Puppenbauer, Puppenspieler, Kunstpfeifer und immer mehr Opernregisseur. Der Grazer Nikolaus Habjan überschreitet Grenzen. Nach Berlin und Dresden brechen demnächst große Zeiten in Wien an. Und 2025 geht es an die Staatsoper.
Steckbrief Nikolaus Habjan
Name: Nikolaus Habjan
Geboren am: 24. September 1987 in Graz
Wohnt in: Wien
Ausbildung: Studium Musiktheaterregie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw)
Beruf: Regisseur, Puppenbauer, Puppenspieler, Kunstpfeifer
Um mit dem Regisseur, Puppenbauer, Puppenspieler und weltmarktführenden Kunstpfeifer Nikolaus Habjan in ein längeres Berufsgespräch zu treten, muss man sich in den Zeitfenstern eines Vielgefragten zurechtfinden. Telefonisch muss es sein, denn Habjan, der Regisseur, steht in den Endproben zu Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt". Damit enden vier unschätzbare Praxisjahre als Hausregisseur in Dortmund: "Entführung aus dem Serail" hat er hier gefertigt, "Tosca", eine "Zauberflöte", die in ihrer euphorisierenden Spiellust Publikum und Kritik von den Sitzen hob, jetzt folgt der Offenbach. Dazwischen hat ihn die immer bessere Nachrede an erste Häuser in Berlin und Dresden getragen. Und jetzt geht es bis zum Jahresende wieder heim nach Wien.
Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin", mit dem Bariton Florian Boesch, der Musikgruppe Franui und Habjans Puppenuniversum für die Berliner Staatsoper visualisiert, erreicht am 23. November das Museumsquartier, wo das Theater an der Wien bis zur Wiederbespielbarkeit des Haupthauses Logis nimmt.
Dann das Puppenspiel "F. Zawrel, sozial und erbbiologisch minderwertig", am 7.12. in der "Josefstadt". Habjan hat es 2012 mit einem charismatischen Überlebenden der Nazi-Kindereuthanasieklinik Spiegelgrund für das winzige Schubert-Theater in Wien 9 entworfen. Heute durcheilt es als ewigjunges Manifest des Widerstehens und Überlebens den Sprachraum.
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Für das delogierte Theater an der Wien inszeniert er mit Premierendatum 16.12. und großem Puppenbestand die Weihnachtsoper, Oliver Knussens "Wo die wilden Kerle wohnen" nach Maurice Sendaks anarchischem Gesamtkunstwerk.
Und am 31. Dezember schickt Habjan, der Kunstpfeifer, das miserable Jahr 2023 via Konzerthaus in die Kabine. Dann geht es wieder in die Welt hinaus, bis nach Cleveland, wo er im Mai eine "Zauberflöte" unter Welser-Möst herausbringt.
Vor zehn Jahren drehte sich Habjans Welt noch langsamer. Da rückten die ersten Journalisten in einem Wiener Einzimmer-Atelier ein, um an der Schwelle geblendet stehenzubleiben. Der ganze Raum atmete und vibrierte von Dutzenden, zum Teil lebensgroßen Puppen, deren Augen einen sofort gefangennahmen.
Jelinek über Nikolaus Habjan
Eine hatte gerade begrenztes Aufsehen erregt: Elfriede Jelinek, unsichtbar für die Welt seit dem damals acht Jahre zurückliegenden Nobelpreis, hatte im Akademietheater als neurotische Wundermaschine ihr Stück "Schatten (Eurydike sagt)" durch Himmel und Hölle getragen. Der inszenierende Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann hatte den 26 Jahre alten Habjan vom Schubert-Theater weg verpflichtet, und die Jelinek-Puppe übernimmt seither als abrufbereiter Mythos die Vertretung der menschenscheuen Laureatin bei Ehrungen und Verleihungen.
Auf Anfrage übermittelt die Weltliteratin in obligat alter Rechtschreibung ein nicht alltägliches Kompliment: "Na ja, mehr als daß ich ihn für ein Genie halte, kann ich nicht sagen. Ich bin so froh, daß er jetzt jede Menge interessante Aufgaben bekommen hat. Er ist ein unglaublich vielseitiger Künstler, und er kann einen (Zawrel) rühren, aber auch wütend machen (Karl Böhm). Mit Puppen geht das leichter als mit Menschen, weil er das Essentielle herausarbeitet."
Wie das Wortmeldungen Herausragender so an sich haben, skizziert die Nobelpreisträgerin mit wenigen Strichen das Phänomen in seiner gesamten Dimension. Nach wie vor ist Habjan als Akteur unterwegs. "Böhm", 2018 zu Unehren des genialen Dirigenten und charakterproblematischen Nazi-Mitläufers für das Grazer Schauspielhaus gefertigt, rückt nächstens in den Spielplan des Deutschen Theaters in Berlin. So wie auch "Zawrel" und "The Hills are Alive", gleichfalls eine Grazer Kreation: Für Habjan beginnen an der renommierten deutschen Hauptstadtbühne erstklassige Zeiten, seit sich die Grazer Intendantin Iris Laufenberg an die Spree verändert hat und Habjans halbes Repertoire übernimmt.
