Den vorjährigen Sommerhit - den klassischen "Friesenjung" - hat er noch an zwei junge deutsche Rapper delegiert. Im kommenden Juni, so ist zu erfahren, bestreitet er schon selbst die Mitternachtseinlage beim Nova-Rock-Festival. Während der Universalkomiker Otto Waalkes in seinem 75. Jahr einen geräumigen Platz innerhalb der Jugendkultur behauptet, befördert der studierte Maler gleichen Namens einen enorm erfolgreichen Bildband ins Weihnachtsgeschäft: "Ganz große Kunst - 75 Meisterwärke" implantiert den selbst schon klassischen Ottifanten in das Schaffen namhafter Kollegen. Vom ersten Höhlenmaler über Leonardo und van Gogh bis Banksy.
Wir trafen ihn zum Gespräch und baten die Otto-Abhängigen Franz Schuh und Gerhard Haderer um Gastkommentare. Die wissenschaftliche Analyse überlassen wir dem Sprachwissenschaftler und Otto-Versteher Rudolf Muhr, der nicht zufällig das Jugendwort des Jahres in Österreich etabliert hat: "Otto Waalkes ist ein Sprachkünstler, ein Meister des Unvorhersehbaren: der klassische burleske Harlekin des 17. und 18. Jahrhunderts, der moderne Hanswurst. Sein Reden ist kein Reden, sondern ein Stakkato. Er springt von einem Thema zum nächsten und verliert dabei nie den roten Faden. Klar, dass er in allen Generationen beliebt ist: Er ist lustig, in einer Zeit voller schlimmer Nachrichten auf seine Art sogar harmlos. Aber darunter lagert die Anarchie des Hanswursts."
Herr Waalkes, vielfach wurde vermutet, Sie würden sich in Ihren Reifejahren bei der bildenden Kunst zur Ruhe setzen. Nun sind Sie einer der erfolgreichsten TikToker. Es schleudert Sie wohl zwischen den Generationen hin und her?
Ich schleudere mich selbst zwischen den Generationen hin und her. Ich wachte morgens auf und wollte mich wieder zur Ruhe legen, da kam ein Anruf, wir sind Nummer eins mit meinem alten Song "Ich bin ein kleiner Friesenjung" auf eine Melodie von Sting. Für einen Hit gibt man natürlich gern die Genehmigung und verlässt seinen Ruhesitz.
Die jungen Leute sind ja großartig inkorrekt! Während man als Erwachsener unablässig gecancelt wird, sind Spasti und Opfer beliebte Jugendworte ...
Ich frage mich, ob meine Wortwahl nicht auch inkorrekt ist. Der Schniedelwutz steht sogar im Duden.
Kein Wunder, dass der WDR Ihre Sendungen mit Warnhinweisen versieht, nicht?
Ich habe mich auch gewundert. Ich habe jahrelang mit dem WDR zusammengearbeitet und viele Shows produziert, zu meinem 75. Geburtstag wollten die diese alten Sendungen wieder zeigen - versehen mit einem Warnhinweis. Eine prima Promotion. Und für mich war es ein großes Kompliment dazu. Vor Komik kann nicht genug gewarnt werden, die ist gefährlich, führt zu Kontrollverlust und Lachanfällen. Wissenschaftler haben übrigens herausgefunden, dass so ein Warnhinweis kontraproduktiv wirkt, weil diejenigen, die gewarnt worden sind, sich genau die Sendungen anschauen, vor denen sie gewarnt werden, weil sie wissen wollen, wovor sie eigentlich gewarnt wurden. Stellen Sie sich folgendes Gespräch zwischen Vater und Sohn vor: "Papa, dürfen wir heute die 'Otto-Show' kucken?" "Du sollst nicht das O-Wort sagen, aber wir schauen uns das mal an." "Papa, wann kommt denn nun was Diskriminierendes?" Dann kommt und kommt nichts Diskriminierendes. Und Papa schimpft: "Die haben's rausgeschnitten, typisch WDR."
Beanstandet wurde speziell die tonnenschwere Pille, mit der katholische Mädchen ihre Schlafzimmer verbarrikadieren.
