Die mehr als 1.000 Jahre alte Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber ist bekannt für ihr mittelalterliches Flair. Engagierte Einwohnerinnen und Einwohner erfüllen diese alten Gebäude mit Leben.
Es könnte eine Filmkulisse sein oder eine überdimensionale Stadt aus Legosteinen: Auf den ersten Blick erscheint Rothenburg ziemlich unwirklich. Farbenfrohe Fachwerkshäuser, prachtvoller Blumenschmuck und eine 3,5 Kilometer lange Stadtmauer, unterbrochen von 42 Tor- und Wehrtürmen - alles ist perfekt erhalten. Bereits im Jahr 1142 ließ der erste Stauferkönig Konrad III. die "Rote Burg" erbauen. Rund hundert Jahre später wurde ein Befestigungsring um die mit der Burgbesiedelung entstehende Stadt errichtet.
Handel und Wallfahrt in Rothenburg
Die Bedeutung der Stadt wuchs im Mittelalter aufgrund der zentralen Lage rasch. "Es führten gleich zwei Handelsrouten durch Rothenburg", erklärt Gästeführer Lothar Schmidt. Einerseits jene von Norden nach Süden, die Frankfurt und Augsburg verband. Andererseits die ebenso wichtige Ost-West-Route von Prag nach Paris. Dazu kommen drei Wallfahrtskirchen. Die Kobolzeller Kirche liegt im Tal unterhalb der Stadt.
Die Jakobskirche, die viel zu groß für die Kleinstadt erscheint, befindet sich im Zentrum der Altstadt. Sie beherbergt eine Heilig-Blut-Reliquie sowie einen aufwendig geschnitzten Altar von Tilman Riemenschneider.
Die Wolfgangskirche wiederum ist direkt in die Wehranlagen der Stadtmauer integriert. Diese eindrucksvollen Anlagen können über Treppen, die in den Keller beziehungsweise ersten Stock der Kirche führen, besichtigt werden. In der Kirche befindet sich zudem ein kleines Schäfertanzmuseum mit Ausstellungsstücken rund um die Schäferei und den Schäfertanz. Denn die Rothenburger Gilde der Schäfer hat seit 1517 ihren eigenen Feiertag. Dieser wurde früher ausgelassen mit Tanz und Musik zelebriert. Auch heute noch wird der historische Tanz zu speziellen Anlässen am Marktplatz aufgeführt.
Bei einem Rundgang mit Gästeführer Schmidt durch die historischen Gassen und seinen lebhaften Erzählungen von längst vergangenen Zeiten fällt es jedenfalls nicht schwer, sich ins Mittelalter zurückzuversetzen und sich vorzustellen, wie hier Pferdekutschen über das Kopfsteinpflaster polterten, Händler ihre Waren anboten und die Tiere an einem der zahlreichen Brunnen getränkt wurden.
Die düstere Seite dieser Zeit wird im Mittelalterlichen Kriminalmuseum beleuchtet, in dem es ausführliche Informationen zu den grausamen Strafen und Foltermethoden gibt.
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Rothenburgs bewohnte Innenstadt
Auf den zweiten Blick wird dann allerdings klar: Rothenburg ist im Gegensatz zu vielen anderen historischen Städten nicht ausschließlich ein von Touristen eingenommenes Freilichtmuseum. Vielmehr leben 2.500 der 11.000 Einwohner innerhalb der Stadtmauern. Es gibt zahlreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit ihren Geschäftsideen die mittelalterliche Szenerie beleben.
In der Schmiedgasse 11 etwa, dort, wo sich früher ein Kaufladen befand, dessen alte Einrichtung im Rothenburg Museum ausgestellt ist, betreibt heute Franz Weber mit einem Kollegen die Sweets Company. Der angenehm süßliche Duft, der beim Betreten des Ladens sofort auffällt, gibt Aufschluss darüber, was Weber herstellt: Bonbons, Schlecker und Zuckerstangen aus besten Zutaten und in mühevoller Handarbeit. Das Besondere ist die Möglichkeit, ihm bei seiner Arbeit zuzuschauen.
