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Die Kunst der Verhandlung

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Vom Feilschen auf dem Flohmarkt über das Insolvenzverfahren der Signa Gruppe bis zu den Friedensgesprächen im Nahen Osten - Verhandlungen finden in fast allen Lebensbereichen statt. Für viele Menschen sind sie ein notwendiges Übel, ein Nullsummenspiel, bei dem eine Partei gewinnt und eine andere verliert. Die Wissenschaft der Verhandlungen aber zeichnet ein anderes Bild. Worauf kommt es an und welche Techniken sollte man kennen? Ein Überblick.

Wann wird überhaupt verhandelt?

Grundsätzlich finden Verhandlungen nur statt, wenn alle Parteien potentiell profitieren können. Warum würde man sonst freiwillig in eine Verhandlung eintreten? Die wichtigste Frage vor jeder Verhandlung ist also, unter welchen Voraussetzungen eine Verhandlung sinnvoll ist. Folgende Konzepte aus der Forschung helfen, diese Frage zu beantworten:

BATNA (best alternative to a negotiated agreement)

Das BATNA bezeichnet die beste Alternative zu einer Verhandlungslösung. Das eigene BATNA sollte immer klar definiert sein, denn es beeinflusst, wie eine bestimmte Verhandlung geführt wird bzw. zu welchen Konditionen eine Einigung sinnvoll ist. Kennt man außerdem das BATNA der Gegenseite, so kann man einschätzen, wie weit diese zu gehen bereit ist.

Reservationspreis

In der Wirtschaftswissenschaft ist der Reservationspreis ist der letzte Preis, den man gerade noch gewillt ist zu zahlen bzw. anzunehmen. Umgelegt auf Verhandlungen ist es jener Punkt, unter dem kein Angebot angenommen werden kann. Das BATNA ist besser als eine Lösung unter dem Reservationspreis. Liegen die Reservationspreise beider Parteien zu weit auseinander, gibt es keine Möglichkeit für einen Deal.

ZOPA (zone of possible agreement)

Der Bereich zwischen den beiden Reservationspreisen ist die ZOPA. Zu Beginn jeder Verhandlung sollte klar sein, ob zwischen den Verhandlungsparteien überhaupt eine ZOPA existiert oder ob die Vorstellungen der beiden Parteien zu weit auseinander liegen.

Die Dynamik des Verhandelns verstehen

Sobald klar ist, dass sich eine Verhandlung lohnen kann, beginnt der eigentliche Prozess. Beide Parteien wissen, dass es vorteilhaft für sie ist, in Verhandlung zu treten. Die meisten Expert:innen für erfolgreiches Verhandeln betonen, Verhandlungen nicht als Kampf, sondern als gemeinsame Problemlösung zu verstehen. Beide Parteien können besser aussteigen als ohne zu verhandeln. Der kooperative Aspekt jeder Verhandlung rückt in den Vordergrund.

Reziprozität

"Wie du mir, so ich dir". Eine Devise, die bei allen Verhandlungen eine Rolle spielt. Die meisten Menschen neigen dazu, das Verhalten des Gegenübers zu kopieren. Das ist vor allem bei wiederkehrenden Verhandlungen der Fall. Niemand kann erwarten, Zugeständnisse zu bekommen, ohne selbst welche zu machen. Geht eine Partei einen Schritt auf die andere zu, etwa durch die Formulierung eines Angebots oder die Offenlegung von Information, erwartet sie im Gegenzug ein ähnliches Verhalten. Ist die andere Partei nicht gewillt ihrerseits Informationen zu teilen oder Angebote zu machen, wird die erste Partei ihr Verhalten anpassen und nicht mehr so kooperativ sein.

Information und Kommunikation

Eine der wichtigsten Währungen in jeder Verhandlung ist Information. Das Wissen um die jeweiligen BATNAs, das Wissen um die Reservationspreise beider Parteien oder Informationen über die Werte oder Motive der Verhandler:innen können eine wichtige Rolle spielen. Um eine positive Lösung für beide Parteien zu finden, ist es notwendig, Information auszutauschen. Gleichzeitig kann es ein Nachteil sein, wenn man zu viel preisgibt, ohne im Gegenzug auch Information zu erhalten.

