Weniger als 500 Menschen leben in Rattenberg mit seinen sieben verwinkelten Gassen, den rund 100 Gebäuden, die es großteils bereits seit dem Mittelalter gibt, und zahlreichen Traditionsbetrieben.
"Früher floss der gesamte Verkehr mitten durch die Stadt", erinnert sich Reinhard Hacker zurück. Der Konditormeister, der in sechster Generation die Konditorei Hacker führt, wuchs mitten in Rattenberg auf. "Es gab Gehsteige und Parkplätze. Am Sonntag mussten wir immer ab 21 Uhr die Fenster schließen, weil dann Hunderte Lkw der Speditionen aus dem Umland vorbeifuhren." Nicht selten wurde dabei einer der Erker der alten Häuser abgefahren.
Als 1996 die Umfahrung mit dem Tunnel durch den Schlossberg eröffnet wurde, war die Erleichterung seiner Familie groß. Aus Dankbarkeit kreierte Hackers Vater, der 20 Jahre lang auch Vizebürgermeister der Stadt war, den Rattenberger Pflasterstein, eine Praline aus Haselnuss- und Mandelnougat überzogen mit Bitterschokolade.
Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass sich Kolonnen an Autos und Lkw durch die Südtirolerstraße, eine der gerade einmal sieben Straßen Rattenbergs, stauten. Fast die gesamte Stadt ist mittlerweile Fußgängerzone. Die Straßen sind gepflastert, in den alten Häusern befinden sich zahlreiche kleine Geschäfte und ein Gastgarten reiht sich an den nächsten.
Gasthäuser und Brauereien
Die Lage Rattenbergs war der Hauptgrund, warum die Stadt im Mittelalter so bedeutsam war: auf der einen Seite der Inn, auf der anderen der steil aufragende, felsige Stadtberg mit der im zehnten Jahrhundert erbauten Burg.
Die Ruine ist heute über einen kurzen Fußweg oder per Lift vom Stadtzentrum aus erreichbar. Oben angekommen bietet sich ein herrlicher Blick über die Dächer Rattenbergs und ins Umland. Im Sommer finden im in die alten Burgmauern eingebetteten Freilichttheater Vorführungen statt.
Im Mittelalter führte außerdem eine der damals wenigen Brücken über den Inn nach Rattenberg. Diese Bücke existiert zwar nicht mehr, aber das Stadttor, durch das der weitere Weg verlief, ist nach wie vor erhalten. Praktisch alle Händler mussten diese Route nehmen und dabei Zoll zahlen. "Rattenberg war damals sehr wohlhabend", weiß Gästeführer Hans Mair. Rund 90 Prozent der Gebäude, die heute hier stehen, gab es bereits im Mittelalter.
1393 wurde Rattenberg das Stadtrecht verliehen. Das 16. Jahrhundert war schließlich die Blütezeit der Stadt. Über 1.000 Menschen – mehr als doppelt so viele wie aktuell – lebten damals hier. In der Südtirolerstraße reihten sich gleich zehn Gasthöfe aneinander. Fünf Brauereien versorgten Einwohner und Händler mit Bier.
Im Haus der Konditorei Hacker wird seit 1774 Süßes erzeugt. "Aus alten Dokumenten geht hervor, dass es im Gebäude fünf bis sechs Feuerstellen gab", sagt Hacker, "damit ist es sehr wahrscheinlich, dass es früher eine Lebzelterei war." Seither werden die Mehlspeisen immer wieder angepasst, viele Produkte sind aber bereits seit Jahrzehnten im Angebot, wie etwa die Cremeschnitten, deren Rezept über drei Generationen weitergegeben wurde.
Die Veredelung des Glases
Schräg gegenüber der Konditorei befindet sich die Glasbläserei Kisslinger. Vor etwa 400 Jahren wurde auf der anderen Seite des Inns, in Kramsach, eine Glashütte errichtet. In Rattenberg spezialisierte man sich auf die Veredelung des Glases. Nach wie vor wird dieses Handwerk ausgeübt, sodass Rattenberg den Beinamen Glasstadt trägt. Auch Hannes Kisslingers Großvater gründete einen Glasveredelungsbetrieb: "Mein Großvater arbeitete noch in der Glashütte. 1945 begann er dann mit der Werkstätte. Aktuell haben wir 25 Beschäftigte."
Die Glasbläserei umfasst mehrere der mittelalterlichen Häuser, die direkt in den Felsen des Schlossbergs gebaut wurden. Die alten Keller, die Grotten gleichen, dienen als Schauräume. Außerdem können Gäste den Glasbläsern bei der Arbeit zuschauen und aus rund 5.000 unterschiedlichen Produkten – von Trinkgläsern bis zu Weihnachtskugeln und Garten-Deko – auswählen. Regelmäßig sind zudem Künstlerinnen und Künstler vor Ort, die im Atelier im Dachgeschoß Glasskulpturen herstellen.
Weihnachtsmarkt und Innradweg
Nach der Blütezeit folgte der schleichende Niedergang der Stadt. "Erst 1970 machte man sich Gedanken, wie man Rattenberg wieder beleben könnte", weiß Stadtführer Mair. Dabei rückte unter anderem der Tourismus in den Fokus. Mit dem Weihnachtsmarkt wurde eine stimmungsvolle und gut besuchte Veranstaltung im Winter geschaffen. Der Innradweg führt durch die Stadt, und seit zweieinhalb Jahren gibt es ein Hotel in Rattenberg. Konditormeister Reinhard Hacker ist jedenfalls zufrieden mit der Entwicklung der Stadt und wünscht sich, dass es in den kommenden Jahren "mit viel Schwung weitergeht".
In alten Gemäuern [Tipps]
Das Boutiquehotel ist Rattenbergs einziges Hotel. "Wir haben kurz vor Corona das Haus gekauft. Eigentlich wollten wir darin Wohnungen machen", sagt Hotelchefin Barbara Simmer. Im Zuge der Renovierungsarbeiten wurden allerdings jahrhundertealte Holzdecken entdeckt und ein eindrucksvolles Gewölbe im Erdgeschoß freigelegt. "Wir waren begeistert und der Gedanke, dass jemand die alten Mauern streichen könnte, bereitete mir Sorgen", so Simmer. Also entschlossen sich ihr Lebensgefährte und sie, anstatt der Wohnungen ein Hotel daraus zu machen. Die neun Zimmer verbinden nun die alten mit modernen Elementen. Zum Frühstück werden regionale Produkte und selbst gemachte Marmeladen serviert.
Besichtigen. Die Stadt ist zwar klein, aber es gibt dennoch einige Museen, wie das Handwerkskunstmuseum Nagelschmiedhäuser am Fuße des Schlossberges und das Augustinermuseum im Kloster. In der Glasbläserei Kisslinger kann man den Glasbläsern bei ihrer Arbeit zuschauen. Eine große Auswahl aus hochwertigen Zutaten selbst hergestellter Mehlspeisen und Eis bietet die Konditorei Hacker an.
Anreise. Unkompliziert mit dem Zug von Innsbruck oder Wörgl aus zu erreichen. Der Bahnhof liegt in unmittelbarer Nähe zum Zentrum.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 27+28/2024 erschienen.