Während Weber die heiße Zuckermasse knetet, erklärt er: "Die Idee kam mir über einen Schulfreund, den ich auf Facebook wiederfand. Er produziert Süßigkeiten in Spanien." Sie tauschten sich aus, und Weber lernte schließlich das Handwerk von ihm. Vor drei Jahren eröffnete er das Geschäft in der Schmiedgasse und stellt nun Monat für Monat zwischen 600 und 800 Kilo Süßigkeiten in unterschiedlichsten Farben und Geschmacksrichtungen her. Weber ist nicht der Einzige, der sich bei der Arbeit zuschauen lässt, dabei Fragen beantwortet und auch Workshops anbietet. Sechs weitere Betriebe - vom Chocolatier bis zur Holzkünstlerin - schlossen sich unter dem Motto "Handmade in Rothenburg" zusammen, um Interessierten ihren Betrieb näherzubringen.
Familiengeführte Betriebe in Rothenburg
60 Lokale und 68 Übernachtungsbetriebe gibt es in Rothenburg. Eine beträchtliche Zahl für eine Kleinstadt. Die meisten sind familiengeführte Betriebe, wie das Hotel Markusturm. "Unser Haus stammt ursprünglich aus dem 12. Jahrhundert", sagt Hotelier Stephan Berger. Es grenzt direkt an die Stadtmauer und beherbergt seit 700 Jahren einen Gastronomiebetrieb. 23 Zimmer umfasst das Hotel heute. Und Berger ist klar: "Das Kapital unserer Stadt ist ihre Geschichte." Daher ist die Familie bemüht, bei Renovierungen stets darauf zu achten, den historischen Charakter des Hauses zu erhalten.
Einen Ort, an dem sich Touristen wie Einheimische gleichermaßen wohlfühlen, schuf auch Andrea Poth vor zehn Jahren mit ihrem Café Einzigartig. Eigentlich plante sie einen Verkaufsraum für alte Möbel und Accessoires. "Als ich eine Stellenanzeige aufgab, meldeten sich Leute, die meinten, ich solle gleich ein Café aufmachen. Das würde in der Stadt fehlen", erinnert sich Poth zurück. Und so ist es nun eine Kombination: Ein Kaffeehaus und beliebtes Frühstückslokal, in dem alle Möbel und Dekoartikel gekauft werden können.
Spitalviertel und Taubertal
An schönen Tagen in der Hochsaison füllen sich die Gassen der Altstadt schnell. Doch wird der Trubel zu viel, sind es nur wenige Schritte ins Grüne. Oft reicht es abzubiegen oder durch eines der Tore zu spazieren, um in eine ruhige Ecke der Stadt zu gelangen. Das Spitalviertel etwa liegt im südlichen Teil der Altstadt gleich hinter dem Plönlein. Doch nur wenige Menschen setzen ihren Rundgang nach der meistfotografierten Sehenswürdigkeit Rothenburgs fort.
Vom Spitalviertel führt auch ein Weg hinunter zum Wildbad und damit ins Taubertal, das von Mühlen geprägt wird. 17 Mühlen befanden sich entlang des Flusses. Heute verbindet der Mühlenweg 15 von ihnen. Und unterwegs bietet sich immer wieder ein malerischer Ausblick auf die historische Kleinstadt mit ihren bunten, von der Ferne noch unwirklich wirkenden Häusern.
Tipps für den Besuch in Rothenburg
Übernachten. Zentral in der Altstadt liegt das von Familie Berger geführte Hotel Markusturm. Jedes Zimmer ist einzigartig und von der mittelalterlichen Struktur des Hauses geprägt. Im Haus befindet sich ein Restaurant, in dem Stephan Berger fränkische Spezialitäten kocht.
Essen. Im Agnes Stüberl im Hotel Eisenhut gibt es moderne und traditionelle Gerichte aus regionalen Zutaten. Hausgemachte fränkische Spezialitäten werden im Gasthaus Schranne angeboten. Selbstgemachte Aufstriche und Torten sowie liebevoll hergerichtete Frühstücksteller sind die Spezialität des Cafés Einzigartig.
Anreise. Mit dem ICE nach Nürnberg und weiter mit dem Regionalzug. Infos: www.rothenburg-tourismus.de
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/2023.