Kontext

Es ist etwas völlig Anderes, ob es in einer Verhandlung um den Abschluss eines Kaufvertrags, um die Frage, was es zum Abendessen gibt, oder um die Formulierung einer neuen EU-Regulation geht. Jede Verhandlung hat ihren Kontext und dieser Kontext formt die Verhandlung. Die Beziehung der Verhandler:innen spielt eine große Rolle, ebenso wie Implikationen für Dritte. In der Familie muss man anders handeln als am Flohmarkt, und als Botschafter eines Landes müssen andere Dinge berücksichtigt werden als vor Gericht. Auch die Frequenz einer Verhandlung ist ein wichtiger Faktor. Muss ich nächste Woche wieder dieselbe Verhandlung führen oder ist es eine einmalige Interaktion? Es gibt keine allgemeinen Regeln, wie sich Verhandlungen im Geschäftsleben von politischen Verhandlungen unterscheiden. Wichtig ist nur zu sehen, dass es in den beiden Bereichen um andere Werte und andere Verhandlungswährungen geht.

Verhandlungstypen verstehen

In der Forschung werden zwei grundlegende Verhandlungstypen unterschieden, der kooperative und der kompetitive. Es ist wichtig, seinen eigenen Verhandlungstyp zu kennen ebenso wie den des Gegenübers.

Kooperativ

Der kooperative Verhandlungstyp ist auf das Wohl beider Parteien bedacht. Er schätzt Harmonie und Lösungen. Durch sein wohlwollendes Zugehen und seine Bereitschaft Zugeständnisse zu machen, bewegt er die Gegenseite dazu, sich ebenfalls kooperativ zu verhandeln. Seine Schwäche ist es allerdings, manchmal seine eigenen Interessen zu wenig zu betonen und dadurch eine unfaire Lösung zugunsten des Gegenübers anzunehmen.

Kompetitiv

Der kompetitive oder konfrontative Verhandlungstyp scheut sich nicht davor, die andere Partei vor den Kopf zu stoßen. Sein Fokus liegt allein auf den eigenen Interessen. Die Bedürfnisse der Gegenseite sind zweitrangig. Im richtigen Kontext kann der kompetitive Verhandlungstyp erfolgreicher sein als der kooperative, grundsätzlich zeigen Studien aber, dass ein aggressives und hartes Auftreten weniger gute Verhandlungslösungen herbeiführt als Kooperation.

Wenn zwei kooperative Typen interagieren, besteht das Risiko einer Lose-lose-Situation, denn beide Parteien tun sich schwer, ihre eigenen Interessen stark genug hervorzuheben. Verhandeln zwei konfrontative Typen, kommt es oft zu einer Stagnation, denn beide Parteien wollen nicht von ihrem Standpunkt abrücken. Bei einer Verhandlung zwischen einem kooperativen und einem kompetitiven Verhandlungstyp besteht das Risiko, dass Letzterer einer unfairen Lösung zustimmt, einfach nur um eine Einigung zu erzielen. Das Wissen über die Verhandlungstypen beider Parteien ist also ein wichtiger Faktor, um eine gute Lösung für alle Beteiligten zu finden.

Techniken und Strategien für erfolgreiche Verhandlungen

Den Kuchen vergrößern

Die verzwicktesten Verhandlungen sind oft die scheinbar einfachen, bei denen es nur um eine einzige Sache geht. Zwei Leute wollen etwas Anderes zu Abend essen, Anna will Spagetti, Bob lieber Schnitzel. Was tun? Die Lösung liegt oft in der Ausweitung dessen, worüber verhandelt wird. Vielleicht gibt es eine andere Meinungsverschiedenheit zwischen den zwei Personen? Anna möchte nach dem Abendessen ins Kino, Bob lieber Spazieren gehen. Vielleicht ist Anna aber das Abendprogramm wichtiger als das Essen, und Bob ist das Essen wichtiger als der Spaziergang. Die beiden könnten also Schnitzel essen und danach ins Kino gehen. Beide Parteien haben den Punkt, der ihnen wichtiger war, bekommen. Wenn es mehr gibt, über das verhandelt wird, dann gibt es auch mehr potenzielle Lösungen.

(Eröffnungs-)Angebote machen

Angebote machen ist nicht nur ein Zeichen guten Willens, sondern dient auch dem Informationsaustausch. Mit jedem neuen Angebot und jeder Ablehnung kommen beide Parteien einer Einigung näher. Und wenn nicht, dann merken sie zumindest, dass ihre Reservationspunkte zu weit auseinander liegen.

