Als Riesenfels beschreibt Leo Hillinger junior das Lebenswerk des Vaters. Er stellt sich ihm mit Leidenschaft und Bedacht. Erst schuf er seinen ersten eigenen Wein, nun lernt er das Handwerk von der Pike auf
In die großen Fußstapfen trat er mit ebenso viel Respekt wie Begeisterung. Leo Hillinger junior war gerade 18 Jahre alt, als er letzten Herbst seine erste Weinserie vinifiziert hat. Seine Cuvées "Jack White 2017" und "Jack Red 2017" reüssierten mit 92 bzw 91 Falstaff-Punkten. Hervorragende Qualität. "Dafür haben wir uns auch wirklich ins Zeug gelegt", erzählt der Sohn des Starwinzers aus dem Burgenland. Er hat gerade die zweite Woche seiner Ausbildung an der Landwirtschaftlichen Fachschule für Weinbau in Krems hinter sich. Und noch viel vor. Das erfolggekrönte Talent des Vaters, großen Träumen zu folgen, ist im Sohn gut erkennbar.
Hillinger junior war noch auf dem Weg zur Matura im Wiener Lernzentrum Walz, als er sich den großen Traum vom eigenen Wein zur Hürde gemacht hat. Mit den schulischen Aufgaben hatte dies höchstens indirekt zu tun. Neben Lernstoffvermittlung nach Oberstufenlehrplan steht an der Walz die Persönlichkeitsentwicklung durch praktische Projekte im Vordergrund. Ein "Projekt" nennt Hillinger heute im Rückblick auch seine erste Weinserie.
Etwas Eigenes schaffen
Als alternativlos bezeichnet der nunmehrige Student seine Zukunft im Weinbau. Von Kindesbeinen an war ihm dieser Weg klar. An mögliche Plan-B-Varianten verschwendete der Heranwachsende erst gar keine Zeit. Stattdessen nutzte er die erste Möglichkeit zum Schritt in die Weinberge.
"Ich wollte unbedingt neben der Schule schon etwas Eigenes schaffen. Für mich hat es als Projekt begonnen. Aber eigentlich war es viel mehr. Die Reben waren für mich wie Babys, die ich umsorgt habe. Ich habe wirklich mein ganzes Herzblut in diese Weine gesteckt", so Hillinger. Der Vater und der Kellermeister haben ihn begleitet und ihren Erfahrungsschatz offengelegt. Mehr nicht.
Wenn der Ganztagesschulbetrieb endete, ging es abends zu den "Babys" in den Weingarten. Vom Rebschnitt im Winter über den Laubschnitt im Sommer bis zur Weinlese im Herbst legte Hillinger dort selbst Hand an. Schulfreunde halfen bei der Weinlese und erhielten im Gegenzug einige Flaschen der neuen Kreation namens "Jack - without dad".
Eingeweihte wissen um die Ableitung des Namens "Jack" vom Spitznamen, den der Vater dem Sohn einst verpasst hat. Als Kind hatte er im berühmten "Fluch der Karibik"-Piraten Jack Sparrow ein Vorbild gefunden und wurde bald nach diesem gerufen. In der Familie und im Betrieb firmiert Hillinger junior heute noch als Jack.
Vater Hillinger freut sich über den Erfolg der Weine des Sohnes, wie er erzählt: "Obwohl sie noch sehr jung sind, haben sie bei den letzten Masterclasses sehr gut abgeschnitten. Ich komme gerade von Kundentouren in Sölden, Seefeld, Oberlech und Bregenz mit je 30 Sommeliers, und Jack war ihr Lieblingswein."
Die Rieden musste er pachten
Der Zusatz "without dad" im Namen von Hillingers Erstlingswein betont die Absenz des erfolgreichen Vaters im Herstellungsprozess. Es ist durchaus mehr als ein Marketinggag. Denn Hillinger musste die Rieden der Region Leithaberg vom Vater pachten, als er dort seinen Wein erschaffen wollte.
"Das hat der Papa von Anfang klargemacht, dass ich zwar Unterstützung von ihm bekomme, aber dass mir nichts geschenkt werden wird", sagt Hillinger junior. Realistisch bringt Vater Leo Hillinger das Schaffen des Sohnes auf den Punkt: " Natürlich ist mein Sohn noch am Anfang seines Weges und muss einiges lernen und viele Erfahrungen sammeln, aber wenn er seinen Weg konsequent verfolgt, bis er seine Ziele erreicht, und sich trotz Widerstand nicht von seinem Weg abbringen lässt, wird er sehr weit kommen." Man hört, dass er es dem Sohn zutraut.
