„Wer mich zu dieser Zeit in den Bann zog, war Jörg Haider.“ So beschreibt Brigitte Holzinger ihr Leben Anfang der 90er-Jahre. Der frühere FPÖ-Chef habe sie mit seiner Strahlkraft von Aussagen wie „Wir müssen schauen, dass es den Österreichern gut geht. Erst dann können wir uns um Flüchtlinge kümmern“ überzeugt. Im Jahr 2019 sitzt die Österreicherin gemeinsam mit Helfern in drei mit Spenden voll beladenen Autos Richtung Vučjak, einem Flüchtlingslager in katastrophalen Zuständen an Bosniens Grenze zu Kroatien. Auf eigene Initiative startete Holzinger einen Spendenaufruf (mit Unterstützung der Volkshilfe), um den Menschen, die in dem auf einer Müllhalde errichteten Lager leben, Decken, Schuhe oder Medikamente zu bringen. Kaum wieder zuhause, wird auch schon der nächste Spendentransport geplant, denn die Lebensbedingungen in Vučjak sind für Holzinger mehr als schockierend.
"Unerträglich"
Der Regen habe die aufgeschüttete Erde aufgeweicht, darunter komme der Müll wieder zum Vorschein, beschreibt Holzinger den Zustand des sogenannten „Jungle Camps“, in dem nur Männer sowie minderjährige Burschen leben, denn „Kinder und Frauen würden dort nicht überleben.“ Abgesehen vom Müll auf dem die Menschen zelten, sind auch die Zustände der viel zu wenigen sanitären Anlagen „unerträglich“, so Holzinger: „Die Menschen verrichten ihre Notdurft deshalb ums Lager.“
Doch die noch größere - sowie auch unausweichliche - Gefahr droht mit der Kälte: „Der Winter naht, die Gegend dort ist für einen frühen Wintereinbruch bekannt". Das Lager sei auf kalte Temperaturen aber noch überhaupt nicht vorbereitet. Das ist aber überlebensnotwendig, denn „wenn das Lager nicht winterfest gemacht wird mit Containern, kann man anfangen Leichensäcke zu bestellen“ zitiert sie die drastischen Worte des Dortmunder Journalisten und Fotografen Dirk Planert, der mit einem Team seit über drei Monaten in Vučjak unermüdlich humanitäre Hilfe leistet.
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Menschen wie er und Holzinger sind es, die ein (Über-)Leben in Vučjak überhaupt ermöglichen. Das lokale Rot-Kreuz, das das Lager notdürftig versorgt, sieht sich von der Regierung Bosniens und der internationalen Gemeinschaft schon lang im Stich gelassen: Die finanzielle Unterstützung reiche nicht aus, die nötige Zusammenarbeit zwischen bosnischen Behörden und internationalen Organisationen finde nicht statt. "Die genannten Akteure verstoßen damit gegen das humanitäre Völkerrecht", beklagte unlängst der lokale Rot-Kreuz-Chef Selam Midzic. Internationale Organisationen und NGOs wollen mit Vučjak nichts zu tun haben, das Lager entspricht nicht ihren Standards.
Improvisiertes Lager auf Müllhalde
Vučjak ist ein improvisiertes Lager außerhalb der Stadt Bihać im Nordwesten Bosniens. Rund 7.000 Flüchtlinge stecken derzeit dort, ganz kurz vor der kroatischen Grenze - und damit jene zur EU - fest. Weil die regulären Lager in dieser "Sackgasse" überfüllt sind, ließen lokale Politiker dieses auf dem Gelände einer ehemaligen Müllhalde errichten. „Es wurde auch dort errichtet, um vor allem die Männer von der Stadt Bihać fernzuhalten“, fügt Holzinger noch ein hässliches Detail hinzu.
Fluchtversuche als "Game"
Täglich versuchen die Flüchtlinge, die Grenze zu überschreiten. Diese beinahe "Mission Impossible" wird unter den Männern bereits sarkastisch als „Game“ bezeichnet: Scheitert ein Versuch, geht es quasi „zurück zum Anfang“.
