- Name: Stefan Steiner
- Geboren: 9. Mai 1978
- Aufgewachsen in: Wieselburg, Niederösterreich
- Funktion: selbstständiger Berater mit dem einzigen Kunden: Sebastian Kurz
- Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, Abschluss 2004 mit Doktorat
- Familienstand: verheiratet
- Kinder: 3
Wenn Sebastian Kurz vor die Kameras tritt, um den Menschen in Österreich die neuesten Corona-Maßnahmen zu verkünden, hat er davor mit Regierungskollegen, Landeshauptleuten und Experten konferiert. Seine Meinung hat er sich wohl schon vor diesen (virtuellen) Treffen, die der politischen Konvention Genüge tun, gebildet. In langen Gesprächen mit einem seiner wichtigsten Berater: Stefan Steiner ist seit den Anfängen von Kurz in der Spitzenpolitik an dessen Seite. Er ist sein erster Bürochef, als der damalige JVP-Chef etwas überraschend Integrationsstaatssekretär wird, begleitet danach alle seine Karriereschritte und entwickelt türkise Inhalte und Strategien für den Weg an die Spitze, Regierungskrisen und Neuwahlen.
Der Mann im Hintergrund
Kurz' erstes politisches Mantra, "Integration durch Leistung", geht ebenso auf sein Konto wie die strikte Linie in der Flüchtlings-und Asylpolitik, aber auch der "Familienbonus", ein Leuchtturmprojekt von Türkis-Blau, das unter Türkis-Grün noch erweitert wurde. Steiner sitzt in den wichtigsten Verhandlungsgruppen bei Koalitionsgesprächen. Er hätte wohl jedes Ministeramt in den beiden Kurz-Regierungen haben können, zieht es aber vor, der Mann im Hintergrund zu bleiben. Je nach -politischem -Standort wird er von Beobachtern entweder als "klügster Mensch, den ich kenne", bodenständig und bescheiden beschrieben oder misstrauisch beäugt und in den Ibiza-Untersuchungsausschuss geladen.
Alles nur kein Generalsekretär
Selten redet Steiner mit Medien über sich und seine Arbeit. Doch wenn er es tut, dann nimmt er sich Zeit, ist ein offener Gesprächspartner. Nur eines will er dabei nicht: wie ein Generalsekretär der ÖVP klingen. Das war er nämlich schon, hat das Amt aber wieder abgegeben, weil er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen will. Er bittet in sein Büro in der ÖVP-Zentrale. Es ist groß, aber karg gestaltet, Wahlplakate aus dem Jahr 2017 hängen an der Wand. Gearbeitet wird meist ohnehin woanders: entweder direkt im Kanzleramt in unmittelbarer Nähe von Kurz und dem Rest seines Teams oder am Telefon von zuhause aus.
Wie ist der Arbeitsalltag in Zeiten von Corona und innenpolitischen Turbulenzen? "Schon sehr fordernd. Der Tag beginnt mit der Morgenbesprechung und endet, wenn der Kanzler schlafen geht. Und er geht sehr spät schlafen. Oft nach Mitternacht." Freie Tage gibt es selten, "ich arbeite viel, aber es ist insofern familienfreundlich, weil ich mittlerweile viel über das Handy mache und nicht mehr 14,16 Stunden im Büro bin. Ich kann also die Kinder in die Schule bringen oder mit ihnen mal Fußball spielen. Und wenn dazwischen das Handy läutet, gibt es halt ein kurze Pause und dann eine zweite Halbzeit." Steiner hat drei Kinder im Alter von acht und sieben Jahren. Seine Frau ist Unternehmerin und arbeitet ebenfalls zuhause. Das Spannungsfeld von Homeoffice und Homeschooling kennt er also. Fließt das bei der Beratung über Lockdowns und Lockerungen ein? "Absolut!"
