Wenn Valon Berisha zum Torjubel ansetzt, verschränkt er wie in Trance die Arme vor der Brust, spreizt die Finger und bewegt die flachen Hände langsam und geschmeidig wie Flügel auf und ab. Die Geste soll an die Schwingen eines Adlers erinnern. Eines Adlers, wie er - schwarz vor rotem Hintergrund - auch die albanische Flagge ziert. Valon Berishas Eltern stammen aus dem Kosovo und flohen noch vor der Geburt des Sohnes nach Skandinavien. "Heimat, das bedeutet für mich meine Familie", sagt dieser. "Im Herzen ist sie mir immer nahe, denn ohne ihre Unterstützung wäre ich nicht dort, wo ich heute bin."
Eine der Geschichten hinter dem medial hinlänglich breitgetretenen "Wunder von Salzburg" ist auch jene des Antreibers, Motivators und Mittelfeldmotors Valon Berisha. Es ist die Geschichte eines ehemaligen Flüchtlingskindes aus bescheidenen, höchst unsicheren Verhältnissen, das nun drauf und dran ist, die ganz große Fußballwelt zu erobern.
Vor nunmehr sechs Jahren vom norwegischen Klub Viking Stavanger verpflichtet, entwickelte sich der mittlerweile 25-jährige Berisha bei Red Bull Salzburg zu einem der konstantesten Spieler der Liga, doch nach dem Durchmarsch des Mateschitz-Klubs ins Semifinale der Europa League sind nun auch Spitzenvereine wie der FC Liverpool auf den technisch versierten Spielmacher aufmerksam geworden. Stimmt die Ablösesumme, so gilt ein glamouröser Wechsel in der Sommerpause als sicher. Aber auch Valons um ein Jahr jüngerer Bruder, Veton, ebenfalls Fußballprofi, ebenfalls hochtalentiert und seit Sommer des Vorjahres als hängende Spitze bei Rapid Wien engagiert, bekommt nun nach Anlaufschwierigkeiten von Woche zu Woche bessere Kritiken. "Veton ist ein Vorzeigeprofi mit unglaublichem Potenzial", lobt Rapid-Trainer Goran Djuricin.
Match um die Anerkennung
Kein Zweifel, die Berishas sind dick im Geschäft. Dabei war ihr bedeutsamstes Match nicht etwa jenes Vier-zu-eins gegen Lazio Rom (Valon) oder das Vier-zu-null im Derby gegen Austria Wien (Veton). Nein, das Schlüsselspiel der Über-Brüder fand schon viel, viel früher statt; und es ging darin nicht, wie branchenüblich, um Meisterschaften, Titel oder Pokale, sondern schlicht um soziale Anerkennung.
Valon Berisha
"Es ist nicht so einfach, der Asylant zu sein, der Ausländer", erinnert sich Valon an seine Jugend zurück. Sehr wohl habe er als Teenager Rassismus wahrgenommen, sehr wohl habe es da Ereignisse gegeben, die ihn in seiner Persönlichkeit nachhaltig geprägt und vorsichtig gemacht hätten. Etwa gegenüber jenen Menschen, die zuvor schlecht geredet hätten, mit den wachsenden Erfolgen im Fußball aber plötzlich seine Freunde sein wollten. "Manchmal hatte ich schon das Gefühl, dass einen die Leute ohne Grund hassen -aber da muss man stark sein, da muss man einfach durch."
Muss. Denn wenn es um das ökonomische Überleben einer weit verzweigten Großfamilie geht, zählt keine emotionale Wehleidigkeit. Auch wenn derbe Fouls ohne Ball an der Tagesordnung stehen. Es war Anfang der Neunzigerjahre, und Valon, Veton und auch deren ältere Schwester, Valentina, waren noch nicht einmal geboren, als sich die Eltern, Envar und Ajshe, Richtung Schweden und dann weiter Richtung Norwegen aufmachten. Ja, noch nicht einmal der Kosovo, die Heimat der Berishas, war als eigenständiges Land geboren, sondern mit seinem mythenumrankten Amselfeld noch immer Wiege und Zentrum des ultranationalistischen Serbentums. Immer wieder kam es in und um die Stadt Podujeva, aus der die Berishas weggingen, zu Übergriffen auf die albanischstämmige Bevölkerung, im sogenannten "Massaker von Podujeva" etwa wurden wahllos vierzehn Zivilisten, vorwiegend Frauen und Kinder, von serbischen Paramilitärs ermordet. Später, viel später, wurden einige der Täter in Belgrad von einem Gericht für Kriegsverbrechen verurteilt.
