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Paul Pizzera: "Jeder Mensch hat Probleme"

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20 min
©Bild: Ulrike Rauch
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Kabarettist und Nummer-eins-Hitsänger Paul Pizzera war beim Psychologen. Nun hat er ein unterhaltsames, kluges Buch geschaffen. Es tut gut, zuzugeben, wenn die Seele mal nicht Instagram-tauglich ist, meint er.

In "Der hippokratische Neid" trifft ein reaktionärer Prolo in der psychotherapeutischen Praxis auf ein intellektuell-zynisches Gegenüber. Mit dem klug-witzigen Dialog macht Pizzera Mut zur Selbstreflexion In "Der hippokratische Neid" ermuntern Sie zu therapeutischen Gesprächen. Oder besser: Sie ermutigen sogar zu einem Besuch beim Psychotherapeuten. Warum macht ein 32-Jähriger das zum Thema seines ersten Buches?
Weil es die noch immer weit verbreitete Angst nehmen soll, dass man deppert ist, wenn man zum Psychologen geht. Ich glaube, es ist deppert, wenn man nicht hingeht. Wenn ich Schmerzen physischer Natur habe, gehe ich zum Arzt. Warum also nicht, wenn mir das Herz oder die Seele weh tut? Das verstehe ich nicht.

Sie waren demnach selbst bei einem Psychologen?
Vor fünf Jahren war ich als Solokabarettist sehr erfolgreich. Trotzdem war ich nicht glücklich, wenn ich in der Früh aufgestanden bin. Dann kannst du mit der Mama reden und mit Freunden. Ja. Aber ich bin dann eben auch zu einem Profi gegangen, und der hat mit mir in vier Sitzungen geklärt, warum ich nicht glücklich bin. Die Antworten habe ich mir selbst gegeben, aber er hat die richtigen Fragen gestellt. Schon damals hat mir aus beruflicher Sicht dieser Rahmen für einen Dialog gefallen. Ich mag es, wenn geografisch wenig passiert, aber viel zwischen zwei Menschen. Jetzt ist es ein Buch geworden, das unterhält, aber auch die Angst davor nehmen soll, mit einem Profi zu reden.

Wie kommt es, dass Sie diese beschriebene Angst vor dem Psychologen nicht hatten?
Ich habe Angst gehabt! Meine Angst war, dass ich nachher nicht mehr kreativ sein kann. Oder etwas über mich zu erfahren, das es mir unmöglich macht, meinen Beruf weiter zu machen. Ich liebe meinen Beruf! Ich war halt nur nicht mehr glücklich. Ich habe Sorgen gehabt und habe sie keinem von meinen Freunden erzählt. Nach vier Sitzungen hat der Psychologe einen Schlüsselsatz gesagt: "Leben Sie doch einfach drauflos! Es ist alles gut." Das war unheimlich befreiend. Seitdem habe ich jedem, den ich getroffen habe, empfohlen, das auch zu probieren.

Was hat Sie denn daran gehindert, glücklich zu sein?
Es war das damals falsche zwischenmenschliche Verweilen.

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Der 32-jährige ist als Kabarettist, Musiker und nun auch Autor erfolgreich © Ulrike Rauch

Die Angst, nach der Therapie nicht mehr kreativ sein zu können, hat sich als unbegründet erwiesen. Dabei heißt es oft, der gequälte Künstler sei der bessere Künstler. Stimmt das?
Ich kann meinen Gemütszustand schon an meiner Arbeit ablesen. In schlechteren Gemütszuständen entstehen traurige Sachen und in glücklichen Phasen Heiteres. Aber bei Künstlern spielt auch viel Sozialromantik mit, wenn sie betonen, wie schlecht es ihnen gegangen ist, als sie ein Werk geschaffen haben. Man suhlt sich darin, emporgestiegen zu sein wie Phönix aus der Asche, um sich noch mehr feiern zu können. Bei mir ist das definitiv nicht so. Ich genieße mein Leben gerade sehr.

In Ihrem Buch findet sich ein reaktionärer Prolo namens Pfingstl in einer Therapiestunde wieder. Er findet es ziemlich unmännlich, sein Herz auszuschütten. Ist diese Angst vorm Psychologen eine geschlechterspezifisch definierte?
Interessanterweise habe ich allen im Freundeskreis empfohlen, es zu probieren. Und was war? Eine Freundin von mir war seitdem tatsächlich beim Psychologen, aber kein einziger von meinen männlichen Freunden. Offensichtlich hat es etwas auf sich mit diesem Klischee.

Warum tun sich Männer schwerer damit, zuzugeben, dass die Seele weh tut?
Ich glaube, eines der Probleme ist, dass man bei einem physischen Schmerz immer dem Sport, dem Gelände oder dem Alkohol die Schuld geben kann. Bei einem psychischen Schmerz muss man zugeben: Ich habe ein Problem. Das hat auch Einwirkungen von außen, die sind aber für den Betroffenen nicht so leicht erkennbar. Das eine hat mit Waghalsigkeit und Verwegenheit zu tun, das andere mit Emotionalität.

