt Zeitlinger an. Zum Nachteil gereicht den mRNA-Impfstoffen, dass sie, was die Lagerbedingungen betrifft, sehr labil sind. Um die Schutzwirkung zu garantieren, darf die Kühlkette von minus 70 Grad beim Vakzin von Biontech/Pfizer und minus 20 Grad bei jenem von Moderna nicht unterbrochen werden. "Das ist natürlich ein logistischer Nachteil, aber es ist keiner für den Menschen. Wenn ich mir einen Impfstoff für mich aussuchen könnte, würde ich explizit einen messengerRNA-Impfstoff verlangen."
Warum wurde bis dato kein mRNA-Impfstoff zugelassen?
Das hat zum einen kostentechnische Gründe, wie der Allgemeinmediziner Sebastian Prammer, der ein Informationsblatt rund um die häufigsten Fragen zum Corona-Impfstoff erstellt hat, erklärt. Zwar sei nicht die Produktion per se teurer als bei klassischen Impfstoffen. Für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen könne man aber nicht auf die bereits bestehenden Produktionsanlagen zurückgreifen. Neue müssten und mussten errichtet werden, was mit immensen Kosten verbunden ist. "Davor schreckten Investoren bisher zurück", sagt Prammer. Zudem mangelte es bisher an Geldern für große Studien. Tatsächlich kommen mRNA-Impfstoffe in der Veterinärmedizin aber schon seit längerem zum Einsatz. Und auch in der Humanmedizin wurden sie bereits angewendet, wenn auch nicht zugelassen. Die Rede ist von der Krebstherapie.
Hier stehe man laut Zeitlinger aber vor einem ganz anderen Problem: "Man impft nicht gegen ein Virus, sondern gegen Körperzellen. Das ist natürlich wesentlich gefährlicher, als wenn ich gegen einen Fremdkörper impfe", erklärt der Pharmakologe. "Weil hier das Risiko deutlich höher ist, dass etwas schiefgeht und ich zu viele meiner Körperzellen angreife. Darum ist die Krebstherapie ja auch so schwierig: Es geht um die Körperzellen. Es ist viel einfacher, ein Bakterium zu bekämpfen als eine Krebszelle. Weil sich ein Bakterium viel mehr von einer normalen Körperzelle unterscheidet, als das eine Krebszelle tut." Aufgrund dieser Herausforderungen kam es hier bisher noch zu keiner Zulassung eines mRNA-Impfstoffes. "Es gab da einfach noch nicht den entscheidenden Durchbruch", ergänzt der Experte.
Welche Nebenwirkungen sind möglich?
"Unter Nebenwirkungen versteht man all das, was in Zusammenhang mit dem Arzneistoff steht und unangenehm ist", so Zeitlinger. Wobei man beim Impfen - unabhängig von der Art des Impfstoffs - zwischen einer tatsächlichen Nebenwirkung und der Impfreaktion unterscheiden müsse. "Der überwiegende Teil der akuten Reaktionen ist nämlich die Folge dessen, was man erreichen möchte. Ich möchte den Körper ja auf eine mögliche Infektion vorbereiten. Und das, was wir in erster Linie spüren, ist die Reaktion des Immunsystems darauf." So gesehen sei die Grenzlinie zwischen "Was ist gewollt?" und "Was ist zu viel?" fließend. "Natürlich möchte niemand Fieber oder Kopfweh haben. Niemand möchte, dass die Einstichstelle schmerzt oder man sich abgeschlagen fühlt. Das kann man aber nicht komplett ausblenden."
Eine Schutzwirkung von 95 Prozent sei "sensationell". Wahrscheinlich könne man die beiden mRNA-Impfstoffe auch niedriger dosieren. Damit würde sich aber nicht nur das Nebenwirkungsrisiko, sondern vermutlich auch die Schutzwirkung verringern. "Und das wollen wir nicht." Gleichzeitig betont Zeitlinger die Notwendigkeit, die Patienten über mögliche Impfreaktionen aufzuklären. "Man muss sagen: 'Da kann etwas passieren, aber das gehört dazu.'" Vor allem nach der zweiten Teilimpfung kann es zu verschiedenen Reaktionen, allen voran zu Abgeschlagenheit und Fieber, kommen. Auf das Biontech/Pfizer-Vakzin reagieren rund zehn Prozent mit leichtem, fünf Prozent mit höherem Fieber, sprich 38, 39 Grad. Über den Anteil jener, die auf den Moderna-Impfstoff mit Fieber reagieren, kann noch keine gesicherte Aussage getroffen werden. Er dürfte aber höher sein als beim Biontech/Pfizer-Impfstoff.
Wie wahrscheinlich sind Langzeitfolgen?
Zwar gebe es noch keine Langzeitstudien zu mRNA-Impfstoffen, dennoch könne man Langzeitfolgen weitgehend ausschließen. "mRNA-Impfstoffe unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit kaum von Vektorimpfstoffen. Warum sollte es hier also andere Langzeitnebenwirkungen geben?", entwarnt der Impfexperte. Zudem ist die mRNA in der Zelle nur sehr kurz von Bestand. "Wie es aussieht, ist sie nach wenigen Tagen oder Wochen nicht mehr nachweisbar." Und das auch nur deshalb, weil sie künstlich modifiziert wird. "Wir brauchen sie ja ein bisschen, sonst kann sie nicht genügend Viruspartikel produzieren. Anderenfalls wäre sie schon nach Minuten weg." Was bleibt, ist ein Nebenwirkungsprofil wie bei jeder anderen Impfung auch. "Es wurde Viruspartikel produziert und wir haben Antikörper sowie die Gedächtniszellen, die auch noch nach Jahren oder Jahrzehnten einer Infektion auflauern.
