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Sommelier Aldo Sohm: "Mein erster Alkohol war ein Bacardi-Cola"

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Wein - Sommelier Aldo Sohm: "Mein erster Alkohol war ein Bacardi-Cola"
©Bild: Ricardo Herrgott
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Der Tiroler Aldo Sohm gilt als weltbester Sommelier. Ein Gespräch über edle Tropfen, Weine vom Diskonter und Rotweine aus dem Backrohr. Aber auch über den schlechten Ruf von Schraubverschlüssen.

Herr Sohm, handeln wir gleich die nüchternen Zahlen ab: Im Keller des Le Bernardin, Ihrer beruflichen Heimat, lagern 900 Weine aus zwölf Ländern, die Weinkarte umfasst 40 Seiten - was kostet die günstigste Flasche, was die teuerste?
Die günstigste Flasche kostet 30 Dollar, und die teuerste, eine Magnum Romanee Conti von Domaine de la Romanee Conti 03 ist um 35.000 US-Dollar zu haben. Man kann nur verkaufen was man hat. Natürlich werden diese Flaschen nicht täglich verkauft, aber immer wieder. Ist ein Gemälde 140 Millionen Dollar wert? Möglich. Wenn du einen Käufer hast, der bereit ist, das zu zahlen. So ist das auch beim Wein.

Warum kosten manche Weine Tausende von Euro?
Weine in dieser Kategorie kommen oft von Lagen bzw. Regionen, die sehr teuer und hochwertig sind. Dadurch haben die Weingüter auch einen höheren Marktwert. Das sind sehr kleine Produktionen, gebündelt mit einer enorm hohen Nachfrage. Die Kontinuität über viele Jahre und Jahrzehnte spielt eine Rolle und natürlich der Sammlerwert.

30, 500, 5.000 Euro - schmeckt man den Unterschied?
Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Dabei bekomme ich sie häufig gestellt. Qualität ist nicht diskutierbar. Die ist klar definiert. Für mich gibt es einen Unterschied. Wenn der Wein anschlägt, dann schlägt er an. Das kann auch ein Laie schmecken. Aber er muss offen dafür sein. Wenn jemand sagt: Eigentlich ist mir das wurscht, dann sollte man sich lieber das Geld sparen.

Wein soll Spaß machen und nicht zur Wissenschaft werden

Haben Sie in der Vergangenheit mehr gute oder mehr schlechte Weine getrunken?
So denke ich nicht. Das kann ich mir nicht leisten. Es hat mal eine Phase gegeben, wo ich so gedacht habe -und das hat mir überhaupt keinen Spaß gemacht. Von einem schlechten Wein kann man viel lernen. Ich koste alles. Ich kaufe auch Weine ein, die ich überhaupt nicht mag -einen cremig buttrigen Chardonnay zum Beispiel. Ich habe Kunden, die das wollen. Ich bin ja nicht dazu da, denen vorzuschreiben, was sie trinken müssen.

Trainiert man seinen Geschmackssinn?
Ja, automatisch. Wenn ich Rad fahren war, verkoste ich danach messerscharf. In der Weihnachtssaison verkoste ich fast nichts, maximal, ob der Wein okay ist. Wenn mein Geist überarbeitet ist, koste ich nicht gut. Am liebsten koste ich in der Früh. Zwischen Kosten und Trinken ist ja ein Unterschied.

Gibt es einen Lieblingswein?
Gibt es ein Lieblingsessen? Ich bin keine launische Person, aber ich bin ein launiger Trinker. Wenn es heiß ist, kann man mir den besten Rotwein hinstellen. Ich will ihn nicht trinken. Champagner geht immer. Habe ich einen tollen Tag gehabt, trinken wir einen tollen Wein. Da brauche ich nicht auf ein tolles Ereignis zu warten. Ich sehe das bei vielen Kunden. Die sammeln und sammeln Wein, dann sterben sie, und die Kinder wissen nicht, was sie damit tun sollen. Man muss das Leben auch leben.

Wie viele Flaschen haben Sie Zuhause stehen?
Ich bin ein bisschen extrem. Mein Haus in Brooklyn hat einen Keller. Überschlagsmäßig sind es über 1.000 Flaschen. Und ich trinke ja nur am Sonntag, wenn ich frei habe.