Die habe ich nie zurückgenommen, die war zu schwer. Entschuldigen musste ich mich beim Papst, als ich sagte: "Der Papst hat Selbstmord begangen - warum nicht, wenn man sich beruflich verbessern kann?"
Und Ihr grenzklerikales "Wort zum Montag"?
War ein Problem, wegen meiner gläubigen Mutter. Ich sollte mich vor ihrer Gemeinde entschuldigen. Als ich dann vom ersten TV-Honorar meinen Eltern ein kleines Häuschen gekauft habe, sagte meine Mutter: "Mach nur so weiter, mein Junge." Sie hatte sich zuerst sehr gesorgt um mein Seelenheil, während mein Vater eher weltlich orientiert war. Da sind zwei Welten zusammengestoßen, das hat so ein kleines kritisches Bewusstsein in mir geweckt.
Haben Sie eine Erklärung, weshalb die Jugendlichen derart auf Sie fliegen? Ist es Sehnsucht nach Anarchie?
Nach Leichtigkeit wahrscheinlich, gerade in so einer schweren Zeit, wo man nur gewarnt und geängstigt wird. Da braucht es einen, der etwas gute Laune verbreitet und sie zum Lachen bringen kann. Das versuche ich seit einem halben Jahrhundert. Wie jetzt auch mit diesem Buch, indem ich da in altehrwürdige Kunstwerke, hoch angesehene Gemälde, diesen kleinen Ottifanten einschmuggle. Der Lacheffekt entsteht durch Wiedererkennen und die folgende Überraschung. Genauso ist es auch in der Musik bei meinen Parodien. Eine Parodie setzt das Wiedererkannte voraus, das sich dann plötzlich verändert. Wie sagte einst Robert Gernhardt: Lock das Publikum in ein scheinbar stabiles Sinngebäude, um es dann voll gegen die Wand krachen zu lassen.
Ihre Zwerge wären heute diskriminierend, Winnetou wird auch angegriffen.
Ja, schrecklich, aber ich glaube, der Spuk ist in zwei, drei Jahren vorbei.
Glauben Sie?
Ja, bestimmt, es reicht schön langsam mit all diesen Unsinnigkeiten, diesen Diffamierungskampagnen: Wenn diese Saubermacher sich die gesamte klassische Literatur und Malerei vornehmen würden, dann müssten sie einsehen, dass ihre Reinigungsbestrebungen uferlos sind.
Ja, wenn das gebildete Leute wären ...
... na gut, die entwickeln sich auch weiter.
Nur wohin?
John Cleese sagte neulich, er habe immer das Gefühl, dass im Publikum einige sitzen, die nur darauf warten, sich beleidigt fühlen zu dürfen.
Auch Gauguin wurde kürzlich in Frage gestellt, weil er sich in der Südsee inkorrekt verhalten hat.
Zum Glück hab ich das mit einem Ottifanten gekontert, den ich da eingeschmuggelt habe.
Wie erzeugt man in Kriegszeiten überhaupt noch Komik, wenn einem auch noch die politische Korrektheit im Nacken sitzt?
Diese Konflikte gibt es doch immer, auch meine Generation hat gegen die davor rebelliert. Mit dem Unterschied, dass wir uns Freiheiten nahmen, die uns gerade wieder genommen werden sollen.
Hatten Sie es früher leichter, ohne politisch korrektes Getue?
Das gab es immer schon, auch als ich anfing. Da gab es andere Tabus, die Autoritäten waren andere. Da bin ich vor studentischen Minderheiten aufgetreten. Die waren beleidigt, weil sie Eintritt zahlen mussten. Ein Ticket kostete bei mir damals sieben D-Mark, da haben sie in der Zeitung geschrieben, Otto lässt sich die Fransen an den Jeans vergolden. Kennen Sie Reginald Rudorf, der eine frühe Kritik schrieb? Er vermutete, in einem Jahr wird kein Mensch mehr von diesem Menschen reden. Und in der "Zeit" stand, man müsse sich den Namen Otto nicht merken. "Fake News" würde man das heute nennen. Trump hat viel von dem Prinzip übernommen.
Würden Sie sich freuen, wenn er wiederkäme?