Emotionen zu zeigen ist Ihrem Protagonisten Pfingstl ein Gräuel. Sie haben ihm schließlich ein Aha-Erlebnis auf den Leib geschrieben: Er entdeckt, dass es seine Beziehung stärkt, wenn er Schwächen zugibt.
Genau. Auch wenn es bizarr klingt: Es gibt nichts Schöneres, als wenn der Partner Schwächen zugibt und dich um Hilfe bittet. Wenn man erfahren darf, dass man ein Hafen für diesen Menschen ist.

Trotzdem hat Pfingstl Angst, dass seine Frau diese Schwäche gegen ihn verwendet. Muss Beziehung denn so ein Minenfeld sein?
Wenn man so eine extrem gezeichnete -und von mir überzeichnete -Person ist, macht man sich schon Gedanken, wo einem jemand einen Strick drehen könnte, wenn man sich verletzlich zeigt und damit angreifbar macht. So ein Mensch sieht nicht, dass er dadurch Freiheit und Zuneigung gewinnt. Er erkennt nicht, dass ehrlich mit seinen Gefühlen umzugehen und Verletzlichkeit zu zeigen die wahre Größe ist.

Ihre Figur Pfingstl erweist sich als lernfähig. Er erkennt, dass er stets Situationen herbeigeführt hat, in denen er anderen die Schuld an seinem Leid geben kann.
Viele Menschen verbrennen eben lieber alle Brücken und zerschmettern alle Spiegel, statt sich damit auseinanderzusetzen, dass sie vielleicht doch nicht so perfekt sind, wie sie gedacht haben.

Menschen wie Pfingstl, die Psychotherapie für Blödsinn halten, sagen gern, dass sich Probleme ja nicht auflösen, nur weil man sie kennt.
Da muss ich einen wichtigen Punkt ansprechen: Würde man als Klient im echten Leben auf einen Gesprächspartner wie im Buch treffen, würde man vermutlich schreiend davonrennen. Dieses Buch ist Unterhaltung und erhebt keinen Anspruch auf fachliche oder medizinische Richtigkeit!

Haben Sie etwas gelernt im Schaffensprozess des Buches? Wächst man als Mensch an so einem Projekt?
In diese Richtung habe ich darüber noch nicht nach gedacht. Es ist aus vielen Gedanken die ich auch manchmal mit Freunden bei ein paar Gläsern Wein diskutiert habe oder mit der Mama nach einem Mittagessen. Man kommt auf etwas drauf, und das habe ich mir notiert. Zum Beispiel, dass eine Entschuldigung eine Bittstellung ist und keine Feststellung. Oft sagt jemand: "Ich hab mich eh bei dir entschuldigt!" Aha. Es ist aber so, dass man um Entschuldigung bittet. Solche Überlegungen würden nicht in ein Pizzera & Jaus Programm passen.

Kann man mit Freunden therapeutisch wertvolle Gespräche führen?
Es ist bestimmt möglich, aber die emotionale Befangenheit ist vermutlich ein Problem. Oscar Wilde hat gesagt, ein guter Freund ersticht dich von vorne. Das finde ich nach wie vor sehr treffend. Oft ist man doch einfach auch zu bequem,einen Disput heraufzubeschwören, der nicht sein müsste, und sagt einfach: "Ja, hast eh recht mach's so."

Gibt es von Ihren männlichen Freunden jetzt eher Schulterklopfer oder fragende Blicke für dieses Buch?
Von meinen Freunden hat es außer dem Otto (Bühnenpartner Otto Jaus, Anm.) noch niemand gelesen. Schön war, als der Nia (Kabarettist Michael Niavarani, Anm.) das Hörbuch eingesprochen hat und Pausen machen musste, weil er nicht aufhören konnte zu lachen. Das ist das schönste Schulterklopfen. Jetzt bin ich gespannt, wie es bei den Lesen ankommt...

Wenn die Klischees stimmen, schenken viele Frauen ihren Männern das Buch in der Hoffnung, Missverständnisse aufzulösen. Eines, das Sie beschreiben, ist, dass Pfingstl nicht versteht, was seiner Frau abgeht. Er denkt, dass er alles gibt. Ein traditionelles Mann Frau Missverständnis?
Ich halte das für eine Rechtfertigung von Männern, die sich nicht mit Problemen auseinandersetzen wollen. Nach dem Motto: Ich tu eh alles. Da muss ich mich damit doch nicht auch noch beschäftigen. Bei vielen Paaren gibt es so etwas wie einen zwischenmenschlichen Ablasshandel diesbezüglich.

Nur weil du jemandem sagst: 'Ich liebe dich', heißt es noch lange nicht, dass er sich geliebt fühlt

Ein Schlüsselsatz im Buch lautet: "Zu sagen, dass man jemanden liebt, und die Tatsache, dass die andere Person sich dann auch tatsächlich geliebt fühlt, sind zwei Paar Schuhe."
Natürlich. Nur weil du jemandem sagst: "Ich liebe dich", heißt es noch lange nicht, dass er sich geliebt fühlt. Wie beiden "Jesus loves you" Aufklebern. Wer das liest, fühlt sich ja auch nicht automatisch von Jesus geliebt. Wenn Leser solche Botschaften mit nehmen und vielleicht sogar ein bissl zum Nachdenken angeregt werden, freut mich das.

