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Guide Michelin: Die Stunde der Wahrheit

Aktualisiert
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11 min

©Florence Stoiber
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Der Guide Michelin kehrt zurück – und mit ihm die Spannung in Österreichs Gourmetwelt. Wer steigt in den Sternenhimmel auf, wer bleibt im Schatten? Ein Stern, zwei oder gar drei? Spitzenköche gewähren Einblicke in den Ruhm, den die Auszeichnung bringt – und den hohen Preis, den sie fordert

In den Spitzenküchen des Landes wird derzeit spekuliert, gezählt und nervös gehofft: Wer ist fix dabei – und wer überrascht? Sind es 150, vielleicht 200 ausgezeichnete Restaurants? Oder gar ein Sterneregen über Österreich? Wer bekommt die heiß ersehnte Einladung – und wer bleibt außen vor? „Genau das besprechen wir Köche gerade untereinander“, erzählt Sören Herzig, Inhaber und Küchenchef des Wiener Restaurants Herzig. Mit einem verschmitzten Lächeln fügt der Spitzenkoch hinzu: „Es ist verrückt, ich weiß.“ 

Für Herzig und alle anderen ist der 21. Jänner 2025 kein Tag wie jeder andere. Denn an diesem Datum kehrt der prestigeträchtige Guide Michelin, DIE „Bibel“ der Spitzengastronomie, nach Österreich zurück. Im Hangar-7 in Salzburg werden die besten Restaurants des Landes ausgezeichnet. Wer eingeladen wird, weiß: Eine Auszeichnung ist zum Greifen nah. 

Rund um die Vergabe von einem, zwei oder drei Sternen steht viel auf dem Spiel: Ruhm. Anerkennung und Ansehen. Geld. „Der Guide Michelin bringt die Wahrheit ans Licht. Er steht weltweit für höchste Kochkunst und setzt Maßstäbe“, sagt Herzig –, um zugleich zu relativieren: „Ja, der Michelin-Stern ist die Krönung einer kulinarischen Karriere. Aber er ist nicht die einzige Währung. Es ist wichtig, sich nicht komplett über solche Auszeichnungen definieren zu lassen.“

Zweierlei Maß

Verliehen werden die Sterne von Guide Michelin bereits seit 1926 – mittlerweile in mehr als 40 Ländern weltweit. Ein Michelin-Stern im roten Michelin-Guide ist eine Auszeichnung für eine Küche, die einen Stopp wert ist. Zwei Sterne werden für eine Spitzenküche vergeben, die einen Umweg lohnt. Drei Sterne sind „garantiert eine Reise wert“, heißt es.

2.989 Restaurants sind aktuell mit einem Stern gekrönt; 486 mit zwei Sternen und 148 mit der höchsten Auszeichnung von drei Sternen. Das Land mit den weltweit meisten Sternelokalen ist Frankreich. Thailand hat gerade sein erstes Drei-Sterne-Restaurant im Guide Michelin 2025 erhalten. 

Das erste Gastspiel des Guide Michelin in Österreich wurde 2009 beendet und seither nur Restaurants in Wien und Salzburg im Rahmen der „Main Cities of Europe Selection“ bewertet. Doch jetzt ist er wieder – auf Druck und Wunsch von Politik und Österreich Werbung – mit einem eigenen Guide für das ganze Land zurück. Von einem Sponsoring in Millionenhöhe ist die Rede. Mit Blick auf die Wertschöpfung durchaus gut investiertes Geld, wie internationale Beispiele zeigen.

Doch nicht alle finden das erfreulich. Vor allem jene nicht, die Österreichs Kulinarik bisher mit Gabeln (Falstaff) und Hauben (Gault&Millau) ausgezeichnet haben. „Wie kann es in einem Markt mit zwei gut verankerten Restaurants-Guides sein, dass ein Dritter ins Land kommt, alles nur online abwickelt, und dafür eine jährliche Tourismusförderung von 600.000 Euro bekommt? Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Das halte ich für inakzeptabel“, sagt Falstaff-Herausgeber Wolfgang Rosam. 