Ein Eröffnungsangebot kann eine gute Verhandlungstaktik sein, denn es dient als "Anchor" für die folgende Aushandlung. Das erste Angebot gibt einen gewissen Rahmen vor, einen Startwert, von dem aus man sich dann weiterbewegt.

Handeln

Der Austausch von Zugeständnissen ist ein elementarer Bestandteil jeder Verhandlung. Auf Forderungen der Gegenseite einzugehen, ist die einzige Möglichkeit, seine eigenen Interessen durchzusetzen. Es sollten also keine Zugeständnisse ohne Gegenleistung gemacht werden. Für jeden Schritt auf die andere Partei sollte man einen Schritt der Gegenseite einfordern.

In kleinen Schritten zur Einigung

Ein trivialer Punkt, der aber in Verhandlungen äußerst effektiv sein kann, ist das langsame Zugehen auf eine Verhandlungslösung. Nicht gleich 20 Prozent hergeben, wenn das Gegenüber ein Entgegenkommen erwartet, sondern erstmal 5 Prozent. Dadurch liegt der Ball wieder auf der Gegenseite und eine Reziprozität entsteht.

Ungerade Zahlen verwenden

Es macht einen Unterschied, ob ein Preis gerade oder ungerade ist. Kostet ein Haus 300.000 Euro, so wirkt diese Zahl arbiträr und erfunden. Ein Preis von 307.500 Euro hingegen scheint einen wirklichen Wert bzw. reale Kosten zu repräsentieren. Vor allem bei geschäftlichen Verhandlungen sollten die Angebote spezifisch sein, nicht gerundet.

Interessen statt Positionen

Das Orangen-Beispiel: Anna und Bob wollen beide eine Orange. Es gibt aber nur eine Orange. Der erste Impuls wäre, die Orange zu teilen und beide bekommen eine Hälfte. Sieht man aber hinter die reine Position (Ich will eine Orange) und beleuchtet die Interessen der beiden, wird klar, dass Anna das Fruchtfleisch der Orange essen will und Bob mit der Schale der Orange einen Kuchen backen möchte. Haben sie diese Information ausgetauscht, können sie die Orange besser teilen: Beide bekommen den Teil der Orange, für den sie sich eigentlich interessieren.

Psychologische Aspekte des Verhandelns

Verhandlungen können oftmals aufwühlend und stressig sein. Angst, Unsicherheit und Wut sind häufige Begleiterscheinungen intensiver Verhandlungen. Um den negativen Effekten dieser Emotionen entgegenzuwirken, gibt es eine Reihe von Maßnahmen. Spezielle Übungen, Kommunikation mit dem Gegenüber und ausgemachte Verhandlungspausen (cooling off) können helfen, Resilienz gegenüber diesen Gefühlen aufzubauen.

Weil Emotionen in Verhandlungen eine große Rolle spielen können, werden sie auch von professionellen Verhandler:innen gezielt eingesetzt.

Gespielte und authentische Emotionen

Gute Verhandler:innen können je nach Kontext positive sowie negative Emotionen spielen. Einzuschätzen, welcher emotionale Zugang gerade passender ist, gehört zu ihren größten Stärken. Die Forschung legt allerdings nahe, dass es einen Unterschied macht, ob eine Emotion authentisch ist oder nur gespielt. Echte Emotionen haben einen größeren Einfluss auf die Verhandlungsergebnisse als gespielte.

Negative und positive Emotionen

Konfrontative Verhandler:innen setzten vermehrt auf negative Gemütszustände wie Wut, Stress oder Anschuldigung, um Zugeständnisse zu bekommen. Kooperative Verhandler:innen neigen zu einer empathischeren Haltung. Auch hier zeigt die Forschung, dass der positive Zugang bessere Ergebnisse liefert als die Konfrontation. Unabhängig vom Kontext ist man also mit Wohlwollen und Freundlichkeit, egal ob authentisch oder nur gespielt, erfolgreicher.

