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Neid: Ab wann ist es krankhaft?

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Neid oder Missgunst? - Neid: Ab wann ist es krankhaft?

Neid oder Missgunst? - Neid: Ab wann ist es krankhaft?

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Neid gehört zum Leben dazu, jeder Mensch ist neidisch. Doch manche mehr als andere. Wie das kommt, ab wann Neid krankhaft ist und wie man mit dem eigenen Neid und anderen Neidern umgeht, erklärt der klinische Psychologe und Psychotherapeut aus Graz, Ulf Lukan.

Woher kommt Neid, wie entsteht Neid?

Neid zählt zu gegebenen Affekten wie Ekel oder Furcht. Allerdings fällt er ein bisschen aus der Reihe, was die Nützlichkeit betrifft. Die anderen Affekte dienen alle zur Lebenserhaltung, Neid auf den ersten Blick aber nicht. Auf Neid würde man eigentlich lieber verzichten.

Wir müssen ihm aber einen gebührenden Platz im Emotionssystem geben, auch wenn er einer der am meisten geleugneten Gefühle ist neben Langeweile. Aber Neid gehört dazu und ist eine ganz normale Reaktion.

Ist Neid bis zu einem bestimmten Grad auch positiv, etwa um Antrieb zu finden?

In seiner grundlegenden Ausprägung - getrennt von der aggressiven Form der Missgunst - ist Neid entwicklungsfördernd und hat durchaus etwas anspornendes. Wenn ich etwa sehe, dass der Nachbar seinen Garten schön gerichtet hat und sich daran freut, dann hat der Neid durchaus einen Sinn, wenn es mich dazu anregt, meinen Garten auch zu verschönern. Hier wäre der Verzicht auf Neid eigentlich Stagnation.

In der aggressiven Form ist Neid aber natürlich weder sozial noch individuell förderlich. Aber das ist eine pathologische Ausprägung von Neid, so wie alle Affekte pathologische Ausprägungen haben können, am bekanntesten bei den Ängsten: Wir können nicht ohne Angst leben, das gehört dazu und schützt uns, aber es gibt eine Fülle von Angststörungen, die lebensbehindernd sind. Und das ist beim Neid auch so.

In dieser neurotischen Form des Neids ist irgendwann eine emotionale Deformation passiert.

Ulf LukanKlinischer Psychologe und Psychotherapeut aus Graz

Ab wann ist Neid schädlich? Aber ab wann ist er zuviel?

Wenn Neid durch Ansporn nicht mehr bewältigbar ist, sondern sich auf Dinge richtet, die für mich unerreichbar sind und ich mich damit quäle. Ich sehe mich immer auf zu niedrigem Niveau und schlecht bedacht vom Schicksal. Es wurzelt in der mangelhaften Auseinandersetzung mit unserer Unvollkommenheit. Dabei gibt es immer das Fehlende, wir können nicht alles, was erstrebenswert ist, haben. Und wie gut oder schlecht man sich damit arrangieren kann, sich damit zu begnügen, das ist gestört. Das würde auch in der Therapie der entscheidende Ansatz sein, sich mit der eigenen Unvollkommenheit auseinanderzusetzen. Was Trauer oft notwendig macht, denn der Neid ist oft eine abgewehrte Trauer über das, was man nicht gehabt hat oder gerne gehabt hätte und einem versagt wurde. In dieser neurotischen Form des Neids ist irgendwann eine emotionale Deformation passiert.

Es geht darum, wie sehr man sein eigenes Leben von Defiziten geprägt erlebt hat

Ulf LukanKlinischer Psychologe und Psychotherapeut aus Graz

Warum sind manche Menschen neidischer als andere?

Neid wird etwa durch frühe Mangelerfahrungen erhöht oder auch gemildert. Es ist sehr stark durch soziale Erfahrungen, wie man sich von der Umwelt beschenkt oder wahrgenommen in den Wünschen, Bedürfnissen gefühlt hat, beeinflusst. Oder durch Geschwisterkonstellationen und was man erlebt hat in diesen an sich gleichrangig gewünschten Positionen. Wie man sich da im Nachteil gefühlt hat, hat zum Beispiel einen großen Einfluss.

Also es geht darum, wie sehr man sein eigenes Leben von Defiziten geprägt erlebt hat - und dem rennt man ein Leben lang nach. Neid ist ein permanenter Kompensationsversuch von einem Mangelgefühl, das natürlich im Selbstwert verankert ist.

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Sind Menschen eher auf materielle oder immaterielle Dinge neidisch?

Das Materielle ist nur vorgeschoben, es geht grundsätzlich immer um ein Glücksgefühl, das ich beim anderen vermute. Wenn man das Klischee-Beispiel des neuen Autos des Nachbarn hernimmt, bin ich im Grunde nicht auf das Auto neidisch, sondern darauf, wie glücklich der Nachbar damit ist (was ich vermute). Und ich glaube, wenn ich es auch hätte, würde ich auch so glücklich sein können.

Die Erfahrung zeigt aber, dass es mich natürlich nicht glücklicher machen würde. Menschen werden nicht weniger neidisch, wenn sie irgendetwas erreicht haben. Das ist zwar ein momentanes Glücks- oder Triumphgefühl, aber die grundsätzliche Neid-Verfassung ändert sich durch das Erreichen von Besitz nicht.

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Ist man eher auf Freunde oder auf Fremde neidisch?