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 © Markus Kirchgasser

Sören Herzig, Restaurant Herzig:

„Der Guide Michelin bringt die Wahrheit ans Licht. Er steht weltweit für höchste Kochkunst und setzt Maßstäbe

Zahlungskräftige Gourmets

Jene Restaurants, die künftig Sterne dekoriert und damit sichtbar in die Auslage gestellt werden, freut es freilich. Schließlich kommen mit den Sternen auch leidenschaftliche und zahlungskräftige Gourmets als Gäste. Auch jene, die Österreich als Kulinarik-Destination bisher noch nicht im Blick hatten. „Die Auszeichnung kann ein Restaurant enorm beflügeln“, sagt Sören Herzig. „Sie zieht Gäste aus aller Welt an und schafft Vertrauen. Aber es ist immer ein schmaler Grat zwischen Ehre und Bürde. Gästebindung hängt nicht nur von den Sternen ab, sondern von konstant hoher Qualität. Der Stern ist ein Symbol, aber letztlich geht es immer darum, Erlebnisse zu schaffen, die nachhaltig in Erinnerung bleiben.“

Wer einen Stern bekommt, darf sich ein Jahr lang damit schmücken, dann wird neu getestet und bewertet. Wer als Restaurant getestet werden will, muss ein Standardformular ausfüllen. Ob es zu einer Testung kommt, entscheidet allein Michelin.

Plötzlich alles anders

„Der erste Inspektor outete sich, nachdem er bezahlt hatte. Bei uns gab es insgesamt vier Testungen“, erzählt Anna Kalteis. 2018 erkochte sie sich gemeinsam mit ihrem Partner Valentin einen Michelin-Stern. Damals war sie mit 23 Jahren die jüngste Sterneköchin Österreichs. „Plötzlich hat man den Stern und das Leben ändert sich von einem Tag auf den anderen.“ Die Auszeichnung lockt internationale Gäste an. Sie stärkt den Ruf und ist ein mächtiges Instrument, um Mitarbeitende zu gewinnen. Vor allem aber bestätigt sie die eigene Leistung, sagt Kalteis. 

Doch es gibt auch eine Kehrseite. „Die Erwartungen der Gäste steigen enorm. Der Stern nimmt einem auch ein bisschen die Leichtigkeit und die Freude am Kochen, weil man sich ständig fragt: Ist dieses Gericht jetzt ein, zwei oder drei Sterne wert?“ Eine Zeit lang, sagt Kalteis, sei es in der Branche teilweise nur noch darum gegangen, wie ein Gericht aussieht und „was es bringt, noch ein filigranes Blättchen obendrauf zu legen“. Den Michelin-Stern haben Kalteis und ihr Partner freilich aus dem Grund bekommen, weil ihre Gerichte vorrangig auf Geschmack fokussiert waren. Dennoch fasste Kalteis den Entschluss, der Sterneküche den Rücken zu kehren. Vor allem aus dem Gedanken heraus, Lösungen für das Image und den Personalmangel in der Branche zu finden. Und sie begann, als „Kochnomadin“ zu arbeiten. „Frei, ortsunabhängig – und mit Spaß am Kochen“, erklärt sie. „Und weil wir keinen festen Standort haben, können wir auch nicht bewertet werden.“ 

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 © beigestellt

Anna Kalteis, war mit 23 jüngste Sterneköchin Österreichs

Der Stern nimmt einem auch ein bisschen die Leichtigkeit und die Freude am Kochen

Finanzielle Sicherheit

„Ich bin mir sicher, dass sich mit der Rückkehr des Guides Michelin nochmal viele in der Spitzengastronomie Gedanken gemacht haben – über ihr Konzept, ihre Küche“, sagt Sören Herzig, vier Wochen vor der Preisverleihung, beim Interview in seinem „Herzig“ mit den elf Tischen für maximal 30 Gäste im ehemaligen Auktionshaus Dorotheum im 15. Bezirk. „Natürlich freut man sich über die Auszeichnung. Aber da geht es nicht nur um das Ego. Da geht es auch um finanzielle Sicherheit. Am Ende wird mit diesen Sternen auch das Geschäft angekurbelt.“ 