Was führt dazu, dass Sie solche Erkenntnisse gewinnen? Wie sind Sie denn gestrickt?
Ich mache mir viele Gedanke nund bin ein relativ empathischer Mensch. Oft kann ich lange nicht einschlafen, und dann denke ich nach.

Sind Sie schon einmal in die Falle getappt, die Frauen Männern traditionell vorwerfen, dass die glauben, ihre Existenz allein reiche schon für eine gute Beziehung?
Nein, da bin anders gestrickt. Bei mir ist eher ein Problem, dass ich am Anfang zu viel gebe und dann erwarte, dass das genauso zurückkommen muss. Wenn das nicht passiert, bin ich enttäuscht. Dabei geht es doch darum, um des Gebens willen zu geben. Dabei übersehe ich oft, dass jeder seine eigene Geschwindigkeit hat und sein eigenes Maß, das ihm guttut. Ich merke, dass ich Menschen manchmal überfordere. Gott sei Dank ist bei mir die Selbstkritik, Selbstironie und Selbstreflexion in so hohem Masse vorhanden, dass ich mir niemals anmaßen würde, jemand soll froh sein, weil ich da bin. Ich spüre mich durch Leistung, nicht durch Existenz.

"Frauenversteher" nennt man auch oft ironisch Männer, die sich Frauen gegenüber einfühlsam und verständnisvoll geben und sich nicht scheuen, Gefühle zu zeigen. Bei Ihnen kommt einem der Begriff "Männerversteher" in den Sinn.
Mir wäre am liebsten, als Menschenversteher durchzugehen.Es gibt viele Frauen, die ich nicht verstehe, und viele Männer, die ich ebenso wenig verstehe. Es gibt Grundbedürfnisse, die jeder Mensch in sich trägt. Denen kann man besser oder schlechter zuhören. Wenn man gerne zuhört, kann man sie besser zu Papier bringen.

Niemand ist nur glücklich. Das ist in Ordnung. Dann soll man sich aber auch Zeit für sich nehmen

Im Vorwort schreiben Sie, das Buch ist "meinen Problemen gewidmet, damit Sie sich Ihren widmen können". Braucht unsere Gesellschaft nun Menschen, die ihre Seelen ergründen?
Es ist auch einfach ein schönes Wortspiel. Und die Idee stammt aus einer Phase, in der man gemerkt hat, wie schnell aus einem Laisser-faire-Leben purer Ernst wird. Im Dezember haben wir noch maskentragende Asiaten und Corona belächelt, und zwei Monate später war der Lockdown da. Viele Menschen waren dann allein mit sich oder waren mit dem Partner mit Problemen konfrontiert, die sie sich vorher durch Ausweichen erspart haben. Jeder Mensch hat Probleme. Keiner ist nur glücklich. Das ist in Ordnung. Dann soll man sich aber auch die Zeit nehmen, sich mit sich zu beschäftigen. Es gibt für fast alle Probleme eine Lösung.

Und die beginnt mit der angesprochenen Selbstreflexion. Ist das auch ein Ziel, das Sie auf der Bühne mit Pizzera &Jaus verfolgen? Das Publikum lacht zum Beispiel, wenn Sie auf der Bühne den Selfie-Wahn anprangern, steht nach der Show aber in Schlangen für ein Selfie mit Ihnen an.
Wir ertappen uns doch alle dabei, dass wir manchmal Wasser predigen und Wein trinken. So sind wir Menschen. Auf Antiglobalisierungsdemos rennen Leute mit Nike-Turnschuhen herum. Das ist bizarr. Man kann seinen Idealen nacheifern, aber die Eitelkeit macht uns viele Striche durch die Rechnung. Aber, ja, Selbstironie und Selbstreflexion sind schon zwei Güter, mit denen man glücklicher und lustiger durchs Leben geht.

Stimmt es, dass Sie das 77-Seiten starke Buch auf dem Smartphone geschrieben haben?
Ja, weil es am einfachsten ist. Ich tippe wirklich schnell, und das Handy habe ich immer dabei. Ich habe also immer und überall schreiben können. In der Nacht, wenn ich aufgewacht bin, sogar ohne Licht zu machen. Oder auf dem Balkon. Ich habe das sehr praktisch gefunden. Für den zweiten Teil lege ich mir vielleicht einen Laptop zu.

Man könnte sagen, Sie werden fast Onkel. Ihr Freund und Kabarettpartner Otto Jaus wird nämlich Vater. Macht das denn irgendeinen Druck auf die eigene Lebensplanung?
Nein. Dadurch, dass wir altersmäßig fünf Jahre auseinander sind, kann ich mir das ganz in Ruhe erste Reihe fußfrei anschauen. Ich bin mir sicher, dass er das genauso gewissenhaft und liebevoll erledigen wird, wie er sonst auf der Bühne arbeitet.

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