"Ich nehme mir kein Blatt vor den Mund"
Seine Arbeit als Berater heißt, Sparringpartner für interne Diskussionen zu sein, und Steiner steht dabei nicht allein mit Kurz im Ring: "Jeder im Team diskutiert mit, und es ist nicht so, dass wir immer einer Meinung sind. Es ist ein Ringen um die beste Lösung. Der Berater und Ratgeber darf dabei alles. Ich nehme mir kein Blatt vor den Mund. Wie sich das am Ende niederschlägt, ist allein die Entscheidung von Sebastian Kurz."
Bodenständiger Landmensch
Steiner stammt aus Wieselburg in Niederösterreich. Dorthin zieht es ihn noch immer fast jedes Wochenende. "Ich bin ein sehr bodenständiger Mensch, habe immer noch meinen alten Freundeskreis, habe dort früher im Verein Fußball gespielt und kenne viele Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen. Die wissen alle, was mein Beruf ist, und ich bekomme oft sehr unmittelbares Feedback:,Diese politische Maßnahme finden wir gut, das geht uns auf die Nerven, das haben wir am Anfang nicht verstanden.' Das kann ich dann zurückspiegeln an den Bundeskanzler." Für Steiner sind es diese Meinungen der Menschen und kleinen Umfragen, die sich auch im politischen Handeln niederschlagen. Dass die ÖVP generell ihre Politik nach Umfragedaten ausrichte? "Ich glaube, da wird zu viel hineingeheimnist. Natürlich machen wir wie jede andere Partei Umfragen, aber die sind nicht der Maßstab unserer Arbeit. Man darf sich Politik nicht so vorstellen: Ich starte eine Umfrage und mache dann, was dabei herauskommt. Das wäre zu einfach. Politik ist viel schwieriger, komplexer und komplizierter."
Politische Familie
Steiner stammt aus einer politisch interessierten Familie. Auch sein Bruder Thomas war in der Politik tätig, im Kabinett von Innen-und Finanzministerin Maria Fekter, und sitzt heute im Direktorium der Österreichischen Nationalbank. Steiners Schwägerin Klaudia Tanner ist Verteidigungsministerin. "Seit meiner Kindheit und Jugend haben wir zuhause über Politik diskutiert, auch mit vielen unserer Gäste, die oft eine ganz andere Meinung hatten. Mitgenommen habe ich dabei, dass auch in harten Diskussionen mit klaren Standpunkten der Respekt vor dem Gegenüber das Wichtigste ist."
Zwischen Wieselburg und Istanbul
Die Eltern sind Lehrer und ziehen, als Stefan zehn Jahre alt ist, mit den Kindern nach Istanbul, um am St. Georgs-Kolleg zu unterrichten. Der Vater lehrt Deutsch und Latein -"Er war zeitweise der einzige Lateinlehrer in der Türkei", erzählt Steiner -, die Mutter Deutsch und in Österreich auch Biologie. Stefan geht acht Jahre lang in Istanbul in die Schule und lernt, fließend Türkisch zu sprechen. Das Leben in der Türkei hat ihm gezeigt, dass man sich Integration erarbeiten muss, und das hat sicher seine politische Haltung in diesem Bereich geprägt.
Der Blick über den Tellerrand
Fragt man ihn in heute, welche Erfahrung er mitgenommen hat, fällt ihm in Corona-Zeiten jedoch etwas anderes ein: "Ich habe dort sehr viele internationale Bekanntschaften machen dürfen. Das hat mein Denken heute insofern geprägt, als ich immer den internationalen Vergleich suche. Wie machen wir Politik, und wie machen sie das in anderen Staaten? Der Blick über den Tellerrand ist extrem wichtig. Was machen die Israelis oder die Dänen gegen die Pandemie, und was davon können wir für unsere eigene Arbeit mitnehmen? Von den Besten lernen, ein Interesse an anderen Einstellungen und Kulturen -das habe ich sicher in der Türkei gelernt."