Herzig sammelte Erfahrungen in Sternerestaurants, darunter bei Kevin Fehling im Restaurant „La Belle Epoque” in Travemünde. „Wir hatten damals zwei Sterne. Am Tag nach der Verleihung waren wir ausreserviert. Für ein Jahr. Jeden Tag. Das war der Wahnsinn. Die Gäste kamen aus der ganzen Welt.“ Fehling, der im Jahr 2012 seinen dritten Michelin-Stern erkochte, gewährte dem Handelsblatt einen Einblick hinter die Kulissen: „Der Marketing-Effekt durch die drei Sterne wurde von einer Agentur damals auf 2,5 Millionen Euro beziffert.“

Doch nicht für jedes Restaurant erweist sich ein Michelin-Stern als Segen – das zeigt eine Studie des University College London. Untersucht wurden 276 gehobene Restaurants in New York, die seit dem Jahr 2000 eröffnet wurden. Von den 92 Lokalen, die einen Stern erhielten, mussten 42 wieder schließen. Der Grund: Mit dem Ruhm stiegen oft die Miet- und Lieferkosten. Mitarbeiter forderten höhere Gehälter oder wurden abgeworben. Auch erfordert die Spitzenküche einen anderen Personalschlüssel pro Gast. „Eine wirtschaftlich erfolgreiche Spitzenküche ist die Quadratur des Kreises“, resümmierte schon Eckart Witzigmann, der in den 1970er-Jahren als erster deutscher Koch drei Sterne erhielt. „Sie können über Jahre hinweg ausgebucht sein, aber trotzdem müssen sie spitz kalkulieren.“

Sternekoch Kevin Fehling eröffnete 2015 in Hamburg sein Restaurant „The Table”. Drei Sterne. Ein Tisch, 22 Plätze, kurze Wege. „Im 'La Belle Epoque' habe ich beobachtet, dass es teilweise in die Stunden ging, wenn unsere Servicemitarbeiter gelaufen sind, nur um Weingläser nachzudecken. Jetzt haben wir kurze Wege“, erklärt Fehling, der auf Silberbesteck und Tischdecken verzichtet, um Arbeitszeit etwa beim Polieren einzusparen. Wer eine Reservierung nicht wahrnimmt, zahlt dennoch den Menüpreis. „Wenn drei Personen nicht erscheinen, haben wir keinen Gewinn und damit den ganzen Tag umsonst gearbeitet.“

Zwischen Kaviar und Authentizität

Ob sich der Sterneregen auch auf die Preise der österreichischen Spitzengastronomie auswirken wird? Sören Herzig hält das für wahrscheinlich – und für eine Herausforderung: „Es ist ja nicht so, dass man plötzlich zehn Gramm Kaviar mehr drauf macht oder alles mit Blattgold dekoriert. Ich bin glücklicher, wenn ich das Restaurant kontinuierlich voll habe und meine Mitarbeiter und meine Rechnungen bezahlen kann, als wenn ich am Ende einen Gast verärgere, der jetzt viel mehr zahlen soll als noch vor einem Jahr.“ Ein Michelin-Stern, betont Herzig, „sollte nicht nur für Luxus und Exklusivität, sondern auch für Kreativität und Authentizität stehen“. 

Ein Beispiel dafür liefert der Taco-Imbiss „El Califa de Léon” in Mexiko-Stadt: Das winzige Lokal mit wenigen Stehplätzen und Maisfladen mit hauchdünnem Steak wurde gerade als erstes seiner Art mit einem Stern ausgezeichnet. Ein Beleg dafür, dass exzellente Küche auch im ganz kleinen Rahmen überzeugen kann. 

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.03/2025 erschienen.

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