Für die Parodisten wäre das auf alle Fälle ideal. Aber ich bin kein politischer Kabarettist. Beim großen Fest zur Deutschen Einheit waren Politiker aus allen Parteien da, ich sollte bei ihnen in der ersten Reihe sitzen, und alle wollten sie ein Selfie mit mir. Dann habe ich mich in die 14. Reihe gesetzt, sonst wäre ich mit denen dauernd im Bild gewesen.
War die AfD auch dort?
Keine Ahnung. Manchmal kenne ich die Politiker gar nicht, den Haider etwa - es gibt, glaube ich, Fotos von uns beiden.
Gibt es viele Nazis in Ostfriesland?
Der Friese ist friedlich, in Ostfriesland ist kein Platz für Nazis.
Kehren wir lieber rasch zur Kunstgeschichte zurück. Würden Sie uns Licht in die Herkunft des Ottifanten bringen?
Da war ich 14. Ich versuchte, ein Selbstporträt zu zeichnen, da merkte ich, das bin ich nicht, die Nase ist zu lang. Daraufhin hab ich sie zu einem Rüssel verlängert, flache Ohren angelegt, große Augen, kleines Schwänzlein. Er hat mich bis heute begleitet. Von den ersten Auftritten angefangen.
Gibt es eine Epoche, der Sie besonders nahestehen?
Mir gefallen die verschiedensten Motive. Ob die aus der Renaissance, dem Barock oder dem Surrealismus kommen, ist mir egal. Wichtig ist, dass sie Platz bieten, um den Ottifanten einzubringen. Es sollten nur bekannte Motive sein. Wenn ich dann vermummt durch meine Ausstellungen, jetzt z. B. in Bernried am Starnberger See, laufe, da merke ich, die Leute freuen sich über diese Parodien. Großeltern, Eltern und Kinder - Hauptsache, sie verlassen die Ausstellung mit einem Lächeln. Das sieht man in Museen viel zu selten.
Wenn Sie Pech haben, schüttet aber jemand Tomatensuppe auf Ihr Bild.
Campbell's Tomatensuppe? Wenn ich daraus die Konturen eines Ottifanten machen kann, finde ich das halb so schlimm.
Haben Sie denn Verständnis für diese Proteste?
Für alle Proteste habe ich Verständnis. Außerdem werden da ja nur die Rahmen beschädigt. Das zeugt doch von einer gewissen Achtung für die bildende Kunst.
Mit Bilderrahmen sollte man aber nicht spaßen, denken wir nur an André Heller!
Zum Glück bin ich kein Bilderrahmenfälscher, sondern ein Adapter.
Wenn nun aber einer mittels KI in alle großen Bilder Ottifanten adaptiert, werden Sie da nicht überflüssig?
Man muss immer sehen, wozu die künstliche Intelligenz fähig ist - bisher zeigt sie wenig künstlerische Inspiration. Aber Denis Scheck, der das Vorwort geschrieben hat, nennt mich einen der größten Kunsträuber. In Deutschland darf man zum Glück laut Gesetz Kunstwerke ohne Erlaubnis des Urhebers eigenständig verändern und verwerten.
Weshalb haben Sie denn für das Titelblatt Ihres Buchs den armen Poeten von Spitzweg gewählt? Ist das Ihr Hang zum Biedermeier?
Spitzweg war ein realistischer Maler, seine Bilder erzählen kleine Geschichten. Und das hier ist eine typische Otto-Haltung, im Bett zu liegen, etwas zeichnen. Dann habe ich noch einige meiner Accessoires hinzugefügt: eine Teekanne, eine Gitarre und die ostfriesische Landschaft mit Leuchtturm im Hintergrund.
Könnten wir dieses Gespräch mit Ihrem Lieblingswitz ausklingen lassen?
Ich habe an einem Seminar für positives Denken teilgenommen.
Wie fanden Sie es?
Scheiße.
Können Sie das ein bisschen positiver ausdrücken?
Ja, schöne Scheiße.
