Am 24. Februar wurde aus dem, was laut Wladimir Putin ein "einfaches" militärisches Manöver sein sollte, der Krieg in der Ukraine. Bomben und Raketen flogen über den Himmel der Großstädte. Putin wollte einen Sieg in einem Blitzkrieg feiern. Doch nun dauert ein ermüdender Stellungskrieg schon bald vier Monate an, mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Und auf beiden Seiten findet man Kämpfer aus anderen Staaten.
Butscha, Irpin, Borodjanka - die Namen dieser Orte kennt man heute fast auf der ganzen Welt. Sie stehen für die Kriegsverbrechen der russischen Armee. Die Bilder der Toten, viele mit gefesselten Armen erschossen, haben die Welt empört und schockiert. Für viele Menschen außerhalb der Ukraine waren sie Anlass, selbst in den Krieg zu ziehen und gegen Putins Armee zu kämpfen. Briten, US-Amerikaner, Georgier kamen über die polnische Grenze nach Lwiw (Lemberg). Sie schlossen sich den freiwilligen Milizen an. Viele von ihnen hatten davor noch nie eine Waffe in der Hand gehabt oder gar in einem Krieg gekämpft.
Bei den Behörden in den Herkunftsländern dieser Kämpfer läuten deshalb die Alarmglocken. Zuletzt hatte man im Syrien-Krieg die Erfahrung gemacht, dass sich europäische Jugendliche unterschiedlichen Truppen - vom IS bis zu jenen des Machthabers Baschar al-Assad -anschlossen. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg forderte daher den ukrainischen Botschafter Wassyl Chymynez auf, die Online-Seite zur Registrierung für internationale Streitkräfte zu löschen, da es österreichischen Staatsbürgern verboten ist, in ausländischen Armeen zu kämpfen.
Kämpfer aus aller Welt
Doch wer sind diese Menschen, die sich den ukrainischen oder russischen Streitkräften anschließen? Sind hier tatsächlich faschistische Gruppen, Linksextremisten oder Islamisten im Einsatz, wie bisweilen behauptet wird? Ist dieser Krieg ein Stellvertreterkrieg wie jener in Syrien? Wer riskiert hier freiwillig sein Leben?
News war exklusiv zwei Tage lang mit freiwilligen Kämpfern in der Ukraine unterwegs. Bei einem "Wikinger-Bataillon", das von einem dänischen Odin-Anhänger, Viking, gegründet wurde. Das erste Treffen mit ihm fand in einer Söldner-WG statt. Um zur Wohnung zu gelangen, war dreimal das Taxi zu wechseln und es durfte kein Handy mitgenommen werden, um nicht geortet zu werden. Die Begründung: Die Russen hören Telefongespräche mit. Viking stehe auf der Liste jener Söldner, die getötet werden sollen. Russische Agenten und Spezialeinheiten seien dafür hinter den ukrainischen Verteidigungslinien aktiv.
Nach einem kurzen Gespräch lädt Viking ein, seinen Stützpunkt zu besuchen. Strikte Vertraulichkeit ist die Bedingung. Zwei Tage später kommt der erwartete Anruf. "Morgen hole ich dich ab, sei bereit." Tatsächlich tauchen am nächsten Tag mit zweistündiger Verspätung drei große getarnte Geländewagen in einer Seitenstraße nahe des Hotels auf. Der Konvoi rast mit beängstigender Geschwindigkeit durch die Straßen Kiews, immer in Erwartung eines Raketenangriffs. An den Checkpoints werden wir mit militärischem Gruß durchgewunken. Kommandant Viking wird von den ukrainischen Streitkräften inzwischen als eine Art Rockstar angesehen. Jeder will sich mit ihm fotografieren lassen und ein paar Worte wechseln.
Wir erreichen den Stützpunkt nach einer zweistündigen Fahrt. Rundherum verbrannte Erde, zerstörte Häuser, Trümmer. Teile eines russischen Panzers T74 sind in einem Radius von 30 Metern verstreut. Autokarosserien sind vom Maschinengewehrfeuer durchlöchert. Am Boden getrocknetes Blut. Dokumente, Schuhe, Uniformen der russischen Armee liegen herum. Zeugen der heftigen Kämpfe im März.
