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Wie man nach 16 Jahren unentbehrlich bleibt

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Heinz Sichrovsky
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Drei bedeutende Premieren an einem Tag beweisen, dass sich die Bühnen des Ernstes der Lage noch nicht bewusst sind. Die "Josefstadt" legt dafür einen Kracher vor. Doch der kann zweieinhalb Monate nicht gespielt werden

Wenn Anton Zeilinger in seinen Bemühungen nur weiter vorgedrungen wäre! Dann hätte ich mich am vergangenen Samstag als überreifes Teilchen zwischen zwei Adressen in Wien und einer in St. Pölten teleportiert. Die mittlerweile schaffensrelevante Überdosis Red Bull (das Viagra des alternden Kritikers) hätte mich dann ermächtigt, a) den Einstand der neuen Intendanz des Theaters an der Wien, b) die Uraufführung eines fast von Daniel Kehlmann stammenden Zweipersonenstücks am Burgtheater und c) die Dramatisierung von Canettis „Blendung“ am Stadttheater St. Pölten simultan wahrzunehmen. Dass wegen des Regisseurs Nikolaus Habjan letztgenannter Termin der interessanteste gewesen wäre, entnehme ich, kaum überrascht, den Kritiken. Aber ich habe mich auch in der kargen Halle E, dem Ausweichquartier des sanierungsbedürftigen Theaters an der Wien, wie zu Hause gefühlt: Janaceks „Schlaues Füchslein“ ist dort dem Intendanten Stefan Herheim, einem ausgezeichneten Ensemble und den Symphonikern unter Giedre Slekyte prachtvoll gelungen.

Gehen Sie unbedingt hin! Die Bühnen brauchen Zulauf, und es ist nicht übertrieben, die Verhältnisse bedrängend zu nennen. Womit ich beim eigentlichen Thema bin: Die Programmierung dreier maßgeblicher Premieren an einem Abend lässt befürchten, dass man sich veranstalterseitig des Ernstes der Situation nicht bewusst ist. Gut, der Canetti musste wegen des pandemischen Ungemachs gleich um ein Jahr verschoben werden. Aber auch diesfalls scheint es wenig konstruktiv, sich in einen Verdrängungswettbewerb um die wenigen professionellen Kritiker und den schwindenden Platz auf den Kulturseiten und in den Nachrichten einzulassen.

Die „Josefstadt“ hingegen ist es am Donnerstag auf den ersten Blick richtig angegangen. Sie war mit Ostrowskis Komödie „Der Wald“ allein, und hier hat sich erkennbar der ersehnte Publikumskracher angebahnt: Andrea Jonasson, Herbert Föttinger und der Hausdebütant Robert Meyer legen wahre Virtuosenstücke hin. Das Publikum tobt, die Kritiker freut es. Leider kracht es bloß virtuell. Denn, eine ausverkaufte Reprise ausgenommen, wird „Der Wald“ erst wieder um Silvester und dann im März gezeigt. Wie das? Andrea Jonasson und Meyer sind überbucht. Der eben aus dem Amt geschiedene Volksoperndirektor ist in München und an seinem früheren Haus unabkömmlich. Dort baut die neue Führung ihr Repertoire erst auf, und was man davon bisher sah, kann sich an Magnetismus mit den Übernahmen nicht vergleichen. Also spielt Meyer in Serie seine alten Erfolge.

Nun könnte man sich hier über die Parameter sinnstiftender Planung ergehen. Man könnte aber auch tiefergreifend fragen: Wie ist es möglich, dass der Volksoperndirektor, der sich vor 16 Jahren von der „Burg“ verabschiedet hat, als Solitär der Schauspielkunst an drei Häusern unentbehrlich ist? Nur Martin Kusej hat ihn nicht zurückgebeten, und angesichts der Tatsache, dass die „Burg“ keinen Nestroy oder Horvath mehr rollendeckend besetzen kann, erstaunt das. Aber auch wieder nicht. Denn während die „Josefstadt“ die anderswo ignorierten bis vertriebenen letzten Identitätsstifter österreichischer Theaterkunst (man denke an Nikolaus Habjan, Johannes Krisch, Wolfgang Hübsch, Günter Franzmeier, jetzt Meyer) sorgsam aufsammelt, tauschen andere ganze Ensembles aus. Die von Kusej formierte schlechtgelaunte Multikulti-Besatzung empfahl sich zu Saisonschluss in Scharen aus der „Burg“. Aber kein Österreicher durfte nachrücken.

Beantwortet das die Frage nach Meyers Unentbehrlichkeit? Nein, denn weder die Musicals an der Volksoper noch der „Josefstadt“-Ostrowski verlangen österreichische Schauspielkunst. Das Problem scheint ein ernsteres, existenzbedrohendes: Eine ganze Generation charismatischer, publikumsmagnetischer Schauspieler ist binnen kurzer Zeit verstorben. Und nach Gert Voss, Ignaz Kirchner, Helmuth Lohner, Peter Matic, Johann Adam Oest hat sich sich plötzlich der Boden aufgetan. Es fehlt überall. Ohne Maertens, Ofczarek, Maria Happel oder den Gast Tobias Moretti bekommt man kaum noch Publikum ins Burgtheater. Und sie wirken fast isoliert, wie aus einer anderen Zeit. Kann es sein, dass das zunächst interessante, jetzt zum Erbrechen standardisierte Witzel-, Gemächtwedel- und Schreitheater der postdramatischen Ära an die Substanz des Ganzen metastasiert? Dass man denen, auf die es einzig ankäme, das Spielen abgewöhnt, verboten oder gar nicht mehr beigebracht hat?

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