Im April begeht die zivilisierte Welt den 150. Geburtstag des Gottvaters Karl Kraus. Paulus Manker hat die "Letzten Tage der Menschheit" grandios auf die Bühne gebracht. Sollen sie im Jubeljahr ungespielt bleiben?
Karl Kraus, dessen 150. Geburtstag die zivilisierte Welt am 28. April begeht, ist für avancierte Journalisten beliebigen Geschlechts niemand Geringerer als Gott. Für Journalist:innen eventuell nicht, denn ein Doppelpunkt war für ihn ein Satzzeichen und ein Stern der Verweis auf eine Fuß-, Rand- oder Endnote (den Unterstrich nutzte er gar nicht und hat dabei nichts versäumt). Mit anderen Worten war ihm das, was den Unholden nichts bedeutet, das Wichtigste, wenn nicht das einzig Wichtige: die Sprache nämlich, von der aus er den Zustand der Welt hochrechnete. Er nahm sich dabei, wie jedes Genie, das Recht auf Verfehlung und Irrtum heraus. Er war ein glühender jüdischer Antisemit und anfangs wie sein minder begabter Gesinnungszwilling Otto Weininger ein Verächter der Frauen. Er hat Heinrich Heine mit antisemitischen Instrumentarien verdammt. Aber er hat Else Lasker-Schüler, eine jüdische Frau, geschätzt und gefördert.
Wozu diese umschweifige Einlassung drei Monate vor dem Wiegenfest? Weil es unter den Vielen, die Karl Kraus in diesem Jahr feiern werden, einen gibt, der das mit größerer Berechtigung als die anderen tut. Paulus Manker hat 2018 in Wiener Neustadt das Unvorstellbare wahr werden lassen wie keiner vor ihm, auch nicht der große, 2022 verstorbene Regisseur Hans Hollmann in seinen gesegneten Basler Jahren: Er hat das Kraus'sche "Marstheater" auf den Boden einer riesigen Industriehalle gebracht und dabei den Nachmittag triumphal in den frühen Morgen gehen lassen. Seither sind "Die letzten Tage der Menschheit" über Wien, Berlin und zuletzt dem Semmering aufgezogen. So viele der 120 Szenen, in denen mehrheitlich die Bestialität des Hinterlandes im Ersten Weltkrieg beim gedruckten und erlauschten Wort genommen wird, hat noch keiner mit solchem Resultat auf eine Bühne gebracht. Und es sollen von Jahr zu Jahr immer noch mehr werden.
Sollen. Denn just heuer, im Jubeljahr, ist Manker auf der Suche nach einem Spielort, an dem er im Sommer "Die letzten Tage der Menschheit" und das Jahrzehntephänomen "Alma" wieder aufnehmen kann.
Die Mobilien - Kulissen, Requisiten - lagern derweil auf einer Immobilie, deren Eigner sie lieber heute als morgen loswürde. Manker halte die Baustelle des Südbahnhotels auf dem Semmering widerrechtlich in Beschlag, klagt der Immobilieninvestor Christian Zeller, dem das historische Gemäuer gehört.
Der prachtvolle, von Menschen überlaufene Theatersommer 2023 hätte für beide Parteien ein Triumph sein können: Manker bespielte eine auch historisch ideale Lokalität, die von Zeller engagierte und unterstützte Südbahnhotel-Kultur-GmbH war aller Auslastungssorgen ledig. Die "Alma"-Serie war schon im Dezember ausverkauft, doch zu eben jener Zeit brach das heute vielfach gerichtsnotorische Zerwürfnis zwischen Mieter Manker und Vermieter Zeller aus. Im Sommer kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen rivalisierenden Personenschützern. Die Prozesse, in deren Verlauf einander die Konfliktparteien gegenseitig finanzieller Schurkenstücke bezichtigen, gehen bis zur Stunde ins Uferlose.
Und das im Umbau befindliche Südbahnhotel? "Haben wir mit unseren Kulissen besetzt", sagt Manker stolz. "Wir haben damals, mit dem Einzug zu den Proben, das Bleiberecht erworben. Wenn auch nur ein Sessel angerührt wird, gibt es eine Besitzstörungsklage. Für die GmbH", fährt Manker fort, "ist das ohnehin das Beste, denn dort findet seit Monaten kein Programm mehr statt. Trotzdem haben sie für die laufende Saison um 80.000 Euro Subvention angesucht, eine Frechheit."
Eine solche erkennt auch Zeller auf News-Anfrage. "Wie sollen wir denn spielen, wenn er illegal das Haus besetzt? Man kennt solche Vorgänge in der Immobilienbranche von Verrückten und Boshaften", fährt der Hoteleigner fort. "Da aber wir keine Raubritter sind, können wir Herrn Manker nicht einfach hinauswerfen, sondern haben den Rechtsweg beschritten."
Wenn im März die erste Tagsatzung ansteht, sollen die Kulturverantwortlichen Ingrid Skovhus und Stefan Wollmann das Sommerprogramm präsentieren. Kraus werde da nicht zu kurz kommen, verspricht Zeller. "Aber sicher nicht mit Herrn Manker." Der Apostrophierte sondiert derweil ein Angebot, mit seinen beiden Produktionen ins Burgenland zu gehen. Arg entlegen sei das, gibt er zu bedenken. Er sieht sich auch mögliche Spielorte in Wien an. Aber dass er im Sommer überhaupt spielen kann, ist erstmals seit Jahrzehnten nicht ausgemacht.
Außerdem hat er zum Kraus-Jahr ein weiteres alle Dimensionen sprengendes Projekt in Fertigung: einen monumentalen Almanach zu den "Letzten Tagen", der jede der 120 Szenen mit historischem Fotomaterial zum Schauplatz bebildert. Ich werde noch großflächig darüber berichten. Nur Verlag gibt es noch keinen. Amalthea, wo Mankers fabulöser "Alma"-Bildband erschienen ist, wird es nicht sein. Weshalb? Man ist zerstritten.
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