Das Maskottchen des Lagers ist Robin, ein großer Husky, den Viking adoptiert hat. Er lässt sich gerne streicheln. In der Mitte der Basis befinden sich die Lagerküche und ein großer Holztisch. Butterfly, Kalo, Filannd, Texax, TikTok -das sind die Kampfnamen der jungen Menschen, die zumeist aus skandinavischen Ländern, aus Polen, den USA und Rumänien stammen. Sie scheinen weder rechte Kriegstreiber noch linke Romantiker zu sein. Sie sind neugierig auf den Journalisten. Wir bekommen Wurst und Reis, Brot und Wasser serviert. "Kein Alkohol, das ist ein No-Go in Kriegsgebieten", sagt TikTok. Er ist ein berühmter Londoner TikToker mit mehr als vier Millionen Followern. An ihren Jacken tragen sie als Bataillons-Symbol einen Wikinger, an ihren Armen einen grünen Streifen mit der ukrainischen Flagge. Sie haben keine Waffen bei sich, denn die Regierung in Kiew hat das in Gebieten außerhalb der Front verboten.
Kalo ist eine junge Kämpferin, 20 Jahre alt, Studentin aus Krakau. Sie ist die Tochter ukrainischer Einwanderer in Polen, aber selbst polnische Staatsbürgerin. Sie sieht aus, als würde sie gerade aus der Uni-Bibliothek kommen. Ein blasses Gesicht, große blaue Augen, eine unsichere Stimme und ein schüchternes Lächeln.
Warum sind Sie hierher gekommen?
Ich bin gekommen, um diese Ungerechtigkeit zu bekämpfen, um mein Volk und die demokratischen Freiheiten zu verteidigen.
Wann haben Sie beschlossen, in die Ukraine zu kommen?
Nach den Bildern von Butscha und Irpin und der Bombardierung von Zivilisten konnte ich nicht einfach zu Hause bleiben und ich beschloss, mich den internationalen Freiwilligenkräften anzuschließen.
Haben Sie militärische Erfahrung?
Nein, gar nicht, aber ich werde es lernen.
Und wenn Sie von den Russen erwischt werden?
Ich werde nicht zulassen, dass sie mich vergewaltigen, ich werde ihnen nicht die Genugtuung geben, um Gnade zu bitten, ich werde Selbstmord begehen.
Was denken Ihre Eltern?
Sie sind sehr besorgt und wollen nicht, dass ich kämpfe, aber sie unterstützen mich.
Ist es für Sie ein Problem, die einzige Frau in der Gruppe zu sein?
Die Jungs, die mit mir unterwegs sind, sind nett zu mir. Sie respektieren, dass ich eine Frau bin und vor allem, dass ich eine Kämpferin bin. Außerdem gibt es viele Frauen, die zu den Waffen gegriffen haben. Ich bin nicht dazu da, hinter dem Herd zu stehen, sondern zu handeln.
Nach dem kurzen Gespräch steigen wir wieder in die Geländewagen. Gemeinsam mit Viking fahren wir los, um in den zerstörten Dörfern Erkundungen einzuholen. Wir kommen in ein Viertel mit achtstöckigen Gebäuden, die völlig zerstört, verbrannt und von Bomben zerfressen sind. Es riecht nach Tierkadavern, überall liegt Müll. Menschen versuchen, ihre Habseligkeiten aus den Ruinen zu holen.
Anton, ein Überlebender, läuft durch die Straßen, von Erinnerungen und Ängsten getrieben. Kalo und Viking sprechen mit ihm, fragen, was gebraucht wird und wie sie helfen können. Der Mann in den Fünfzigern mit weißem Haar, ein wenig vom Alkohol beeinträchtigt, nähert sich Kalo und beginnt, ihr seine Geschichte zu erzählen. Kalo ist die einzige Ukrainerin in der Gruppe und fungiert auch als Übersetzerin. Der Mann zeigt uns, wo er wohnt. Es ist ein fünf Quadratmeter großes, ausgebranntes Loch, auf dem Tisch ein paar Kartoffeln und Zwiebeln. Seine Muttersprache ist Russisch. Er erzählt von der Besetzung durch Putins Armee. Über die Stunden der Angst, die er nach seiner Verhaftung durch die Russen erlebte, von den Schlägen, die er bekam. "Ich habe überlebt, im Gegensatz zu den Menschen in Butscha oder Irpin, wo Zivilisten von russischen Soldaten massakriert wurden", sagt er.
