Der FPÖ-Chef konzentriert sich ganz darauf, seine Anhängerschaft zu stärken. Das Kanzleramt kann warten. Es muss noch nicht heuer sein.
ANALYSE
Man kann sich durchaus wundern darüber, dass Herbert Kickl, Bundesobmann der FPÖ, auch zu Beginn des Superwahljahres 2024 keine Anzeichen zeigt, staatstragend und versöhnlich zu wirken. Immerhin nährt er so Zweifel, ob er überhaupt Kanzler werden möchte. Dafür gibt es jedoch eine Erklärung.
Der 55-Jährige konzentriert sich ganz darauf, seine Anhängerschaft zu stärken. Dazu gehört, dass er einen Außenfeind pflegt, zu dem er Vertreter aller anderen Parteien zählt. "Systemlinge" seien das, von einem "Swingerclub der Machtlüsternen" sprach er jüngst auf dem Neujahrstreffen seiner Partei in Premstätten bei Graz. Dort empfahl er Nicht-Freiheitlichen auch, eine "Antiösterreichische Einheitsfront" oder eine "Liste Volksverrat" zu bilden.
Natürlich: Kickl bezeichnet sich als "Volkskanzler". Das ist zunächst aber eine Botschaft an seine Fans, von denen spätestens seit der Impfpflicht nicht wenige dazu neigen, vorherrschende Politik rundherum abzulehnen; die er umwirbt, indem er ihnen vermittelt, dass sie für "Hausverstand" und "Normalität" stehen würden und denen er sich als vollkommen anderer Regierungschef anbietet, der für einen radikalen Systembruch stehen würde. So glaubt er, sie bei Laune halten zu können. Bisher funktioniert es.
Natürlich: Kickl bezeichnet sich als "Volkskanzler". Das ist zunächst aber eine Botschaft an seine Fans, von denen spätestens seit der Impfpflicht nicht wenige dazu neigen, vorherrschende Politik rundherum abzulehnen; die er umwirbt, indem er ihnen vermittelt, dass sie für "Hausverstand" und "Normalität" stehen würden und denen er sich als vollkommen anderer Regierungschef anbietet, der für einen radikalen Systembruch stehen würde. So glaubt er, sie bei Laune halten zu können. Bisher funktioniert es.
Das Kanzleramt hat bei alledem Nachrang. Kickl ist ein berechnender Typ. Zweimal hat er schon aus nächster Nähe beobachten müssen, dass eine Regierungsbeteiligung zu einem Absturz führen kann: Anfang der 2000er- und Ende der 2010er-Jahre, als die Freiheitlichen eine Koalition unter Führung der ÖVP eingingen. Beim zweiten Mal war er Innenminister. Das Ergebnis ist bekannt. Es war übel für ihn und seine Partei und soll sich daher nicht wiederholen.
Kickl hat Zeit. Ja, es wäre möglicherweise sogar unheilvoll für ihn, bereits heuer als Obmann einer Partei Kanzler zu werden, die bei der Nationalratswahl rund 30 Prozent erreicht. Damit wäre er von einem Koalitionspartner mit rund 20 Prozent abhängig und würde sich schwertun, eine klar dominierende Rolle einzunehmen, zu einer Vetopolitik in der EU überzugehen sowie einen Asylstopp und vieles andere mehr zu fixieren, was er verspricht. Stattdessen müsste er Kompromisse eingehen und seine Wähler immer wieder enttäuschen.
Insofern könnte es Kickl sogar recht sein, wenn sich ihm Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach der Wahl in den Weg stellen würde und wenn zum Beispiel eine rot-türkis-grüne Koalition zustande kommen würde. Dann müsste er in Opposition bleiben. Einerseits. Andererseits könnte er dann umso wirkungsvoller von "Systemlingen" reden und für sich mobilisieren. Er könnte sich Chancen ausrechnen, bei einer weiteren Wahl noch mehr zu triumphieren und so seinem Ziel näherzukommen, "Volkskanzler" zu werden, der durchsetzt, was er möchte und seinen Anhängern gefällt.
