Sylvia D. zieht an ihrer Zigarette, ihre Hände zittern. Ihre Augen glänzen feucht, und schon beim ersten Satz kullern Tränen über ihre Wangen. "Die Trennung von meinem Lebensgefährten kam sehr unerwartet für mich", erzählt sie mit gebrochener Stimme. "Wir haben gemeinsam ein Haus gebaut, es war schon alles gepackt. Am 31. Dezember wollten wir die letzten Sachen übersiedeln. Dann hat er mir eröffnet, dass er nicht mehr kann, dass ihm alles zu viel wird und dass er nicht mehr weiß, warum er überhaupt ein Haus gebaut hat." Sylvias Partner schlug eine Auszeit vor.
Die plötzliche Beziehungspause traf die 35-Jährige wie ein Schlag. Viereinhalb Jahre waren die beiden ein Paar, nun soll alles vorbei sein. Zwei Wochen lang versuchte sie immer wieder, in Kontakt mit ihrem Partner zu treten, doch dieser blockte ab. Bis zuletzt hatte sie Hoffnung, dass er die Entscheidung doch bereuen würde. Am 14. Februar beendete er die Beziehung dann offi ziell. "Er meinte, er brauche Zeit für sich, er habe keine Kraft mehr für uns. Er sagte, wir leben nur mehr nebeneinander und nicht mehr miteinander." Er packte seine Sachen und fuhr. Für die 35-Jährige brach eine Welt zusammen.
"Die Tage zwischen 31. Dezember und 14. Februar habe ich nicht mehr geschlafen, meine Gedanken kreisten, ich habe kaum gegessen und war antriebslos", erinnert sich Sylvia. Vom Hausarzt ließ sie sich ein leichtes Schlafmittel verschreiben. Sie verkroch sich einige Tage bei ihrem Bruder, dann fuhr sie wieder zurück in ihre Wohnung, in der sämtliche Erinnerungen an ihren Ex-Partner lauerten. Am 27. Jänner brach Sylvia D. plötzlich zusammen.
Ausnahmezustand
Es war ein Tag, an den sie kaum Erinnerung hat. Vermutlich waren der emotionale Stress und der Mangel an Nahrung und Flüssigkeit schuld daran, dass ihr Körper den Dienst verweigerte. Sie ging in eine Tagesklinik, unterzog sich mehreren Untersuchungen, bis neurologische Gründe für ihren Zusammenbruch ausgeschlossen werden konnten. Danach ließ sie sich in eine Psychiatrie überweisen.
"Liebeskummer ist ein extremer Ausnahmezustand", weiß die Psychologin und Psychotherapeutin Birgit Maurer. "Er stellt eine akute Belastungsstörung dar, eine depressive Problematik aufgrund eines Ereignisses. Das kann eine Trennung, Flucht, Krieg oder Tod sein." Vor allem plötzlich Getrennte empfinden das Beziehungsende oft als extrem belastend, verunsichernd und überraschend -und das, obwohl es nicht selten Vorzeichen gibt: "Oft werden die Anzeichen für eine Trennung verdrängt. Weniger Aufmerksamkeit, Kommunikation, Zärtlichkeit und Intimität sind aber häufige und recht deutliche Anzeichen", meint Maurer.
Wer verlassen wird, erleidet oftmals einen Schock. Zusammenbrüche sind in dieser Phase nicht selten. Danach wird das Geschehene verleugnet oder verdrängt. Die Gedanken drehen sich im Kreis, das hat Sylvia D. an sich selbst erfahren: "Ich hätte nie geglaubt, dass mein ehemaliger Lebensgefährte so sein kann. So war er während unserer Beziehung nie. Wie konnte ich ihm so schnell so egal werden? Wann hatte er aufgehört, mich zu lieben?"
Seit Wochen wird sie immer wieder von denselben Gedanken gequält. In der Psychiatrie kann sie ein bisschen zur Ruhe kommen. "Die ersten Tage habe ich mich in meinem Zimmer verschanzt und nur geschlafen. Ich habe den Schlaf nachgeholt, der mir vier Wochen lang gefehlt hat." Medikamente halfen ihr dabei, die endlosen Gedankenschleifen zu unterbrechen. Doch die starken Beruhigungsmedikamente haben den Effekt, dass sie, wenn sie abgesetzt werden, das Gedankenkarussell wieder in Gang setzen. Entzugserscheinungen können auftreten: "Am Anfang kann man ein bisschen zur Ruhe kommen, aber der nächste Crash kommt, wenn man die Medikamente absetzt", erklärt Sylvia D. "Dann muss man sich seinen Dämonen erneut stellen."
Pillen gegen Liebeskummer
Trennungsschmerz ist für Betroffene enorm belastend, viele Menschen lassen sich Präparate verschreiben. Das ruft die Pharmaindustrie auf den Plan: Anhand einer Studie, die im Fachjournal "Policy Insights from the Behavioral and Brain Sciences" veröffentlicht wurde, wurde gezeigt, dass die Arzneistoffe Ibuprofen und Paracetamol auch gegen Liebeskummer helfen können, da emotionale Aktivität gedämpft werden kann. Vor einigen Jahren hat ein österreichisches Pharmaunternehmen ein rezeptfreies Präparat auf den Markt gebracht, dessen Wirkung laut eigenen Aussagen in der "Regulierung der Liebes-/Bindungsbotenstoffe" besteht. "Die Bindung zur geliebten Person kann abgebaut werden, man bekommt Abstand, klare Gedanken und gewinnt Positivität", verspricht der Beipacktext. Medienberichte reagierten kritisch auf das "Liebeskummer-Heilmittel", und auch das Testmagazin "Konsument" rät von einer Selbstbehandlung mit diesem Präparat ab. Kritisiert wurde vor allem, dass das Medikament im Internet im Zusammenhang mit Krankheitssymptomen beworben wurde. Auf Nachfrage erhalten wir vom Unternehmen keine Antwort. In einer Apotheke erklärt man, dass es sich bei dem Medikament um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt. Psychopharmaka ersetze es aber in keinem Fall, da es lediglich zur leichten Stimmungsaufhellung bei leichten psychischen Verstimmungen gedacht sei. Dennoch sei es ein häufig verkauftes und bestelltes Produkt, zumindest in dieser Wiener Apotheke.
Bei starkem Liebeskummer sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, anstatt sich selbst mit einem Nahrungsergänzungsmittel und Esoterik zu therapieren. Häufig treten Symptome wie Antriebs-, Schlaf-und Aussichtslosigkeit auf, die man nicht unterschätzen darf. "Das 'Losigkeits-Syndrom' geht oft Hand in Hand mit mehr Alkohol-, Tabletten-und Zigarettenkonsum. Oft essen die Menschen auch zu wenig, das beeinträchtigt das Nervenkostüm zusätzlich", erklärt Maurer. Im schlimmsten Fall kann Liebeskummer sogar Depressionen und Suizidgedanken hervorrufen. Wenn sich Gefühle wie Sinnlosigkeit, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit einstellen, man nicht mehr aus dem Bett kommt und seinen Pflichten nicht mehr nachkommen kann, sollte unbedingt ein Psychologe oder ein Psychiater aufgesucht werden, rät die Expertin.
Trennungsschmerz
Kummer mit der Liebe kann aber nicht nur diejenigen treffen, die frisch verlassen wurden: Auch Patchworkfamilien, Affären oder Schwierigkeiten beim Anerkennen der eigenen sexuellen Identität sind Belastungssituationen. Liebeskummer ist keineswegs ein rein psychisches Phänomen: "Die einen haben Beschwerden mit dem Magen, die anderen mit dem Kopf oder dem Rücken. Ich frage immer, wo die Menschen den Schmerz spüren. Als Antwort höre ich oft, 'Ich habe einen Kloß im Hals' oder 'Ich kann kaum noch atmen'", so Maurer. In den letzten Jahren sorgte das sogenannte Broken-Heart-Syndrom, auch Tako-Tsubo-Kardiomyopathie genannt, für Aufsehen. Dabei handelt es sich um eine lebensbedrohliche Schwäche des Herzmuskels, bei der die Pumpfunktion des Herzens massiv beeinflusst wird, ähnlich wie bei einem Herzinfarkt. Im Gegensatz zu diesem sind beim Broken-Heart-Syndrom aber die Gefäße frei und nicht verstopft. Betroffene werden mit herzinfarktähnlichen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert - wie Schmerzen im Brustkorb, Herzrhythmus-Störungen, Atemnot oder Ohnmacht. Hervorgerufen wird das Herzschwächesyndrom von emotionalem Stress. Viele Betroffene (die meisten davon Frauen über 65 Jahre) haben kurz davor einen geliebten Menschen verloren und litten bereits an einer psychischen Erkrankung wie einer Depression.