Fallbeispiel

Ein spannendes Negativbeispiel: Der Vertrag zwischen Lockheed und Rolls Royce

Lockheed (heute Lockheed Martin) ist eines der größten Luftfahrtunternehmen der Welt. Ende der 1960er Jahre plante das Unternehmen die Produktion eines neuen zivilen Flugzeugs, die L-1011 TriStar. Die Triebwerke für die TriStar wurden beim britischen Konzern Rolls Royce bestellt. 1968 einigten sich die beiden Konzerne auf einen Fixpreisvertrag über 540 Triebwerke zu einem Stückpreis von 350.000 Pfund. Drei Jahre später kämpfte Rolls Royce mit technischen und finanziellen Problemen bei der Fertigung der Triebwerke. Die Produktionskosten stiegen auf über 400.000 Pfund pro Stück. Konfrontiert mit dem wirtschaftlichen Ruin bemühte sich Rolls Royce den Vertrag neu zu verhandeln. Aber Lockheed blieb hartnäckig und beharrte auf dem fixierten Preis. Der Vertrag sah eine Straf-Klausel von mehreren Millionen Pfund vor, sollte die Lieferung nicht wie abgemacht erfolgen. Rolls Royce lieferte die Triebwerke schließlich verspätet aus und musste neben der Strafe einen Verlust von über 60 Millionen Pfund hinnehmen. Rolls Royce ging an diesem Deal bankrott und wurde in der Folge verstaatlicht.

Was zunächst wie ein Verhandlungserfolg aussah, brachte aber auch für Lockheed massive Verluste. Weil sich der Bau der Flugzeuge um mehr als ein Jahr verzögerte, hatte die Konkurrenz inzwischen ein ähnliches Passagierflugzeug auf den Markt gebracht und an viele Fluglinien verkaufen können. Außerdem war Lockheed auf Rolls Royce angewiesen, denn anders als die meisten Flugzeuge war die L-1011 TriStar so konstruiert, dass ausschließlich Rolls-Royce-Triebwerke verbaut werden konnten. Die Insolvenz eines seiner strategischen Zulieferer war für Lockheed mittelfristig eine extreme Belastung, denn sie waren bei den Reparaturen der TriStar und bei der Entwicklung neuer Flugzeuge von Rolls Royce abhängig. In Folge des TriStar-Desasters war auch Lockheed am Rande der Insolvenz und musste durch große Anstrengungen seitens der US-Regierung gerettet werden.

Dieses Beispiel zeigt, dass eine vermeintlich erfolgreiche Verhandlung (Lockheed hatte sich schließlich einen sehr guten Preis für die Triebwerke gesichert) mittel- und langfristig negative Folgen für einen selbst haben kann. Steht man mit der anderen Partei in einer symbiotischen Verbindung, wie es zwischen zwei hochspezialisierten Konzernen oftmals der Fall ist, so ist der eigene Verhandlungserfolg nicht der einzige Faktor. Wäre Lockheed bereit gewesen wäre, den Vertrag nachzuverhandeln, hätten sie ihrem so wichtigen Triebwerkshersteller aus der Patsche und damit indirekt sich selbst geholfen. Die Lockheed-Verhandler:innen hätten diese Situation antizipieren können, waren aber zu fokussiert auf ihren guten Deal und die Millionen an Strafzahlungen, die ihnen zustanden. Hätten sie Verhandlungen als kooperative Problemlösung verstanden, hätten sie selbst weniger Verluste gemacht.

Schlussfolgerungen

Die Quintessenz der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kunst des Verhandelns ist der Perspektivenwechsel von einem konfrontativen Gegeneinander hin zu einem kooperativen Miteinander. Die Forschung zeigt, dass eine kooperative Verhandlungsstrategie durchschnittlich bessere Erfolge erzielt. Vor allem bei wiederkehrenden Verhandlungen mit strategischen Partner:innen, wie im Fall von Lockheed und Rolls Royce, ist das Interesse des Gegenübers in die eigene Kalkulation miteinzubeziehen.

Die Kunst der Verhandlung ist nichts, das man in einem Kurs oder mit ein paar Youtube-Videos lernen kann. Es braucht jahrelange Erfahrung, um die verschiedenen Aspekte einer Verhandlung zu beherrschen. Dennoch ist es ein wissenschaftlich gut durchleuchtetes Feld und es gibt eine Vielzahl an Ressourcen, die für den Einstieg ausreichen und die wichtigsten Konzepte und Ideen veranschaulichen. Im Folgenden eine kleine Auswahl.

Quellen

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