Keine Zufallstreffer
Er nimmt uns mit in das Gebäude in der Nähe des Flusses, in dem er früher gewohnt hat. Viking sagt im Befehlston: "Setz den Helm auf." Am Eingang des Hauses macht schwarzer Ruß das Atmen schwer, alles ist völlig zerstört. Mehr als 20 Gebäude wurden in nächster Umgebung zerstört. Ein Zufallstreffer, ein Versehen im Krieg kann das nicht gewesen sein. In den Wohnungen sind noch einige Gegenstände zu sehen, die die Flammen überstanden haben. Koffer, die eilig gepackt, aber dann zurückgelassen worden sind.
TikToker ist schockiert, als er diese Szenen sieht. Er sagt: "Siehst du, warum ich hierhergekommen bin? Ich hatte ein Leben im Luxus in London, vier Millionen und mehr Follower, und ich verdiente gutes Geld. Jetzt bin ich hier - und nicht, weil ich ein Faschist bin." Russlands Propaganda lautet, man müsse die Ukraine von den Nazis befreien.
Der Wikinger mit den Tattoos im Gesicht, den großen Augen und den roten Haaren ist sehr selbstbewusst. Er hat die Bombardierung des Söldnerlagers in Lwiw mit russischen Raketen überlebt, mit den Ukrainern im Donbass gekämpft und dann sein eigenes Bataillon gegründet.
Aus welchem politischen Lager kommen Sie, von rechts oder von links?
Ich bin ein Tierschützer, ich halte mich weder für rechts noch für links und ich glaube an den Wikingergott Odin.
Was haben Sie in Dänemark gemacht? Erzählen Sie ein paar Details über Ihr Leben.
Ich lebte in einer Hippie-Kommune, meine Eltern waren Blumenkinder. Ich bin nicht verheiratet, ich hatte ein Geschäft, in dem ich Fahrräder verkauft habe, ein ganz normales Leben mit Höhen und Tiefen.
Sind Sie vorbestraft?
Ja, ich habe einen Jäger verprügelt, der einen Wolf getötet hat, aber das ist Jahre her.
Warum sind Sie hier?
Ich bin hier, um gegen die Besetzung durch die "Rote Armee" in der Ukraine zu kämpfen und die demokratischen Werte zu verteidigen.
Wie sind Sie in die Ukraine gekommen?
Ich kam aus Taiwan und verbrachte einen Monat im Ausbildungslager der internationalen Streitkräfte. Dann wurde das Lager bombardiert, weil irgendein Idiot Bilder in den sozialen Medien gepostet hatte. Die Russen sahen das und reagierten sofort mit einem Raketenbeschuss. Ich habe viele Kameraden sterben sehen, aber ich hatte Glück. Ich bekam Angst und beschloss, den Standort zu wechseln.
Hatten Sie bereits Erfahrung mit Waffen, waren Sie beim Militär?
Ich habe weder Erfahrung mit Waffen noch mit dem Militär.
Haben Sie schon in der Ukraine gekämpft?
Ja, ich habe in den Außenbezirken von Kiew im Rahmen der internationalen Streitkräfte gekämpft.
Warum haben Sie Ihre eigene Gruppe gegründet?
Sie übertrugen mir die Verantwortung, die Ströme neuer Kämpfer zu koordinieren, und damit war die Idee der Wikinger-Gruppe geboren.
Und weil die Russen es auf Sie abgesehen haben, werden Sie in den sozialen Medien mit Drohungen überschüttet? Ich weiß nicht, ob es daran liegt, aber die Todesdrohungen sind real.
Ob diese jungen Menschen den Krieg überleben werden? Keiner weiß es. Ebenso wie niemand wissen kann, wann und wie dieser Krieg enden wird.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 24/2022 erschienen.