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Was man in Reichenau lernen konnte

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Heinz Sichrovsky
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Erinnern Sie sich noch an die Vorwürfe gegen die Schauspielerin Maria Happel? Als Intendantin der Festspiele von Reichenau hat sie für die Reinhardt- Seminaristen das Maximum herausgeholt

Schön ist das in diesen Tagen zu beobachten, wie die Theaterpraxis das hirnwirre Regulieren und Maßregeln als weltfernen Unfug kenntlich macht. Da hat soeben die große Schauspielerin Maria Happel die Leitung des Reinhardt-Seminars zurückgelegt, weil es ihr zu dumm war, sich von einer berufsverlorenen "Studierendenschaft" ohne vorherigen Versuch der Kontaktaufnahme anonym über die Zeitung denunzieren zu lassen. Die Vorwürfe waren derart, dass unsereins sie halbüberflogen auf den Weg der täglich eintreffenden Drohbriefe, Verschwörungstheoreme und Books of no demand geschickt hätte. Ich habe auch lang nicht mehr so viel Leserzuspruch bekommen wie auf meine diesbezüglichen Einlassungen.

Unter den beiden Gegenstimmen war eine, die ich bald dem Professorenkreis der Wiener Kunst-Uni zuordnen konnte. Punkt für Punkt wurde mir da nachgewiesen, dass die "Studierendenschaft" – sie hatte nebst anderem verlautbart, von Happels Stellvertreterin "im persönlichen Gespräch zum Weinen gebracht" worden zu sein – umfassend im Recht sei. Ich lernte, dass es versicherungstechnisch nicht zu verantworten sei, den Unterricht fallweise in die Professorenwohnung zu verlegen (hätten Sie gedacht, dass das rollende Vorderzungen-"R" nur unter Mordversuch und Genickbruchrisiko erworben werden kann?). Speichelnd wurde angeregt, "der Steuerzahler", dieses ungefragt von Sumpern aller Disziplinen zwangsverpflichtete Phantom, möge die multiple Beschäftigungslage der Direktorin genauer in Augenschein nehmen. Und, das Wichtigste: Ein berühmter Lehrer tauge maximal für einen Vermerk in der Biografie.

Ich recherchierte weiter und fand meinen Verdacht erhärtet: Der Absender war der nicht einmal grenzberühmte Trittbrettfahrer einer Hochschul-Intrige. Ich hatte mich über ihn, ohne seinen Namen zu kennen, sogar vor Jahren lustig gemacht, war er doch trotz unauffälliger Vita Uni-seitig einem Instrumentalsolisten von Weltrang vorgezogen worden.

Womit ich – Sie werden mir im Lichte des Folgenden die Umschweifigkeit verzeihen – den Gedankengang vom Beginn dieser Kolumne endlich fortführen kann. Maria Happel ist, was ihr besonders verübelt wurde, nämlich außer Burgschauspielerin auch Intendantin der Festspiele von Reichenau. Wie, so wurde mehrfach angefragt, soll sich so jemand um seine "Studierendenschaft" kümmern? Zum Beispiel so: In Reichenau stehen in diesem Sommer neun aktive oder kürzlich absolviert habende Reinhardt-Seminaristen auf zwei Bühnen. Sieben von ihnen machen allein in der Bearbeitung der Roth’schen "Kapuzinergruft" beste Figur. Die Traditionalisten unter ihnen können sich die famosen Kritiken ins Album kleben, andere werden jetzt die Etablierung einer Homepage ins Auge fassen, und alle sollten den anreisenden Theaterdirektoren und Agenten aufgefallen sein. Und, vielleicht das Schönste: Im Halbdunkel der "Kapuzinergruft" ist ein im österreichischen Sprachduktus bewandertes Ensemble junger Könner gediehen. Solche, die derzeit etwa am Burgtheater dringender benötigt werden als isländische Pop-Sänger und radebrechende Primadonnen, die man eher in der "Cardasfürstin" als bei Horvath oder Poe verortet hätte.

Und nun stellen Sie sich vor, mein Briefschreiber möchte einem seiner Schüler eine Chance eröffnen. Wo sich die wohl auftäte? Bei der Friedhofsmusik? Ruft er bei einem berühmten Klangkörper an, wird er maximal für künftige Probespiele in Evidenz vermerkt. Aber ein berühmter, einflussreicher Lehrer: Wer zwischen Hamburg und Zürich legt auf, wenn Klaus Maria Brandauer am Apparat ist? Leicht möglich, dass er im Seminar nicht dauerhaft Quartier genommen hat. Aber Birgit Minichmayr schwärmt noch heute von seiner inspirativen Kraft. Mittelmaß hingegen, davon bin ich überzeugt, bringt Mittelmaß hervor und sollte, handwerkliche Befähigung vorausgesetzt, nicht weiter als zur Assistenz eines Hervorragenden aufsteigen dürfen. Nun werden mir die Kundigsten unter Ihnen vorhalten: Auch Hans Swarowsky, der die Größten seiner Zeit, etwa Abbado und Mehta, im Dirigieren unterwiesen hat, war kein Ausnahmetalent am Pult. Aber welch umfassend gebildeter, in dieser Hinsicht visionärer Mann er war! So etwas wie mein Briefffreund hätte er jedenfalls nie verfasst.

PS.: Dass Maria Happel zehn Tage vor der Premiere mit furiosem Resultat die Hauptrolle in einem Dreipersonenstück notübernommen hat, lässt überzeugende Schlüsse auf die Vorzüge von Schauspielerdirektionen zu.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz  news.at

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