News Logo
ABO

Plötzlich Mutter - und rein gar nichts geahnt

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min
Illustration eines Ultraschallbildes

©Shutterstock.com
  1. home
  2. Leben
  3. Gesundheit

Immer wieder hört man von Fällen, in denen eine Frau ein Kind gebärt ohne vorher gewusst zu haben, dass sie überhaupt schwanger ist. Wie ist das möglich, fragen wir uns dann. Eine Frau muss doch merken, dass sie schwanger ist. Der Bauch wächst, die Monatsblutung bleibt aus. Wie kann man das übersehen?

In manchen, genauer gesagt in ein bis drei Prozent der Schwangerschaften, tritt in den ersten Monaten noch eine menstruationsähnliche Blutung auf, erklärt Johannes Huber, em. Professor von der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde. Verantwortlich dafür ist die Hypophyse, eine kleine, zwischen den Augen angesiedelte Drüse. Sie sorgt für das Einsetzen der Monatsblutung. "Eine Art innere Hormonuhr", veranschaulicht Huber, die während der Schwangerschaft aufgrund hormoneller Prozesse für gewöhnlich stillgelegt wird. Für gewöhnlich. Denn gelegentlich schwingt sie weiterhin mit. So kommt es zu Blutungen, die zwar etwas leichter sind, aber genau dann stattfinden, wenn die Frau die Regelblutung hätte. Ein möglicher Grund, warum Frauen manchmal nicht oder erst sehr spät wahrnehmen, dass sie schwanger sind.

Verdrängung bis zur Geburt

Dr. Andrea Kottmel, Fachärztin für Gynäkologie, unterscheidet klar zwischen der verheimlichten und der verdrängten Schwangerschaft. Während die Frau bei der verheimlichten Schwangerschaft lediglich ihr soziales Umfeld unwissend lässt, weiß sie bei der verdrängten von ihrem Zustand selbst nichts. Da es, wie bereits geschildert, auch ohne ihr mehr oder weniger bewusstes Zutun passieren kann, dass sie die Schwangerschaft verspätet bemerkt, spricht man erst ab der zweiten Schwangerschaftshälfte, also der 20. Woche, von der verdrängten Schwangerschaft. Denn spätestens dann sollte die Frau erkennen, dass sie schwanger ist, erklärt Prof. Claudia Klier, Fachärztin für Kinder und Jungendpsychiatrie. Zumal sie ab diesem Zeitpunkt auch die Bewegungen des Kindes spürt. Dennoch kann Verdrängung bis zur Geburt andauern.

So oft kommt es tatsächlich vor

Klier spricht in diesem Zusammenhang von der negierten Schwangerschaft. Einer 2012 veröffentlichten Studie zufolge kommt es in 1 von 475 Fällen weltweit während der ersten Schwangerschaftshälfte zur Negierung. In 1 von 2.455 Fällen kommt es zu einer vollkommen unvorhergesehenen Geburt. Zum Vergleich: In Österreich wurden im Jahr 2015 84.023 Babys geboren. Bei jenen Frauen, die die Schwangerschaft binnen der ersten Monate nicht wahrnehmen, handelt es sich Klier zufolge oft um Erstgebärende, denen die entsprechende Erfahrung fehlt. Oder aber es sind Frauen, die davon ausgehen, dass sie kein Kind bekommen können. Entweder weil sie eine sehr sichere Verhütungsmethode verwenden oder weil ihnen bereits Unfruchtbarkeit attestiert wurde.

Irgendetwas in ihr nimmt so effizient wahr, dass da nichts ist

Andrea KottmelFachärztin für Gynäkologie

Doch abgesehen von der leichteren oder komplett ausbleibenden Monatsblutung: Wie kann eine Frau die Tatsache, dass der Bauch immer größer und die Brüste immer praller werden, "verdrängen"? "Erfahrungsgemäß ist der weibliche Körper so sensitiv, dass die Frau merkt, wenn irgendetwas anders ist", bestätigt Huber. Anders sieht die Sache allerdings aus, wenn die Frau die Veränderung nicht wahrhaben will. "Irgendetwas in ihr nimmt so effizient wahr, dass da nichts ist", erklärt Kottmel. Dann werde das Brustspannen ignoriert, Übelkeit und Veränderungen der Verdauung etwa auf eine Magen-Darm-Grippe geschoben. Oft handelt es sich laut Kottmel auch um nicht ganz schlanke Patientinnen, bei denen eine Gewichtsveränderung mitunter weniger auffällt.

Warum verdrängt die Frau die Schwangerschaft?

Spätestens ab dem sechsten Monat müsste die Frau aber merken, dass der Bauch wächst, erklärt Huber. Doch: "Wenn sie das Kind ablehnt, lehnt sie auch das Dickerwerden ab und ignoriert mehr oder weniger wissentlich, dass da etwas passiert." Ganz nach dem Motto: Was nicht sein darf, ist nicht. Dazu Klier: "Je länger die Frau die Schwangerschaft verdrängt, desto eher geht man davon aus, dass eine psychische oder psychopathologische Ursache vorliegt." Frauen etwa, die an einer Psychose oder an Schizophrenie leiden, hätten einen derart starken Mangel an Körpergefühl, dass sie es nicht schaffen würden, die Zeichen der Schwangerschaft zu spüren. Fälle wie diese seien Kottmel zufolge aber sehr selten. "Die meisten Patientinnen sind im Alltag völlig unauffällig."