Wie ein Drogenentzug
Viele Menschen leiden nach einer Trennung unter Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüchen, Zittern, Krämpfen, so Maurer. Die amerikanische Autorin und Anthropologin Helen Fisher hat in einem Experiment herausgefunden, dass die gleichen Hirnregionen aktiviert werden, wenn man Getrennten Bilder ihrer Ex-Partner zeigt, wie bei einem Drogenentzug. Aktiviert wurden dabei das Belohnungssystem und die Areale, die für Stressverarbeitung zuständig sind. Man schlussfolgerte, dass eine Trennung die gleichen Abläufe in Gang setze wie ein Kokainentzug.
"Der Verlust eines geliebten Menschen wird gesellschaftlich akzeptiert, wenn dieser stirbt", so Maurer. "Aber was, wenn man jemanden verliert, den man sehr geliebt hat, dieser aber noch lebt?" Trennungsschmerz ist ein Tabuthema, über das man nicht gerne spricht. "Liebeskummer ist aber keine Teenager-Krankheit. Es kann einen immer treffen, in jedem Alter. Solange wir uns verlieben, gibt es Kummer", meint Maurer. Nach einer Trennung fühlen sich manche so, als ob sie versagt hätten. "Vor allem Männer glauben oft, eine Trennung müsse innerhalb von zwei Tagen aufgearbeitet sein. Frauen flüchten sich in Marathongespräche mit Freundinnen, Männer in die Aktivität", erklärt die Psychotherapeutin. "In der Praxis habe ich viele männliche Patienten, die oft jahrelang mit niemandem über die Trennung geredet haben. Die mir dann erzählen, was sie alles machen: laufen, Motorrad fahren, arbeiten. Aber innen drin sieht es meist anders aus." Bei Frauen sei es gesellschaftlich akzeptiert, wenn sie über Gefühle reden. Männer hätten da nach wie vor Schwierigkeiten.
Der Oberösterreicher Benji Agostini weiß, wie es ist, wenn man sich im Zuge einer Trennung plötzlich mit diesen Themen auseinandersetzen muss. "Ich mache mir seit der Trennung Gedanken über emotionale Themen, das habe ich vorher nie getan." Seine ersten beiden Beziehungen liefen entspannt, ohne Gefühlschaos oder Drama. "Aber das mit ihr war wie eine Droge. Ich bin jetzt quasi auf Entzug."
Seit der Trennung sei sein Selbstbewusstsein dahin, erzählt Agostini. "Ich fühlte mich im Gegensatz zu ihr klein und unterlegen", so der 28-Jährige. Seinen Alltag konnte er zwar meistern, er habe "funktioniert", doch sobald er mit seinen Gedanken alleine war, sei es ihm schlecht gegangen. Er hatte sich so sehr verrannt, dass sich der Liebeskummer auf sämtliche Bereiche seines Lebens ausgewirkt hat: "Es ist eine Teufelsspirale. Die Selbstzweifel haben meine Arbeit beeinflusst, meine sozialen Kontakte." Seit über einem Jahr ist die Beziehung zu seiner Ex-Partnerin nun vorbei, immer noch denkt er von früh bis spät an sie.
"Die Gedanken kommen immer wieder zu ihr zurück." Die Lethargie plagt ihn nach wie vor. Seine Ex-Partnerin zu sehen, machte ihn fertig. Ständig fragt er sich, warum es nicht funktioniert hat, warum er ihr nicht gut genug war. "Wenn ich an die Momente gedacht habe, in denen ich versagt habe, hat sich alles in mir verkrampft. Das ging so weit, dass ich dachte, ich muss mir jetzt etwas antun." Benji Agostini verließ seine Wohnung kaum mehr und holte sich deshalb psychologische Hilfe. Im Krisenzentrum bekam er schließlich Antidepressiva verschrieben. Er nimmt seinen Zustand ernst.
Mut zum Neuanfang
Der Schritt, sich professionelle Hilfe zu suchen, hat Sylvia D. und Benji Agostini viel Überwindung gekostet: "Es ist ein Prozess. Aber zumindest habe ich den Schritt gemacht und mir Hilfe geholt", sagt Agostini. Vor Kurzem wurde er bei der Therapie gefragt, was sein Ziel sei: "Aus dieser verdammten Teufelsspirale rauszukommen und meine Selbstzweifel zu beseitigen - das ist mein Ziel."
Neue Hoffnung zu schöpfen und Ziele zu haben ohne den anderen, das seien zwar kleine, aber immerhin erste Anzeichen einer Besserung, meint Psychologin Maurer. Denn erst wenn sich eine Distanz zum Ex-Partner aufbaut, kann sich Lebensfreude langsam wieder einstellen. Das kann dauern. Zeit kann ein gebrochenes Herz vielleicht nicht heilen -aber irgendwann verliert selbst der schlimmste Trennungsschmerz seine Intensität.