Sie sind unter die Buchautoren gegangen. Warum noch ein Buch über Wein?
Viele Bücher sind von Spezialisten für Spezialisten geschrieben. Ich sehe, dass Kunden oft vom Wein und der Weinkarte eingeschüchtert sind. Ich stehe auf der anderen Seite und arbeite mit diesen Opfern. Buchstäblich. Also: Wie kann ich den Leuten helfen? Ich habe ja auch so angefangen. Mein erster Alkohol war ein Bacardi-Cola. Unvorstellbar heute. Es ist ja keine Schande, etwas nicht zu wissen. Es ist nur eine Schande, über etwas zu reden, worüber man nichts weiß. Wein soll Spass machen und nicht zur Wissenschaft werden.

Wie findet man als Sommelier in wenigen Minuten heraus, was der Gast will?
Mit Zuhören, Einfühlsamkeit, Erfahrung und Liebe zum Umgang mit Menschen. Das Spannende an Amerika und an New York ist, dass man nie weiß, wer vor einem sitzt und wo diese Menschen vielleicht in zwei Jahren sitzen. Ich behandle alle Menschen gleich und bleibe Mensch. Das ist eine Grundregel in New York.

Ein Wein, den du liebst, wird dir in einer Stinklaune nicht schmecken

Ist es okay, einen Wein im Supermarkt zu kaufen?
Das ist so ein Thema. Und vielleicht hat er auch noch einen Schraubverschluss es wäre einfach, das zu verteufeln. Essen ist ein Lifestyleprodukt geworden. Auch Wein. Ist ja logisch, dass hier Supermärkte nachziehen. Die haben mittlerweile Topproduzenten. Der Leo Hillinger ist am Anfang dafür schwer verrissen worden, weil er mit seinen Weinen zum Hofer gegangen ist. Er war der Erste, der sich drübergetraut hat. Der Wein ist absolut in Ordnung. Viele sagen auch: Wein in Pappboxen, das geht ja gar nicht. Wir haben im Kopf: Das ist billig. Oder eben der Schraubverschluss. In Australien rebellieren sie, wenn du ihnen einen Wein mit Korkverschluss gibst. Die wollen einen Schraubverschluss. Wer liegt jetzt richtig und wer falsch? Welche Bedürfnisse hat die Person, und in welchem emotionalen Zustand ist sie? Auf das kommt es an. Ein Wein, den du absolut liebst, wird dir in einer Stinklaune nicht schmecken. Das liegt nicht am Wein. Das liegt an uns. Der Verschluss ist übrigens ein Reizpunkt bei vielen Konsumenten. Mit den Jahren sehe ich das etwas entspannter. Viele Weine werden in ihrem ersten Jahr nach Verkauf getrunken -da ist ein Schraubverschluss nicht unbedingt nachteilig.

Eine Ihrer Weinregeln lautet: Es gibt beim Wein keine Regeln. Roséwein ist also okay? Der hatte ja eine Zeit lang eher einen miserablen Ruf.
Was einem schmeckt, ist subjektiv, und ich habe gelernt, das zu akzeptieren. Ja, Rosé hatte eine lange Zeit einen schlechten Ruf. Ich sehe das im Kontext. Wenn Sie an der Côte d'Azur am Strand liegen, ist ein Glas Bandol Rosé absolut fantastisch. Rosé ist bei uns in den USA die am stärksten wachsende Getränkegruppe. Jährliche Zuwachsraten von bis zu 40 Prozent waren nicht ungewöhnlich.

Kleiner Sidestep: Stimmt es, dass in New York Rosé und Riesling produziert werden?
Ja, im Bundesstaat New York - in den Finger Lakes Riesling und viel Rosé in den Hamptons.

Sie schreiben, ein Champagner aus der Magnum-Flasche schmeckt besser als aus der 0,75-Liter-Standardflasche. Warum eigentlich?
Das ist hauptsächlich wegen der gleich großen Öffnung am Flaschenhals. Der Kork dichtet nicht zu hundert Prozent ab, eine kleine Oxidation über die Jahre ist normal. Magnums aber haben das doppelte Volumen, und daher reift er langsamer und bleibt frischer.

Prosecco können Sie nichts abgewinnen?
Er ist viel einfacher gemacht und hat auch oft viel mehr Restzucker. Den spürt der Konsument nicht vordergründig, da er versteckt hinter dem CO2 liegt. Probieren Sie es aus und lassen Sie den Prosecco zwei Tage offen stehen. Wenn er ausgeraucht ist, sehen Sie, wie süß er ist. Aber natürlich ist ein Glas beim Brunch nicht schlecht.