Das Buch
Der Ottifant übernimmt die Kunstgeschichte: "Ganz große Kunst - 75 Meisterwärke" ist ein Weihnachtsbuch, wie man es bisher nicht kannte. Heyne, € 26,90
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GERHARD HADERER, Kollege
Otto Waalkes ist ein anarchischer Vulkan. Als er ausgebrochen ist, war meine Generation 16 bis 18 und hatte große Distanz zu der sehr speziellen Spaßhaftigkeit, die man deutschen Humor nennt. Und wie Otto Waalkes mit denen Schlitten gefahren ist! Er hat mich unglaublich beeinflusst, so wie die gesamte Frankfurter Schule um Gernhardt und F. K. Waechter. Sie haben alles auf den Kopf gestellt. Sie haben Comicstrips gezeichnet und sich über das Metier gleichzeitig lustig gemacht - unser gemeinsamer Zugang.
Otto Waalkes ist ein Genie, nicht anders kann man es sagen. Das Sich-selbst-infrage-Stellen, das Stolpern innerhalb einer Figur: Wie das geht, hat uns Otto beigebracht. Darum geht seine Beliebtheit auch durch die Generationen: In dem Augenblick, wo man ihn in eine Schatulle stecken wollte, hat er schon das nächste Türl geöffnet. Diese Unberechenbarkeit ist ein absolut anarchischer Zugang. Was er macht, ist außerdem von einer großen Privatheit. Deshalb findet sich jeder in ihm wieder und ist ihm auch in einem Saal mit 1.000 Plätzen unmittelbar nahe.
Und da sind wir noch gar nicht beim bildenden Künstler. Otto hatte einen deutschen Vorgänger, nämlich Loriot. Dessen Knollennasenmann mit dem Hündchen Wum war bestenfalls bürgerlich-spießig, und Loriot hatte auch nur eine einzige Ebene, das Scheitern des korrekten Deutschen in unkorrekter Situation.
Dagegen Otto mit seinem Bekenntnis zum Nonsens! Es ist kein wirkliches Konzept dahinter, das einzige Konzept ist der Multikünstler Otto, der auch ein ausgebildeter und hoch begabter bildender Künstler ist. Der Ottifant ist ein Wurf, Reduktion pur! Alles ist wegreduziert, was zeichnerische Mühe, vielleicht auch Könnerei sein könnte. Kerzengerade wird drangegangen, den Ottifanten so dämlich darzustellen, dass man entweder niederbricht oder nie wieder Otto sehen will. Ich bleibe der Niederbrecher.
FRANZ SCHUH, Philosoph und Schriftsteller
Ich bin ein Otti-Fan. Das geht so weit, dass ich mich als Ottifant fühle: Ottifant ist meine wahre Gestalt. Dabei ist meine Beziehung zu Otto Waalkes nicht reibungslos. Während ich in den Siebzigerjahren an einer Dissertation über Hegel schrieb, lebte Otto Waalkes in der "Villa Kunterbunt", in einer Wohngemeinschaft mit Marius Müller-Westernhagen und Udo Lindenberg. Ich bin heute noch grün vor Neid. Als Kulturkritiker muss ich aber meine Ressentiments verschleiern und objektiv sein. Objektiv gibt es männliche Komiker, die immer recht haben: Dieter Nuhr. Dann gibt es den Erzähler auf der Bühne, grandios zum Beispiel Lukas Resetarits. Ein Komiker wie Woody Allen hat Manhattan zum Hintergrund. Otto dagegen kommt vom Rand, aus der provinziellen Ferne Ostfrieslands, eine Herkunft, die er ins Komische steigert. Otto, der nicht selten als Ottilein auf der Bühne steht und hüpft, hat nicht recht. Als wäre er ein Exponent eines kindlichen Spieltriebs, spielt er sich durchs Bühnenleben -als Musiker, als Sketchkünstler, als Parodist. Und er ist auch Filmschauspieler. Ein Höhepunkt der europäischen Hochkomik ist Otto im Film zusammen mit Johannes Heesters: Heesters als Sandler im abgewrackten Frack verkostet mit Otto, auf dem Gehsteig sitzend, den teuren Wein "Chateau Reibach", Jahrgang 1899, den Otto schließlich ausspuckt. Einen Schlagersänger nennt man "Künstler", nur weil er Schlager singt. Künstler ganz und gar ist Otto. Klar, dass er eines Tages die gesamte Kunstgeschichte zu seinem Arbeitsgebiet nehmen musste. Ich wünsche ihm gute Geschäfte!
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2023 erschienen.