Stadt der glosenden Lunte
Kurzum: Es war ein Pulverfass mit stets glosender Lunte, das die Eltern der Berisha-Brüder da hinter sich ließen, aber auch Europas deklariertes Armenhaus. Die einstmals verstaatlichte Wirtschaft lag komatös darnieder, undurchsichtige Privatisierungen hatten der Korruption Tür und Tor geöffnet. Und so war es der erklärte Job des Auswanderer-Pärchens, Geld zu verdienen, um die Verwandtschaft zu versorgen. Allein sein Vater habe neun Geschwister, erzählt Valon Berisha, der laut dem Sportportal "Transfermarkt" heute einen Marktwert von 7,5 Millionen Euro hat. "Und Papa war der einzige in der Familie, der damals Arbeit hatte, nichts Großartiges, aber immerhin Arbeit. In dieser Zeit musste man wirklich auf jeden Cent schauen."
Das Ehepaar Berisha gründete in Skandinavien eine eigene Familie, fasste in aller Bescheidenheit in der norwegischen Küstenstadt Egersund Fuß, wo Valon und Veton als Teenager im lokalen Kickverein brillierten und rasch von den Scouts des Traditionsklubs Viking aus der Großstadt Stavanger entdeckt wurden. "Als ich Profi geworden bin, habe ich nicht mehr zugelassen, dass mein Vater auch nur einen Cent an die Familie im Kosovo schickt - das habe ich übernommen und später dann auch Veton", erinnert sich Valon Berisha.
Heute verdienen die Brüder im Fußball gut, doch das Bewusstsein dafür, dass sie ihr Job zu Privilegierten macht, ist ihnen nie abhandengekommen. Erst kürzlich, erzählt Veton, habe Valon dem Onkel im Kosovo ein Geschäft für Baubedarf eingerichtet. Noch immer, sagt er, bestünden zwischen Österreich und dem Land ihrer Wurzeln ganz augenscheinliche Gegensätze: "Hier sind tagsüber alle in der Schule oder im Job, dort sitzen die jungen Leute tagsüber im Café, weil es keine Arbeit gibt."
Das Leben als Baustelle
Der Vater, blickt Valon Berisha zurück, habe die Brüder in den Anfängen ihrer Fußballerkarriere unterstützt, wo er nur konnte. "Aber er hat uns auch gezeigt, worauf es ankommt, um im Leben durchzukommen: viel zu arbeiten und nie mit sich selbst zufrieden zu sein." Früher habe das Familienoberhaupt seine Söhne, die angehenden Fußballer, mit auf die Baustellen seiner Heimat mitgenommen, wo sie selbst Hand anlegen mussten. "Er wollte uns zeigen, wie schwer das Leben sein kann, wenn man sich nicht stets verbessert und an seinen Talenten arbeitet", sagt Valon.
Veton Berisha
Entsprechend bodenständig sind die Söhne trotz Karrierekick geblieben. Valon, privat noch Single, gilt in Salzburg als einer der wesentlichsten Faktoren für den mannschaftlichen Zusammenhalt, der sich auch um die Integration von Neuankömmlingen kümmert. "Man kommt in ein neues Land mit neuer Kultur und neuer Sprache - das ist nicht einfach. Deswegen versuchen wir hier, wie eine Einheit aufzutreten, wie eine Familie."
Und auch Veton, der ebenfalls noch alleinstehende Wahl-Wiener, ist von Starallüren so weit entfernt wie Hütteldorf von Döbling. "Luxus, das sind für mich Alltäglichkeiten: ab und zu essen gehen oder sich eine Kleinigkeit kaufen, ohne überlegen zu müssen, ob das Geld ausreicht." Doch nunmehr reicht es aus. Denn die Berishas punkten wöchentlich. Erst unten am Rasen. Dann draußen, im Spiel des Lebens.
Dieser Artikel ist der Printausgabe von News Nr. 16/2018 erschienen.