"Man muss sich treu bleiben"
Zuvor legt der Vater Wert darauf, dass der Sohn lernt, eigene Entscheidungen zu treffen und mit deren Konsequenzen zu leben. Dieser Weg entspricht den Erfahrungen, die Hillingers Entwicklung zu Österreichs bekanntestem Winzer geprägt haben. Rückschläge und Gegenwind wurden dabei zu wichtigen Lehrmeistern des 53-jährigen Topwinzers.
Als Sohn eines kleinen Weinhändlers wurde ihm einst kaum mehr als die Leidenschaft zum Beruf in die Wiege gelegt. Der Vater hatte weniger als einen Hektar Eigenweingarten und einen Heurigen bewirtschaftet. Hillinger besuchte die Weinbauschule, absolvierte ein Praktikum in Neustadt an der Weinstraße in der deutschen Pfalz, blieb dort für drei Jahre und schaffte es mit einem Stipendium zum kalifornischen Weingut Walter Schug.
Es waren innovative Ideen und vor allem der Mut, in einem traditionsverwurzelten Berufsfeld Neues zu wagen, die Hillinger nach seiner Rückkehr nach Österreich reüssieren ließen. Am Anfang standen Weine, die er aus zugekauften Trauben kelterte, und die Investition in eine mobile Füllanlage, die den Wirkungsradius vergrößerte. Heute bewirtschaftet Hillinger mit seinem Betrieb 100 Hektar Weingärten und exportiert Weine in über zwanzig Länder.
Der Vater schuf einen "Felsen"
Aus dieser Erfahrung leitet Hillinger seinen Rat an den Sohn ab, den er für unerlässlich hält: "Man muss sich selbst treu bleiben und abwägen, was wichtig ist, um sich nicht zu verlieren. Ebenso zählen die Konsequenz, die Leidenschaft und der Ehrgeiz. All das darf man nie verlieren."
Der Sohn bezeichnet das Werk des Vaters als "Riesenfelsen". Er sagt es nicht ehrfürchtig und auch nicht leidend. Aber bestimmt. "Ich denke viel darüber nach, was er alles geschafft hat. Und dann sehe ich schon diesen riesigen Felsen, den ich halten möchte", so Hillinger junior.
Es ist auch eine Antwort auf so manche Kommentare, die dem Spross des Starwinzers klischeehaft unterstellen, es sich doch leicht machen zu können. "Dass man so einer Verantwortung auch gerecht werden möchte und es sich dabei nicht leicht macht, das sehen natürlich nur wenige", beschreibt der Junior. Und löst den ernsten Moment schnell lachend auf. "Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn Menschen mich kennenlernen und dann sagen: Geh. Du bist ja eh ganz bodenständig!"
Kritik und Neid begleiteten einst auch die visionären Unternehmungen des Vaters, etwa dessen Schöpfungsakt der beliebten Weinserie "Flat Lake" für Hofer. Hillinger junior sieht das pragmatisch: "Das gibt es eben auch. Damit muss man umgehen lernen. Man kann es auch so sehen: Beneidet wird nur, wer etwas geschafft hat."
Vom Papa noch Konsequenz lernen
Die nächsten drei Jahre verbringt Hillinger - wie einst der Vater - auf der Weinbauschule in Krems. In allen Details will er sich dort aneignen, was man heute über Wein wissen muss. Zur Ausbildung, die mit der Prüfung zum Weinbau-und Kellermeister abschließt, gehört ein mehrmonatiges Auslandspraktikum. "Mindestens für zwei, drei Jahre ins Ausland zu gehen, ist mein Plan", sagt Hillinger junior und wandelt abermals auf des Vaters Pfaden.
Den Junior zieht es nach Südafrika und Neuseeland. Neues zu entdecken, steht dabei im Vordergrund. Ob man in Sachen Wein denn tatsächlich noch etwas Neues erfinden könne, beantwortet er leichthin: "Vielleicht Neues entdecken. Vielleicht Verbesserungsideen sammeln. Ich glaube, dass es vor allem wichtig ist, sich woanders umzuschauen."
Bei der Umsetzung künftiger Visionen setzt er übrigens auch auf seine jüngere Schwester Vivienne. Die 17-Jährige besucht die Tourismusschmiede Modul in Wien und sieht ihre Zukunft auch im Familienunternehmen.
Eines ist da noch, das Leo Hillinger der Jüngere dem Vater abtrotzen möchte. "Seine Konsequenz!", sagt er. Ein Bewunderungsruf entfährt ihm: "Der Typ hat eine Konsequenz! Die möchte ich auch haben!" Damit hat er wohl den gewichtigsten Teil des Felsens erkannt.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 37/21