Nachdem Virginie Viard im Sommer 2024 überraschend ihren Rückzug aus dem Hause Chanel bekannt gegeben hat, munkelte die Modewelt lange Zeit, wer den begehrtesten Job der Modebranche übernehmen wird. Nun steht fest: Matthieu Blazy folgt der ehemaligen Karl Lagerfeld-Vertrauten und jahrelangen Chanel-Kreativchefin
Am liebsten trägt er Jeans und Sneaker, raucht Marlboro Lights und hat eine Schwäche für Stracciatella-Eis: Matthieu Blazy gilt als eher hemdsärmeliger Typ und einer der wenigen Designer, der der Modebranche mit Pragmatismus und weniger mit dem eigenen Ego begegnet.
Blazy weiß, was der Markt braucht und die Kunden wollen: in Zeiten schwindender Luxusgüternachfrage ist diese Finesse in Geschäftsdingen nicht unbedingt nachteilig. Vielleicht war auch das ein Grund, warum Chanel-Eigentümer Alain Wertheimer, CEO Leena Nair und „President of Fashion“ Bruno Pavlovsky auf Blazy und nicht auf andere schillernde Kandidaten, wie Hedi Slimane, Clare Waight Keller oder Simon Porte Jacquemus, setzten.


Bottega Veneta: Das Gesicht der Marke hat sich unter Blazys Federführung enorm gewandelt. Einige seiner Entwürfe, wie das spezifische „Intrecciato“-Design, gelten schon heute als legendär
© Victor VIRGILE/Gamma-Rapho via Getty ImagesVon Bottega zu Chanel
Seine ehemaligen Kollegen bei Céline und Maison Martin Margiela lobten schon vor Blazys Durchbruch bei Bottega Veneta dessen Offenheit, transparente Arbeitsweise und sein – in der Branche wohl eher eine Seltenheit – wenig divenhaftes Verhalten.
Obwohl der Designer vor Bottega eher aus der zweiten Reihe agierte, war er stets jenen Modehäusern verpflichtet, die zum jeweiligen Zeitpunkt kulturell am relevantesten waren und stets wichtige Trends zu setzen wussten. Blazys Entwürfe strahlen eine architektonische Strenge bei gleichzeitiger Tragbarkeit aus. Durchdachte Materialkombinationen gelten als sein Markenzeichen und sprechen sowohl jüngere als auch konservative Käuferschichten an.
Erst der vierte Designer bei Chanel
Nach Gabrielle Chanel, Karl Lagerfeld und Virginie Viard ist Blazy erst der vierte Designer bei Chanel. Die Erwartungen sind hoch und der Arbeitsdruck wohl noch höher: Zehn Kollektionen soll der Designer pro Jahr für das Haus entwerfen, darunter zwei Prêt-à-porter-, zwei Haute-Couture-, zwei Zwischen- sowie eine Cruise-Kollektion. Hinzu kommen die Métiers-d’Art-Kollektion und exklusive Linien wie „Coco Beach“ und „Coco Neige“. Die Modewelt wartet gespannt auf seine Interpretationen von Chanel-Klassikern, wie dem Tweed-Kostüm und dem „kleinen Schwarzen“. Im April endet sein Engagement bei Bottega Veneta. Gerade mal sechs Monate bleiben dem Designer dann für seine erste Kollektion für Chanel. Der Job eines Kreativchefs ist heute wohl so fordernd wie noch nie, denn der Fokus liegt längst nicht mehr nur auf glücklichen Konsumenten, geschweige denn auf künstlerisch wertvollem, innovativem Design. In erster Linie gilt es, Eigentümer und Aktionäre zufriedenzustellen, und die sind vorrangig an den nackten Umsatzzahlen interessiert.


Über 30 Jahre lang war die Französin Virginie Viard für Chanel tätig. Zuerst als Praktikantin, später an der Seite von Karl Lagerfeld. Nach seinem Tod stieg sie selbst zur Kreativchefin auf. Viard führte das Unternehmen in kommerziell sehr erfolgreiche Zeiten. 2018 verzeichnete das Unternehmen 11,1 Milliarden US-Dollar Umsatz, 2023 waren es 19,7, wobei kräftige Preissteigerungen für etwa neun Prozent dieser Umsatzsteigerung verantwortlich waren.
© 2024 Marc Piasecki/Getty ImagesJungdesigner unter Druck
Dass solche gehypten Debüts auch scheitern können, beweist der jünste Abgang bei Gucci: Nach nur zwei Jahren verlässt Sabato De Sarno das italienische Modehaus, der seinen Aufgaben, nämlich stagnierende Umsätze anzukurbeln und jüngere Kunden zu begeistern, augenscheinlich nicht gerecht werden konnte. Fest steht: Blazy ist kein glamouröser Stardesigner vom Format eines Karl Lagerfeld, ganz im Gegenteil. Der 40-Jährige würzt das Zeitlose, das Bekannte lieber mit subtilen und unerwarteten Elementen anstatt ganze Stil-Welten zu kreieren, wie der legendäre Lagerfeld. Die Zeit der großen, spektakulären Fashion-Shows scheint aber ohnehin vorbei zu sein. Auch in der Haute Couture werden Prozesse „faster“.
Dennoch zielen Blazys Designs auf eine gewisse Zeitlosigkeit ab und trafen in den vergangenen Jahren damit stets den Zeitgeist. Einer der wichtigsten Modetrends der letzten Jahre, „Quiet Luxury“, trägt bestimmt auch die Handschrift eines Matthieu Blazys. Während Viard Chanel die Verspieltheit nahm und die französische Kultmarke zurück zu ihren Wurzeln – nämlich der Alltagstauglichkeit – führte, erwarten Brancheninsider nun in erster Linie die Rückführung des Hauses zu modischer Relevanz. Wird Blazy Chanels Erbe bewahren und gleichzeitig neue Akzente setzen können? Die Antwort darauf wird seine erste Kollektion im Oktober liefern.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 07/2025 erschienen.
Matthieu Blazy
Nach seinem Studium an der Brüsseler Kunsthochschule La Cambre begann Blazy seine Karriere bei Raf Simons und wurde anschließend für Maison Margiela tätig. 2014 holte ihn die britische Modeschöpferin Phoebe Philo als Senior Designer zu Céline.
2016 kehrte er zu Raf Simons zurück und arbeitete bis 2019 in New York für Calvin Klein. 2020 zog er nach Mailand und übernahm unter Daniel Lee die Rolle des Designchefs bei Bottega Veneta. Nach Lees Abschied im Jahr 2021 stieg Blazy zum Kreativdirektor auf und etablierte fortan seine ganz eigene Handschrift.