Macht es Sinn, auf einen anderen Impfstoff zu warten?
"Das Problem bei den anderen Impfstoffen ist, dass sie bis dato alle unsicherer waren und zurückgeworfen wurden", gibt der Pharmakologe zu bedenken. Zudem basieren auch sie nicht ausschließlich auf jahrzehntelang erprobten Verfahren. So handelt es sich etwa bei dem Novavax-Produkt um einen Spike-Protein-Impfstoff, von dem es bisher auch noch nichts Zugelassenes gibt. Welchem Impfstoff man schließlich vertraut, ist Zeitlinger zufolge Geschmackssache. "Natürlich ist es legitim zu sagen, man möchte keinen mRNA-Impfstoff haben." Man müsse aber bedenken, dass dieser hierzulande vermutlich erst in einem halben Jahr in der breiten Masse zur Anwendung kommt.
Wer mRNA-Impfstoffen also skeptisch gegenübersteht, dem empfiehlt der Experte sich die Daten, die dann von mehreren Millionen Menschen vorliegen werden, noch einmal in Ruhe anzuschauen. Im besten Fall können sie die Bedenken zerstreuen. Abgesehen davon ist noch nicht klar, inwieweit man auf die Entscheidung, welchen Impfstoff man verabreicht bekommt, Einfluss nehmen wird können. Schließlich wisse man noch nicht, welche Kontingente in welchem Ausmaß zur Verfügung stehen werden. Auch Lieferschwierigkeiten könne man nicht ausschließen. "Im Einzelfall muss man dann abwägen: Nehme ich den Impfstoff, den es gerade gibt, oder nehme ich keinen?"
Können mRNA-Impfungen Autoimmunerkrankungen verursachen?
Über Autoimmunerkrankungen als mögliche Folge werde laut Zeitlinger bei jeder Impfung spekuliert. Die Datenlage sei aber durchwegs sehr dünn. Zudem müsse man zwischen Autoimmunerkrankungen und Kreuzreaktionen mit anderen Infektionen unterscheiden. "So etwas gab es zum Beispiel bei einem Dengue-Impfstoff. Man hat gegen einen bestimmten Serotyp geimpft mit der Folge, dass, wenn man sich mit einem anderen Serotyp infiziert hat, es schlechter war, als wenn man nicht geimpft gewesen wäre." Die Impfung führte in diesem Fall zu einer verbesserten Aufnahme des Virus in die Zelle und begünstigte damit dessen Ausbreitung und Vermehrung. Beim Corona-Impfstoff ist eine derartige Reaktion "aus heutiger Sicht nicht wahrscheinlich, weil es ja nur diesen einen Serotyp Corona gibt."
Wie groß ist das Risiko einer allergischen Reaktion?
Wer beispielsweise unter einer Pollenallergie leide, brauche sich keinerlei Sorgen machen. Jene Personen in Großbritannien, die infolge der Impfung einen allergischen Schock erlitten, hatten bereits zuvor schwere allergische Reaktionen gezeigt. "Sie hatten auch einen Epipen, also Adrenalin, für solche Notfallsituationen bei sich. Aus meiner Sicht ist es daher keine Überraschung, dass es zu diesen Zwischenfällen kam. Dass man bei solchen Personen vorsichtig sein muss, sagt einem der medizinische Hausverstand." Grundsätzlich sollte der Arzt vor der Impfung nach derartigen Vorfällen fragen. Tut er es nicht, müsse man ihn, im Falle des Falles, selbst darüber informieren. "Vielleicht impft man dann besser in einem speziellen Zentrum und nicht beim Hausarzt“, um im Notfall schnell behandelt werden zu können.
Wirkt der Impfstoff bei allen gleich gut?
Der Biontech/Pfizer-Impfstoff wurde nicht nur an jungen, gesunden Menschen erprobt. Wie das "New England Journal of Medicine" berichtet, waren 42 Prozent der Studienteilnehmer über 55 Jahre alt. 35 Prozent waren schwer übergewichtig und 21 Prozent hatten mindestens eine Vorerkrankung. Bei letzteren beiden zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Wirksamkeit. Wie hoch die Schutzwirkung - unabhängig vom Impfstoff - bei über 65-/70-Jährigen ist, ist allerdings noch unklar. "Grundsätzlich wirken die beiden mRNA-Impfstoffe sehr gut. Es würde mich aber wundern, wenn sie bei älteren Menschen nicht ein bisschen weniger effektiv wären", gibt Zeitlinger zu bedenken. Schlicht und einfach deshalb, weil das Immunsystem mit zunehmendem Alter schwächer wird. "Das ist bis dato aber nur eine wissenschaftliche Vermutung. Die Daten dazu fehlen noch."
Steckbrief
Markus Zeitlinger
Markus Zeitlinger ist Facharzt für Innere Medizin und Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien. Er ist ausgewiesener Experte für die Durchführung klinischer Studien.