ZAHL - ÖVP in der Zwickmühle
Die ÖVP ist dabei zu verlieren, was sie unter Ex-Obmann Sebastian Kurz gewonnen hat. Mit Abstand am meisten hat die FPÖ von Herbert Kickl davon. Das zeigen Analysen des Sozialforschungsinstituts Sora zu Wahlen, bei denen sie zuletzt besonders stark zugelegt hat. Bei der Landtagswahl in Niederösterreich im vergangenen Jänner kam mehr als die Hälfte ihrer Neuwähler von der ÖVP. Es handelte sich um 72.000 bzw. 57 Prozent, um präzise zu sein. In Salzburg war der Anteil im April mit 50 Prozent kaum kleiner.
Auch bei einer Nationalratswahl am kommenden Sonntag wäre er beträchtlich. Das berichten Meinungsforscher, die Erhebungen dazu durchführen. Anders ausgedrückt: Kickl hat gute Chancen, die FPÖ vor allem mithilfe enttäuschter Kurz-Anhänger und bisheriger ÖVP-Wähler auf Platz eins zu führen.
Für den ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer ist es schwierig, darauf noch wirkungsvoll zu reagieren. In gewisser Weise haben sich viele Menschen ja längst von seiner Partei verabschiedet und auf den Weg zur FPÖ gemacht. Er versucht, sie umzustimmen, indem er auf ähnliche Themen setzt. Von einer restriktiven Asylpolitik bis hin zu einer Verankerung von Bargeld in der Verfassung.
Das Ganze ist heikel für ihn. Wenn er eine Koalition mit der FPÖ in aller Deutlichkeit ablehnen würde, würde er sich indirekt auch gegen Wähler der Freiheitlichen stellen, die er umwerben möchte. Das wäre riskant und daher lässt er es.
Im Grunde genommen geht er schon weit, wenn er eine Zusammenarbeit mit Kickl ausschließt. Das Kalkül dabei ist jedoch, dass viele Menschen trotz Kickl zu den Freiheitlichen tendieren. Unter diesen Umständen muss es der ÖVP nicht schaden, sich allein von ihm zu distanzieren. Allerdings: Zumindest bisher haben Nehammer und Co. damit auch keinen messbaren Erfolg erzielt. In Umfragen halten sie konstant kaum mehr als 20 Prozent.
BERICHT - Um die finanzielle Lage geht's
"It 's the economy, stupid", lautete eine Erkenntnis im Team des Demokraten Bill Clinton vor der US-Wahl 1992. Es sollte zum Ausdruck bringen, dass es schlicht um die wirtschaftliche Lage geht und galt als Volltreffer: Clinton konnte sich gegen den damaligen Präsidenten George Bush durchsetzen, der ursprünglich als Favorit gehandelt worden war.
Vor fast jeder Wahl wird daran erinnert. Auch in Österreich. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um kein Gesetz. 2024 heißt es, wie schon im Vorjahr, eher: Es geht um die finanzielle Lage, die die Leute empfinden und darum, welche Entwicklungen sie erwarten. Die Wirtschaft schwächelt, für eine Masse ist das aber kein Problem: Die Arbeitslosigkeit ist noch immer sehr niedrig. Zu schaffen macht sehr vielen Menschen die Teuerung. Bis in die Mittelschicht hinein wird laut jüngster Eurobarometer-Befragung überwiegend von Verschlechterungen berichtet. Damit gehen Abstiegsängste einher.
Stand heute ist das für alle Wahlen relevant, von der EU-über die Nationalratswahl bis zu den Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark. Immerhin ist bei diesen Personen auch der Anteil jener groß, die finden, dass sich Österreich in die falsche Richtung entwickle und die Regierenden misstrauen. Bis zu 74 Prozent tun das. Bemerkenswert: Politische Links-Rechts-Einstellungen haben weniger Einfluss auf die Sichtweise.
Daher konnten bisher nicht nur Freiheitliche profitieren von dieser Stimmungslage, sondern bei der Salzburg-Wahl vor neun Monaten etwa auch Kommunisten: Mit entsprechenden Angeboten kamen sie auf fast zwölf Prozent.