Nikolaus Habjan im Bann der Oper
Sonst ist mit dem Theater Pause. Die Oper, die Kindheitsliebe, hat ihn erfasst und trägt ihn höher und höher.
Den Dortmunder "Orpheus", ohne eine einzige Puppe, widmet er dem verehrten Offenbach. "Seine Musik", sagt der schmale, charmante, messerscharf formulierende Intellektuelle, "macht unglaublich glücklich. Dabei ist er einer der meistunterschätzten Komponisten, tiefgründiger als manch anderer große Opernkomponist. Und ohne ein Stück auch nur um ein Wimpernhärchen verbiegen zu müssen, entspricht er dem Zeitgeist, weil er immer starke Frauen ins Zentrum seines Werks stellt. Er dreht die Klischees ins Absurde."
Im geräumigen Spektrum der Orpheus-Bearbeitungen, fügt er hinzu, billigten überhaupt nur zwei der Eurydike eine Meinung zu: die von Offenbach und die von Elfriede Jelinek, mit deren Trump-Groteske "Am Königsweg" Habjan dem Landestheater St. Pölten 2019 das Prädikat "Aufführung des Jahres" einspielte. Verliehen, was in St. Pölten nicht täglich vorkommt, von der "New York Times".
Der "Orpheus" ist übrigens schon sein zweiter binnen weniger Monate. Der erste, der von Monteverdi, kam im März an der Dresdner Semperoper heraus, ein spektakuläres Ereignis mit Rolando Villazón, der Berliner Lautten Kompagney und riesenwüchsigen Puppen. Er wird im Frühjahr 2024 wegen des großen Erfolgs wiederaufgenommen und wechselt dann an ein großes österreichisches Opernhaus, das nicht in Wien steht.
Das pure Glück verortete er indes bei der Kindheitsoper "Zauberflöte" in Dortmund. Aus der großen Inszenierung wurde zusätzlich eine kleinere, kürzere Fassungvon 80 Minuten Länge gebaut. "1.000 Kinder", sagt Habjan, "schreien wie in einem Rockkonzert. Das freut mich besonders", fährt er in seinem Herzensthema fort, "weil wir um das Publikum kämpfen müssen. Wir müssen all unsere Kraft drauf verwenden, Theater wieder für das Publikum zu machen. Und nicht für eine ganz kleine Gruppe von Theatermenschen."
Selbstgefertigte Theaterkrise
Deshalb will er für die allseits einschlagende Theaterkrise auch weder die Pandemie noch das fatale Kriegsgeschehen verantwortlich machen. Der Publikumsschwund habe selbstgefertigte Ursachen, schwerwiegend genug, ihn für die nächste Zeit von neuen Projekten auf Sprechbühnen fernzuhalten. "Das Theater dreht sich sehr um sich selbst. Ich habe mit dieser Doppelmoral und Wehleidigkeit ein riesiges Problem. Es gibt mittlerweile mehr Verbote als Möglichkeiten. Die Balance stimmt nicht mehr, weil sich das Theater seiner ältesten und wichtigsten Instrumente nicht mehr bewusst ist: dass wir keine Realität auf der Bühne erzeugen können, nur Wahrhaftigkeit. Als würde ich sagen, ich möchte ein Marmeladebrot", leitet er plastisch zum Metaphorischen über. "Aber in die Hand krieg ich ein paar Weizenähren und eine Marille. Dabei ich will ja verarbeitete Realität! Aber wir sind schon kurz vor dem Zurückpendeln, und dann gehe ich es gern wieder an. Meine Aufgabe", dreht er den Monolog ins Wesentliche, "ist das Werk. Man darf sich als Regisseur nicht zu wichtig nehmen. Es ist nicht meine Aufgabe, aus einem wunderbaren Stück, das sich über mehrere 100 Jahre auf Spielplänen hält, ein neues Stück zu machen. Dann lasse ich doch gleich etwas Neues schreiben. Auch ein Dirigent ist ja nicht der Komponist, sondern ein Interpret. Und ich habe zwischen dem Publikum und dem Werk eine Brücke zu bauen."
Deshalb ist er mit dem "Zawrel" an die "Josefstadt" gegangen, nachdem er sich mit dem Burgtheater nach zehn aufregenden Jahren überworfen hatte. Er ist nicht der Einzige, der seine Chemie mit jener des nunmehr scheidenden Direktors Kusej nicht akkordieren konnte. Und Stefan Bachmann, der Nachfolger? Dessen Dramaturgie habe mit Puppentheater wohl nichts im Sinn, sagt Habjan knapp.
