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Enno Maaß: Zum Wasserlassen benötigen wir eine Entspannung des Blasenschließmuskels. Und die kriegt man nur hin, wenn man selbst auch einigermaßen entspannt ist. Nun ist es am Pissoir eine recht intime Lage, weil man sein Geschlechtsorgan in die freie Luft bewegt. Und wenn jemand neben einem auch pinkelt, kann das diese Intimität stören.
Wird man dann angespannt, geht häufig ein Gedankenkarussell los. Man fragt sich: "Jetzt stehe ich hier schon eine Weile und kann gar nicht pinkeln. Und der neben mir denkt jetzt vielleicht schon, warum der am Pissoir steht und gar nicht pinkelt?" Dadurch wird man noch angespannter und es wird noch schwieriger, den Blasenmuskel zu lockern.
Maaß: Man kann das als kleine mentale Blockade betrachten. Mentale Blockaden im eigentlichen Sinne entstehen oft in ausgereiften Drucksituationen. Etwa, wenn man in einer Prüfung Gedanken ans Versagen bekommt und darum blockiert: Man steht in einer Bewertungssituation und funktioniert nicht mehr – die Situation am Pissoir weist da durchaus Parallelen auf.
Es kann der Gedanke sein, dass man quasi seine Leistung am Pissoir gerade nicht bringt, während der Nebenmann problemlos laufen lässt. Dazu glaubt man vielleicht noch, dass man gerade andere aufhält, die hinter einem warten und ebenfalls pinkeln wollen. Das sorgt für Druck, aber bei manchen auch für Angst- und Schamgefühle.
Wobei an sich nichts Schamhaftes dabei ist, wenn man Ruhe und Raum zum Pinkeln braucht. Das könnte man ja locker ansprechen, so würde man denken. Aber es scheint nicht so einfach zu sein. Im Grunde ist es ein harmloses Thema, über das wenig gesprochen wird, weil es so schambehaftet ist.
Wenn sich das Ganze zu einer ausgewachsenen Angststörung ausweitet und zu massivem Leiden führt, spricht man von einer sogenannten Paruresis (umgangssprachlich "Schüchterne Blase", d. Red.). Hier kann eine Psychotherapie helfen.
Maaß: Schafft man es, sich gedanklich aus der Situation herauszunehmen, kann das beim Lockerlassen helfen. Indem ich mich auf das Muster der Fliesen an der Wand vor mir fokussiere, zum Beispiel. Oder ich mache die Augen zu und atme tief ein und aus. Das ist auch eine Frage der persönlichen Leidensfähigkeit. Manche gehen vielleicht lieber direkt in die Kabine.
BAYREUTH - DEUTSCHLAND: FOTO: APA/APA/dpa/gms/David-W. Ebener/David-Wolfgang Ebener