Das türkische Lebensgefühl
Und im politischen Geschäft ebenfalls wichtig: "Die türkische Gelassenheit hilft mir noch heute, die Dinge zu trennen: in jene, die man ändern kann und für die es sich zu kämpfen lohnt, und in jene, die man selbst mit aller Anstrengung nicht ändern kann." An das Lebensgefühl dieser Jahre erinnert er sich gerne: "Die Ufer des Bosporus im Frühling, wenn die Bäume in den verschiedensten Farben blühen. Die Fan-Gesänge und der Torjubel, den man aus dem nahen Besiktas-Fußballstadion bei uns am Balkon gehört hat." Und, weil die Liebe ja durch den Magen geht: "Lamm ist neben Schnitzel meine Lieblingsspeise."
Der Weg in die ÖVP
Mit 18 kehrt Steiner zurück nach Österreich, um Jus zu studieren. Er hängt noch ein Auslandsjahr in Belgien an, und bald zieht es ihn in die Politik. Einer seiner Nachbarn in Wieselburg ist Stephan Pernkopf. Er war Kabinettchef des Josef Pröll, ist heute Landeshauptmann-Stellvertreter in Niederösterreich und einer der wenigen Vordenker der ÖVP in Sachen Klimakrise. Er empfiehlt den Juristen weiter.
Misserfolge erste Reihe fußfrei miterlebt
Steiner lernt alle Facetten politischer Arbeit, von Erfolgen und Misserfolgen kennen. Er war Mitarbeiter der Innenminister Günter Platter und Maria Fekter. Der damalige ÖVP-Chef Josef Pröll holt ihn in die Parteizentrale. Hier kann Steiner erste Reihe fußfrei zusehen (und für später daraus lernen), wie in der ÖVP Hoffnungsträger verglühen können. Pröll ist drauf und dran, die ÖVP zu reformieren, sie soll liberaler werden. Ein Perspektivenpapier, das rund um den jungen Parteichef entwickelt wurde, schafft es aber nicht ins Parteiprogramm. Das Beharrungsvermögen von Landeshauptleuten und Bündechefs ist stärker. Pröll wirft 2011 das Handtuch und tritt als Parteichef und Finanzminister zurück. Sein Nachfolger ist Michael Spindelegger, der holt Kurz als Staatsekretär in die Regierung und dieser wiederum Steiner an seine Seite.
Steiner spielt seine Rolle bei Kurz' Aufstieg herunter. Ist er der "Kanzlermacher", als der er oft tituliert wird?"Kanzlermacher? Nein!" Das Mastermind hinter einem "Projekt Ballhausplatz", einer vorausschauenden Planung, wie Kurz Parteichef werden und die Nationalratswahl gewinnen könnte?"Das sind doch alles Übertreibungen und mediale Zuschreibungen. Ich würde es gerne bescheidener formulieren: Sebastian Kurz arbeitet gerne im Team, und jeder leistet seinen Beitrag."
Mit Wut im Bauch im Ibiza-Ausschuss
Dieser Beitrag hat Steiner eine Vorladung zum Ibiza-Untersuchungsausschuss eingebracht, wo er zu Spenden an die ÖVP befragt wird und den Verdacht, dass es dafür Gefälligkeiten seitens der Kanzlerpartei gegeben habe, zurückweist. "Sei nie bestechlich, lass dich nie kaufen", habe ihm seine Mutter mitgegeben, erklärt er dort. Wie der Öffentlichkeitsscheue diesen Auftritt empfunden hat?"Ich hatte eine Wut im Bauch aufgrund der Doppelmoral, die dort von der SPÖ und den Neos an den Tag gelegt wird: Wenn diese Parteien Jobs besetzen, ist das gut, wenn es aber die ÖVP tut, ist das böse. Das kann mir keiner erklären, und das ist für mich politische Heuchelei. Da ich Ungerechtigkeit und das Messen mit zweierlei Maß nicht aushalte, musste das im U-Ausschuss auch öffentlich raus."