Wenn nun im kommenden Frühjahr die Übernahmen ans Deutsche Theater und die "Zauberflöte" in Cleveland bestanden sind, kommt etwas tatsächlich Neues. Wegen zahlreicher pandemiehalber verschobener Termine hatten sich zuletzt die Auftritte zweier Jahre auf eines zusammengeschoben. Die Überlastung war mit Händen zu greifen, also macht er Urlaub, für mehrere Monate und ungreifbar, in Skandinavien und Island. "Man kennt das", verweist er auf berühmte Kollegen, "von den tollsten Leuten. Es kommen dauernd Angebote, und irgendwann sieht alles gleich aus."
2025 Großes an der Staatsoper
Die Pause kann kein Fehler sein, denn 2025 dreht sich Habjans Welt wieder in Hochrotation. Seine Dresdner und Dortmunder Opernproduktionen, dazu ein "Barbier von Sevilla" aus Basel, übersiedeln an mehrere andere Häuser und verlangen die Obacht ihres Schöpfers.
Zu den großen Abenteuern ruft indes die Heimatstadt Wien. 2025 wird hier der 200. Geburtstag des Identitätsstifters Johann Strauß begangen. Roland Geyer, der Habjan schon für zentrale Aufgaben ans Theater an der Wien verpflichtet hat, disponiert nach seinem Rückzug nun das Strauß-Jahr. Zwei Produktionen dafür, sagt Habjan, seien vereinbart.
Zu den Sternen geht es indes im Herbst 2025: Da debütiert er an der Wiener Staatsoper, mit einem noch nicht zu nennenden Königswerk des Repertoires und einem großen Dirigenten am Pult. Der "Ring" ist es nicht, aber die Aufgabe verlangt ein Resultat, das sich gegebenenfalls auch für Jahrzehnte im Repertoire behaupten muss. "Ich finde ihn wunderbar", sagt Operndirektor Bogdan Roscic. "Zawrel" habe ihn umgeworfen, und in der Oper die besessene Arbeit mit den Solisten und jedem, wirklich jedem Choristen.
Als weiterer Schaffensmittelpunkt kristallisiert sich zudem die Berliner Staatsoper Unter den Linden mit Christian Thielemann als Musikdirektor heraus. Die neue Intendantin, die Österreicherin Elisabeth Sobotka, braucht ihr Faible für Nikolaus Habjan nicht erst unter Beweis zu stellen: Er war an ihrem bisherigen Dienstort, den Bregenzer Festspielen, ein gern gesehener und stets akklamierter Gast. Signale seien schon an ihn ergangen, gibt Habjan zu verstehen. Von der Volksoper und den Salzburger Festspielen ("dorthin würde ich gar nicht wollen") gibt es dagegen keine Anfragen.
Richtig für die "Josefstadt"?
Aber zwei Wiener Sprechtheater werden gerade frei. Hätte er keine Ambition auf das niedergefahrene Volkstheater, an dem er einst Erfolge gefeiert hat? "Nein, da sehe ich mich nicht. Ich bin ein Vollblutregisseur und liebe es, auf der Bühne zu stehen. Als Intendant hätte ich extrem hohe Ansprüche und würde mir nicht mehr gestatten zu inszenieren. Mein Job wäre ein Organisationsjob. Da bin ich nicht gut. Allein ein Kündigungsgespräch führen! Das möchte ich nie."
Und die "Josefstadt", an der seit Max Reinhardt immer die Künstler das Wort geführt haben? Habjans Name wurde unter Entscheidungsbefugten zuletzt öfter genannt. "Da müsste man eine gute Doppelspitze haben, um die Galionsfigur zu sein. Aber ich würde es mir nicht zutrauen. Ich glaube nicht, dass der logische Schritt eines Regisseurs eine Intendanz ist."
Marie Rötzer, sagt er plötzlich, deren Theater in St. Pölten er bis in die "New York Times"-Liste gebracht hat. Die wäre die logische Kandidatin, die könnte ihn dem Sprechtheater zurückgeben.
Und er selbst? Man will in der Frage nicht locker lassen und wird für die Beharrlichkeit belohnt: "Vielleicht in zehn Jahren das Schauspielhaus in Wien. Das könnte mich interessieren. Ich bin da komplett Ego-frei. Ob das Theater 50 oder 2.000 Plätze hat, ist mir vollkommen egal. Wichtig ist, dass das Publikum glücklich ist, und die Leute auf, unter und hinter der Bühne auch."
Mit solchen Manifesten kommt man womöglich nicht zum Berliner Theatertreffen. Aber dafür zu herzeigbaren Resultaten, heute schon eine Seltenheit.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 45/2023 erschienen.