Holzinger, für die früher einmal die FPÖ an erster Stelle im Leben stand und die Mitglied eines Haider-Fanklubs war, zeigt sich von den Erzählungen der Menschen diesbezüglich erschüttert: „Die Schlepper versprechen den Flüchtlingen, sie für viel Geld nach Kroatien zu bringen und stellen noch in Bosnien falsche Schilder der EU und Kroatiens auf. Dann schmeißen die die Flüchtlinge aus den Autos und sagen ihnen: ‚Ihr seid jetzt in der EU.‘“ Nähern sich die Flüchtlinge selbst der fußläufig zu erreichenden Grenze an, endet dies meist in Gewalt: „Sie werden von der kroatischen Polizei zurückgeprügelt. Als erstes wird ihnen das Geld abgenommen, die Handys zerstört und dann werden sie geschlagen. Auch geschossen wurde schon zur Abschreckung.“ Inzwischen habe sich herumgesprochen, dass es schwierig sei, die Grenze zu passieren. „Kaum jemand schafft es“, so Holzinger. Dennoch versuchen es die Menschen immer wieder – und es werden immer mehr: „Halbstündlich kommt die Polizei mit einem Kleinbus, der vollgefüllt ist mit Flüchtlingen ins Lager. Der Bus bleibt stehen, lasst die Menschen aussteigen, dreht um und fahrt wieder. Dort findet gerade eine Völkerbewegung statt wie von Ungarn nach Österreich 2015.“
Menschen zuvorkommend
Holzinger zeigte sich sichtlich berührt von der Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen in Vučjak - trotz der widrigen Umstände. Sie haben sich vor allem mitteilen und ihre persönlichen Geschichten erzählen wollen, schildert sie die Begegnungen. Außerdem wird sich dort auch gegenseitig geholfen, wie etwa Haare geschnitten oder für mehrere gekocht. Angst habe sie während des Besuchs im Lager keine einzige Sekunde gehabt.
Dennoch sei natürlich das wichtigste, die Menschen von dort "in eine menschenwürdige Unterkunft" zu übersiedeln. Die Aussichten darauf seien zwar nicht ganz hoffnungslos, aber „die Mühlen in Europa mahlen sehr langsam und der Winter ist gleich da“, zeigt sich Holzinger besorgt und macht sich deshalb schon an die Organisation des nächsten Hilfstransportes, diesmal mit einem LKW, den ein Bosnier zur Verfügung stellen wird.
„Die Bosnier sind im Grunde genommen selbst ein armes Volk“ beschreibt die Helferin die Situation der Einheimischen, "aber trotzdem sagen Sie: Denen gehört schon geholfen“, schildert Holzinger Begegnungen in einem lokalen Beisl: „Ich bin dort auf weniger Flüchtlingshass gestoßen als in Österreich.“
Der persönliche Wandel
Ihren eigene Skepsis gegenüber Flüchtlingen schmälerten diese - die Flüchtlinge - selbst. Als 2015 die Flüchtlingswelle Österreich erreichte, „stand ich dem Ganzen sehr skeptisch gegenüber“, schreibt die einstige FPÖ-Anhängerin in ihrer Autobiografie. „Wie viele andere Menschen auch fürchtete ich mich vor der sogenannten ‚Islamisierung‘. Was gingen mich Mohamed, Ali und Co. an? Die sollten doch hingehen, wo sie wollten, aber nicht nach Österreich.“ Und obwohl ihre FPÖ-Verehrung zu diesem Zeitpunkt bereits etwas abgeflaut war („Manches war mir doch zu Hardcore.“) "war in mir als ehemalige FPÖ-Wählerin schon eine vorgefertigte Meinung verankert“, beschreibt sie heute ihre Einstellung von damals.
Bis 30 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge ihre Heimatgemeinde, Kremsmünster in Oberösterreich, erreichten: „War es bei Menschen in Not überhaupt wichtig, welcher Religion sie angehörten? War es nicht einfach nur wichtig, nicht wegzusehen?“ Ihre Schwiegermutter eilte damals sofort zur Hilfe und übernahm eine Patenschaft für einen der Jungen. Und Holzinger? Schloss sich an. Damit waren es nicht mehr „die Flüchtlinge“, sondern sie hatten einen Namen. Immer mehr wuchs sie in diese Gemeinschaft hinein, organisierte eine Schule für die jungen Menschen, um den Pflichtschulabschluss nachzuholen und gründete einen Fußballverein. „Das erste Weihnachten haben wir mit 15 Flüchtlingen gefeiert. So bin ich zur Flüchtlingsmama geworden“, erzählt die ehrenamtliche Helferin, die nach einem Schlaganfall in Pension ist.
Von blau zu grün
Ihre ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit sieht sie auf der menschlichen Ebene, nicht auf der politischen. Zur Wahl geht sie am Sonntag aber trotzdem, ihre Stimme bekommt aber "sicher nicht" die FPÖ. Sondern? „Das ist kein Geheimnis. Da wir in Oberösterreich mit dem Rudi Anschober (Anm.: Landesrat der Grünen für Integration) großes Glück hatten, ist es für mich naheliegend, dass ich diese Partei unterstütze.“ Dennoch will sie festhalten, deshalb jetzt keine "Grüne" zu sein. Vielmehr will sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren und diese fortsetzen, denn seit 2015 habe sich einiges verändert, wenn auch nicht zum Positiven: "Vergessen ist er, der Sommer der Menschlichkeit 2015. Damals war das normal zu helfen" sagt die ehrenamtliche Helferin traurig. Sie selbst will damit aber auf keinen Fall aufhören, "sondern weiter und weiter machen. Ich schaue nicht weg, ich tu was."