Irgendwo gibt es immer eine Geschichte

Andrea KottmelFachärztin für Gynäkologie

Dabei könnten die Ursachen für die Verdrängung gar nicht vielfältiger sein. "Jede Frau hat ihren Grund", unterstreicht Kottmel. Oft sind es soziale, familiäre Hintergründe, die es der Frau unmöglich erscheinen lassen, ein Kind in die Welt zu setzen. Eine nicht ganz stabile Beziehung etwa, ebenso wie eine prekäre Wohn- oder Arbeitssituation. Weil sich die Frau der Herausforderung nicht gewachsen fühlt, oder aber ihre aktuelle Situation, in der die Dinge gerade so laufen, wie sie laufen sollen, nicht verändern will. Die Angst vor dem Verlassenwerden spielt eine besonders große Rolle. Oft sind es Klier zufolge auch Schuld- und Schamgefühle einerseits und religiöse Vorbehalte vonseiten des sozialen Umfelds gegenüber dem außer- oder vorehelichen Geschlechtsverkehr anderseits, die es der Frau so schwer machen zu akzeptieren, dass sie schwanger ist. "Irgendwo gibt es immer eine Geschichte", verdeutlicht Kottmel.

So werden auch Ärzte getäuscht

Wer vor sich selbst nicht zugeben will, dass er schwanger ist, wird schließlich auch alles daran setzen, seine Umgebung zu täuschen. Doch wie kann es sein, dass sogar Ärzte eine schwangere Frau vor sich haben und es nicht merken? "Für einen Gynäkologen gibt es nichts Unangenehmeres, als eine Schwangerschaft zu übersehen", sagt Huber. Dennoch kommt es, wenn auch sehr selten, vor. Das könne, so Kottmel, mitunter daran liegen, dass der Arzt dazu angehalten ist, dem Patienten zuzuhören, seinem Hauptverdacht zu folgen. Gibt sich der Patient von seinem Verdacht nun dermaßen überzeugt, so nimmt der Arzt die Fährte auf. Letztlich sei die Devise "Never trust a patient" bei Gynäkologen aber besonders tief verankert.

Die Evolution hat die Schwangerschaft Gott sei Dank sehr gut abgesichert

Johannes HuberFacharzt für Frauenheilkunde & Hormonexperte

Nun stelle man sich vor, eine Schwangere trinkt 40 Wochen lang immer wieder Alkohol, raucht möglicherweise auch Zigaretten. Von gesunder Ernährung und der Versorgung mit all den wichtigen Nährstoffen ganz zu schweigen. Nicht auszudenken, welche Folgen das für das Ungeborene hat? Dazu Huber: "Die Evolution hat die Schwangerschaft Gott sei Dank sehr gut abgesichert." Natürlich sei das Kind gefährdet, wenn die Mutter weiterhin raucht und trinkt. Hinzu kommt, dass keine schwangerschaftsbegleitenden Maßnahmen vorgenommen würden. Die Frau geht nicht zum Arzt, nimmt keine Vitamine. Das alles wirke sich negativ aufs Kind aus, folgert Klier. "Anderseits", so Huber, "staunt man oft, was ein Kind während der Schwangerschaft alles aushält."

Wie sehr ist das Kind gefährdet?

Kottmel zufolge liegt das Problem eher in der angemessenen Versorgung des Kindes im Falle einer Akutsituation. Man wisse ja nicht, in welcher Schwangerschaftswoche sich die Mutter befindet. "Ist das Kind groß genug? Ist es zu klein? Ist es eine Frühgeburt oder nicht?" Diese Fragen könne man nicht beantworten, da man das genaue Alter des Kindes nicht kennt. So handle es sich hier prinzipiell um Risikoschwangerschaften. Ein Viertel der Kinder hätte laut Klier ein zu niedriges Geburtsgewicht. Und rund 30 Prozent müssten nach der Geburt auf der Intensivstation betreut werden. Zum Vergleich: Normalerweise sind es rund 10 Prozent. Dagegen sei die Rate der Frühgeburten nur geringfügig höher.

Große Gefahr auch für die Mutter

Für die Mutter wiederum bestünde die größte Gefahr darin, von der Geburt überrascht zu werden. Das Risiko, zu viel Blut zu verlieren, sei hier sehr hoch. Vor allem dann, wenn kein geburtshilfliches Team vor Ort ist. In 10 Prozent der Fälle, in denen das Kind bei der Geburt verstirbt, überlebt Klier zufolge auch die Mutter nicht. "Deswegen bieten wir Frauen die Möglichkeit, sowohl in der Schwangerschaft als auch während der Geburt anonym betreut zu werden", betont die Expertin. Eine Hilfe für Frauen, die Schwangerschaft als solche anzunehmen anstatt sie zu verdrängen, zu negieren? Wir hoffen es! Und nicht zuletzt auch ein Anstoß, Betroffene nicht zu verurteilen. Denn wenn für uns vielleicht auch nicht logisch nachvollziehbar: "Jede Frau hat ihren Grund."

Physische Gesundheit

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER