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Wie schön war das doch ganz am Anfang: so verliebt, da war noch alles spannend und aufregend, und im Bett haben die Funken nur so gesprüht. Und jetzt? Jetzt heißt es: Kinder in die Schule bringen, Stress in der Arbeit, wer bringt den Müll hinaus und was besorgt man der Oma zum Geburtstag? Zeit für Romantik, für Sinnlichkeit und Zweisamkeit bleibt wenig. Wenn man sich nicht bewusst Zeit nimmt und Sex nicht als Aufgabe sieht, die man erledigen und bei der man funktionieren muss.
Schenkt man einer Untersuchung des Kondomherstellers Durex Glauben, so ist fast die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher nicht sonderlich zufrieden mit ihrem Sexleben. 30.000 Menschen aus 36 Ländern haben an der Untersuchung, die Durex im Jahr 2017 durchgeführt hat, teilgenommen. Nur 47 Prozent der 519 befragten Österreicher bewerteten ihr Liebesleben dabei als zufriedenstellend.
Druck, Alltag, Pornos
Die Gründe für sexuelle Probleme sind selten allein organischer Natur. "Was ich in meiner Ordination sehe, ist eine sehr starke Zunahme an sexuellen Funktionsstörungen, gerade bei jungen Männern", so der Wiener Urologe Erik Randall Huber. Vorzeitiger Samenerguss zählt zu den häufigsten Sexualstörungen. Der Grund dafür sei häufig ein starker Performancedruck: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der Leistung und Funktion eine große Rolle spielen." Ständiger Stress im Beruf und im Alltag sind belastend, dann auch noch im Bett abliefern zu müssen, wirkt auf viele Menschen lusthemmend.
Dazu kommt häufig eine falsche Vorstellung von Sexualität, vorgelebt durch Pornografie: "In Pornos wird eine Sexualität vorgelebt, die weggeht von der Kommunikation, hin zur Funktion", so Huber. Eine ganze Generation wächst quasi mit immer und überall zugänglicher Videopornografie auf. "Das ist unter anderem ein Grund, dass viele 20- bis 30-Jährige in meine Praxis kommen, weil sie Stress bekommen bei dem Versuch, diese sexuelle Scheinwelt in ihre gelebte Sexualität zu integrieren."
Rückgang der Sexualität
Dass die Sexualität im Laufe einer Beziehung etwas abnimmt, ist normal. "In den ersten zwei Jahren einer Beziehung ist das Glückszentrum im Gehirn daueraktiv, gleichzeitig sind die Zentren, die für rationales Denken und Kontrolle verantwortlich sind, abgeschaltet", weiß Fachärztin Michaela Bayerle-Eder. Ein Zustand, der nicht ewig andauern kann. "Die Frequenz der sexuellen Kontakte wird in einer Beziehung meistens irgendwann zurückgehen, das ist ganz normal, solange der Rückgang die Beziehung nicht belastet", weiß Huber.
Nicht die Frequenz, sondern das Erleben von Sexualität sei entscheidend. Die Sexualfähigkeit an sich bleibt das ganze Leben lang erhalten, der Sexualtrieb ist aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich, so Bayerle-Eder. Körperliche Veränderungen, etwa durch die Menopause, Krankheit oder zunehmendes Alter, beeinflussen den Sexualtrieb ebenfalls.
Großen Einfluss auf die Sexualität können auch Verhütungsmittel haben: Untersuchungen zeigen, dass manche Pillen das Lustempfinden der Frau unterdrücken kann. Hier gilt es, die optimale, möglichst schonendste Verhütungsmethode zu wählen und den eigenen Körper auf Veränderungen hin zu beobachten.
Stress als Lustkiller
"Zu viel Stress ist ein Lustkiller", weiß der Wiener Psychotherapeut Christian Beer. Für ein Paar ist es deshalb wichtig, aus gewöhnten Strukturen auszubrechen und sich Zeit füreinander zu nehmen. "Spontaner Sex ist in einer langjährigen Beziehung nicht mehr möglich, wenn Sex immer möglich ist und auch erwartet wird", so Beer. Er empfiehlt Paaren, ihre sexuelle Rolle zu pflegen, sich beispielsweise zum Sex zu verabreden, auch einmal ins Hotel zu gehen oder andere Fantasien auszuleben. Wichtig sei das gelegentliche Ausbrechen aus der Routine.
Denn die Lust aufeinander geht zugrunde, wenn sie nicht gepflegt wird. Die Herausforderung in jeder Beziehung ist das Aufrechterhalten der Sexualität, so Beer. "Wenn man in einer festen Partnerschaft zusammenlebt und sehr familiär miteinander wird, besteht die Gefahr, dass man den anderen irgendwann nicht mehr als sexuelles Wesen wahrnimmt."
Um das zu verhindern, sei es nötig, sich selbst und den anderen als sexuelles Wesen anzuerkennen. "Man kann nicht permanent sexy sein und sollte mit dem Partner natürlich entspannen können", so Beer. "An dem sexuellen Verhältnis zueinander kann man arbeiten. Hinter jedem Sollen steht aber das Wollen. Eine romantische Liebe ist ein Trieb und kein Gefühl, das man nicht beeinflussen kann." Ein Bereich des Lebens sollte also der Sexualität vorbehalten sein, wenn man will, dass es im Schlafzimmer heiß hergeht. Um die anfängliche Verliebtheitsphase wiederherzustellen, kann man zum Beispiel versuchen, durch gemeinsame Unternehmungen ein Hormonprofil wie am Anfang zu generieren: Sport, gemeinsame Ausflüge und Aktivitäten, die für beide spannend und erregend sind, können das bewirken, so Bayerle-Eder. Wichtig sei auch, den eigenen Körper gesund und fit zu halten - und das darf man auch vom Partner einfordern.
Reden ist Gold
"Sex ist die höchste Form der Kommunikation, die zwischen zwei Menschen möglich ist", so Bayerle-Eder. Umgekehrt ist eine funktionierende Kommunikation Voraussetzung für ein erfülltes, zufriedenes Sexleben. Laut Durex-Befragung reden 73 Prozent der Österreicher offen über Sexualität, womit sie im globalen Durchschnitt liegen. Wer seine Wünsche im Liebesleben unterdrückt, gefährdet damit seine Beziehung, behauptet die Studie. Doch ist es nicht immer ganz leicht, offen zu sagen, was man sich im Bett wünscht. "Sexualität kann auf jeden Fall verbessert werden, wenn Sie mit Ihrem Partner reden und Ihre Wünsche und Bedürfnisse klar äußern", so Bayerle-Eder. Ein gemeinsames Sex-Tagebuch, in dem beide einander jene Dinge mitteilen, die sie so nicht aussprechen können oder wollen, hilft, die Kommunikation zu verbessern und sexuelle Zufriedenheit zu fördern.
Zufriedener ist auch, wer regelmäßig beim Geschlechtsverkehr einen Höhepunkt erlebt, zeigt die Befragung. Das scheint wenig verwunderlich. Doch die Fähigkeit, beim Sex einen Orgasmus zu erleben, ist keine Selbstverständlichkeit: Lediglich drei von zehn Frauen kommen regelmäßig zum Höhepunkt, während zwei von drei Männern einen Orgasmus beim Liebesspiel erleben.
Bayerle-Eder weiß: "Mindestens 30 Prozent aller Frauen können intravaginal während dem Sex keinen Orgasmus bekommen. Das hat anatomische Gründe." Manche Frauen müssen deshalb während des Geschlechtsverkehrs an sich Hand anlegen, was völlig normal ist. "Früher wurde Frauen gesagt, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, wenn sie rein durch die Penetration keinen Orgasmus bekommen können. Das stimmt nicht." Sexspielzeug kann helfen. Hier zeigen sich die Österreicher sogar eher experimentierfreudig: 32 Prozent verwenden diverse Liebesspielzeuge, fand die Untersuchung heraus. Masturbation kann die Sexualität ebenfalls beeinflussen, so Bayerle-Eder: "Masturbation bei Frauen kann eine Bereicherung für die Beziehung sein", weiß die Expertin. Denn Frauen, die selbst Hand anlegen, kennen ihren Körper und wissen, was ihnen gefällt, was die Paarbeziehung wiederum positiv beeinflussen kann. Sehr häufiges Masturbieren bei Männern kann dagegen ein Anzeichen für Versagensängste und Rückzug sein.
"Nur Sex" gibt es nicht
"Sexualität ist immer eine sozialpsychologische Interaktion", so Christian Beer. Sexualität ist weit mehr als nur die Penetration, ergänzt Urologe Huber. "Man kann auch nebeneinander liegen und sich streicheln und dabei sexuelle Zufriedenheit erleben." Wichtig sei, dass man den Menschen als Ganzes wahrnehme, mit seinen Emotionen, Bedürfnissen und Ängsten. Ein Normativ gäbe es nicht und man sollte auch keine Zahlen vorgeben, wie viel Sex "normal" ist: "Alles ist normal, solange es für beide passt", so Huber.