Einfach Wein - Profundes Know-how, verpackt in einen launigen Ratgeber, geschrieben von einem der Besten seines Fachs: Aldo Sohm will damit vor allem Einsteigern Lust auf Wein machen. (Prestel; 28,80 Euro)*

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Wein ist für Sie Geschichte aus der Flasche. Ein Beispiel, bitte.
Wenn ich eine alte Flasche aufmache, mache ich oft ein Gedankenspiel. Ich hatte erst letztes Jahr einen 1938-Riesling aus dem Rheingau. Also: Was waren die Schlagzeilen in diesem Jahr, was bewegte die Welt, wie haben die Winzer damals die Zeit erlebt, welche Persönlichkeiten sind in diesem Jahr geboren? Und: durch welche Dramen ist diese Flasche gekommen? Das ist oft endlos.

Hin und wieder lassen Sie im Buch aber auch den Klischee-Sommelier raushängen. Sie schreiben: "Wie ein Gast sein Glas schwenkt, verrät mir sehr viel über ihn." Was unterscheidet den Amateur vom Profi?
Ich kann verstehen, von welchem Blickwinkel Sie das sehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich als Sommelier zu einem Tisch komme, muss ich oft in wenigen Augenblicken erkennen, was der Gast wünscht. Ich höre dem Kunden zu und passe auf seine Körpersprache, Mimik und Gestik auf. Es geht hier nicht darum, zu urteilen, sondern einzig und alleine darum, dem Kunden den bestmöglichen Besuch bei uns zu garantieren. Der Amerikaner hält sein Glas in sehr vielen Fällen am Kopf, während wir es hier am Stil halten. Wir schwenken das Glas oft gegen den Uhrzeigersinn. Ein unerfahrener Weintrinker schwenkt das Glas nur hin und her. Ich versuche, den Kunden und seine Weinerfahrung zu erkennen und ihn nicht zu überfahren. Urteile kann ich mir nicht leisten. Das ist ein Anfängerfehler.

Weißwein kann sehr gut altern. Viele Leute glauben das halt nicht

Haken wir noch ein paar Mythen und Fragen rund um Wein ab: Weißwein kann nicht altern?
Weißwein kann sehr gut altern. Viele Leute glauben das halt nicht.

Was hat es mit der Silberkette auf sich, die Sommeliers tragen?
Den Tastevin! Das ist eine sehr alte, traditionelle Verkostungsschale, die Sommeliers tragen. Wir im Le Bernardin halten diese Tradition aufrecht. Die alten französischen Mönche wollten kein Glas verwenden, da sie, sowie sie das Glas zum Mund führen, automatisch riechen. Die Mönche wollten die Textur erkennen und ob der Wein klar ist. Mit dem Tastevin zu riechen, ist fast nicht möglich.

Warum sollte man Weißweine nicht länger als ein paar Tage im Kühlschrank aufbewahren? Und vor allem: warum nicht in der Küche und bloß nicht im obersten Schrankregal?
Weine oxidieren nach ein paar Tagen. Halbieren sie einen Apfel und lassen sie ihn im Kühlschrank für ein paar Tage stehen. Er schmeckt und schaut nicht mehr frisch aus. Im obersten Regal in der Küche ist es zu heiß, um Wein zu lagern. Wein ist temperaturempfindlich. Ein paar Tage sind nicht das Drama. Aber man reduziert die Qualität. Als ich nach New York gekommen bin, habe ich in der Wallstreet gelebt. Ohne Keller. Die Weißweine hatte ich im Kühlschrank; die Rotweine im Backrohr. Wenn man einen grandiosen Bordeaux kauft und den über Jahre im Backrohr lagert, sabotiert man das Trinkvergnügen. Wenn es um kurze Zeiträume geht, verzeihen das die meisten Weine.

Was ist dran am Löffel in der Sektflasche?
Es galt lange Zeit, dass ein silberner Löffel eine chemische Reaktion auslöst und das CO2 in der Flasche bleibt. Das ist aber falsch.

Warum sollte man einen Rosé im Jahr der Abfüllung austrinken?
Das ist wie beim Gelben Muskateller -die Weine sollen Trinkfreude bereiten. Es gibt ganz wenige Rosés, die hier eine Ausnahme sind.

Was macht ein Sommelier, wenn Lockdown ist?
Ich mache Zoom-Verkostungen ohne Ende.

Wie geht das?
Ganz einfach. Nein, eigentlich ist es nicht ganz einfach. Es ist ein irrer Aufwand. Wir schicken den Wein nach Hause. Ganze Pakete - mit Gläsern, ohne Gläser. Und dann habe ich einen Zoom-Termin und verkoste mit den Kunden. Das läuft erstaunlich gut.

Das Interview erschien ursprünglich im News der Ausgabe 49/2020.

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