Worum geht es Steiner in der Politik, in der er für die ÖVP alle Koalitionsvarianten von Rot-Schwarz über Türkis-Blau bis Türkis-Grün ausprobiert hat? "Es geht im Endeffekt immer darum, einen Konsens herzustellen und auch das Gemeinsame zu suchen, damit Österreich ein Stück weit besser wird. Das ist mein Anspruch." Wie er "besser" misst? ",Besser' heißt für mich zum Beispiel, wenn man ein Gesundheitssystem hat, auf das man sich verlassen kann. Durch den Vergleich mit Belgien und der Türkei weiß ich, dass wir auf das österreichische stolz sein können, dass man es aber auch ausbauen und verbessern kann und soll. Natürlich finde ich es gut, wenn die Menschen durch niedrige Steuern mehr zu Leben haben, wenn mehr Geld für Familien übrig bleibt. Auch wenn das jetzt in der Krise schwer ist, ist mir wichtig, dass man der nächsten Generation möglichst wenig Staatsschulden hinterlässt. Und: Wie schaut es ökologisch aus, welche Welt übergibt man? Wie wettbewerbsfähig sind wir als Standort, und wie schafft man möglichst viele Jobs, von denen man gut leben kann? All das sind Dinge, an die ich glaube, für die ich kämpfe und die mir wichtig sind."
Steiner sieht keinen Rechtsruck der ÖVP
Dass die ÖVP unter seiner Mitarbeit nach rechts gerückt sei, weist Steiner zurück. "Das finde ich überhaupt nicht. Die Werte der ÖVP haben sich nicht verändert. Sichere Grenzen und ein geordnetes Asylwesen sind Themen, die es früher auch bei der ÖVP gegeben hat, jetzt sind sie vielleicht akzentuierter." Auch die SPÖ und die Grünen hätten ihre Positionen dazu verändert. "Das merkt man einfach, weil die Welt sich etwa durch die Flüchtlingskrise verändert hat. Auch das ist für mich Politik: Zu begreifen, was sich in der Gesellschaft ändert und was man daher an seiner Politik verändern muss."
Ein wunder Punkt
Der Vorwurf, die ÖVP hätte ihre christlich-sozialen Werte hinter sich gelassen? Man sieht ihm, dem gläubigen Menschen, an, dass er damit ein Problem hat: "Ich glaube, man sollte ein bissel großzügiger in dieser Frage sein. Was ist christlich, was ist katholisch? Für mich hat da viel Platz, insofern wäre ich in der Beurteilung breiter und nicht so streng und eindimensional. Ich würde nicht sagen, dass das, was man als klassisch links-katholisch bezeichnet, oder konservative Strömungen in der Kirche keinen Platz haben. Aber ich glaube vor allem, dass die Mitte Platz haben muss. Man hat die Wahrheit nicht gepachtet." Ein Blick auf die katholische Kirche zeige ein vielfältiges und oft widersprüchliches Spektrum: von ethischen Fragen bis zur Sozialpolitik, von Flüchtlingshilfe bis zur Bewahrung der Schöpfung. "Ich glaube, in der Kirche hat ganz viel Platz, und auch die ÖVP hat ein breites Dach für unterschiedliche Meinungen."
Seinen Freund und einzigen Kunden Sebastian Kurz haben die zehn Jahre in der Spitzenpolitik verändert, die Leichtigkeit ist weg, er ist in der Doppelmühle zwischen Popularität und Polarisierung. "Sebastian Kurz lässt niemanden kalt. Entweder man findet ihn gut, oder man lehnt ihn ab." Was haben diese zehn Jahre mit ihm, Steiner, gemacht?"Ich bin immer noch sehr offen für andere und für Neues. Macht es etwas mit einem? Natürlich. Aber das ganze Leben verändert einen, meine Auslandsaufenthalte, mein Studium, meine Kinder haben mich ebenfalls sehr geprägt."
Die Droge Politik
Politik ist wie eine Droge, heißt es oft. Wer einmal tiefer in sie eingetaucht wird, kommt schwer von ihr los. "Ich würde es auch ohne Politik aushalten. Es hat ein Leben vor der Politik gegeben, es wird auch ein Leben nach der Politik geben. Die Politik fordert sehr, nimmt einen großen Teil meines Lebens ein, aber ich hab auch Hobbys, ich hab Familie. Ich genieße es, wie es derzeit ist. Und wenn es vorbei ist, dann gehört das auch zum Leben dazu. Alles hat seine Zeit."