Immer auf den/die Nächste/n. Je weiter weg jemand ist, desto weniger neidisch bin ich. Unseren Idolen gönnen wir alles, aber wenn der Nachbar, der gleichrangig ist, ein bisschen die Nase vorne hat, ist das ein Anreiz zum Neid. Wir vergleichen uns immer mit dem/der Nächsten bzw. eine Stufe drüber und drunter.

Wie kann man lernen, mit seinem Neid umzugehen? (Wie) Kann man ihn „abstellen“?

Es gibt Mechanismen, die wir sowieso alle zum großen Teil unbewusst anwenden, um Neidreaktionen zu regulieren, denn Neid ist ja ein hässliches Gefühl.

Diese Regulatoren sind:

  • Dass wir den Gegenstand, auf den wir neidisch sein könnten, entwerten. Zum Beispiel, indem wir sagen: „Das tolle Auto ist doch nur protzig, ich möchte nicht so angeberisch unterwegs sein.“

  • Dass wir Distanz herstellen: Zu sagen, das ist eine ganz andere Liga im Leben, wie: „Dass der mit dem Rolls Royce fährt, das hat mit mir nichts zu tun.“

  • Dass wir die Person entwerten oder Nachteiliges daraus konstruieren: Also wir denken uns: „Wer weiß, ob das neue Auto nicht diesen oder jenen Nachteil mit sich bringt.“

Wenn man Neid bewusst regulieren will, geht es darum, dem eigenen Leben mehr Qualität zu geben.

Ulf LukanKlinischer Psychologe und Psychotherapeut aus Graz

Wenn man Neid bewusst regulieren will, geht es allerdings darum, dem eigenen Leben mehr Qualität zu geben. Das ist natürlich nicht leicht, aber es gibt keinen Schalter, wo ich den Neid einfach „abdrehen“ könnte. Es ist ein sehr grundsätzliches Lebensgefühl und bedarf daher auch sehr grundsätzlicher Einstellungsveränderungen, um ihn los zu werden.

Es geht also darum, sich bewusst zu machen: Welcher Mangel erzeugt in mir die Dynamik, dass ich so genau hinschauen muss, was die anderen haben? Was ist mein Defizit? Das ist oft auch etwas, was uneinbringlich ist, wenn ich mich etwa in der Kindheit nicht gut versorgt gefühlt habe und mich in einer schlechteren Position erlebt habe als andere. Das lässt sich zwar nicht mehr korrigieren, aber es könnte mit entsprechender Trauer verarbeitet werden - und dann muss ich mich nicht mehr so dem Neid hingeben.

Neid ist also anstrengend?

Ja, Neid ist anstrengend, weil sich der Neider permanent in aggressivem Agieren und Schamgefühl bewegt. Es treibt ihn und er kommt nirgends hin. Er will und kann nicht. Das ist eine permanente Spannung, die sich psychosomatisch auch in Krankheit niederschlagen kann.

Ab wann soll man sich als Neider professionelle Hilfe suchen?

Auf jeden Fall, wenn der aggressive Anteil so zunimmt, dass ich missgünstig werde. Das ist eine Demarkationslinie. Wenn ich dem anderen etwas nicht mehr gönnen kann oder sogar zerstören muss, damit es der auch nicht hat, ist das auf jeden Fall krank und bedarf Maßnahmen, um aus diesem Dilemma wieder herauszukommen. Der Missgunst ist von Neid klar zu trennen. Denn auch unter Freunden kann man durchaus sagen: „Das bin ich dir wirklich neidisch, was du da erlebt hast.“ Das ist anerkennend und würde eine Freundschaft nicht beeinträchtigen. Aber wenn ich das Gefühl habe, wenn ich das nicht habe, darfst du das auch nicht haben, dann ist es wirklich krank.

Wie geht man mit dem Neid anderer um (wenn jemand auf mich neidisch ist)?

Zuerst einmal sollte man sich fragen: Habe ich Neid provoziert? Habe ich geprotzt? Habe ich eine Degradierung und Entwertung der anderen Person durch meine Aufwertung gemacht („Schau her, was ich tolles habe?“)?

Das ist wesentlich, dass man nicht Neid-provozierend unterwegs sein soll. Natürlich kann man sich über etwas freuen, das man hat, aber man darf das eben nicht zu einer Überlegenheit machen gegenüber dem anderen. Das wäre eine Provokation, wo man sich nicht wundern darf.

Dass jemand mit seinem eigenen Neid zu kämpfen hat, werde ich als normale Kontaktperson nicht gut ändern können, das wäre ein therapeutische Prozess.

Neid ist nicht nur ein Jucken, wo man kratzt und dann ist es vorbei

Ulf LukanKlinischer Psychologe und Psychotherapeut aus Graz

Was kann ich als FreundIn/Angehörige/r tun?

Gut ist, wenn ich als Freund selbstwertstärkend sein kann und dem anderen bewusst mache, dass er anders ist und andere Dinge hat, aber dass ich das und ihn als gleichwertig sehe. Solche selbstwertbestätigenden Aktionen könnten etwas mildernd wirken.

Aber wie gesagt: Neid ist nicht nur ein Jucken, wo man kratzt und dann ist es vorbei, sondern es ist eine sehr grundlegende Lebenshaltung, dass man sich immer in einer Minusposition erlebt und permanent etwas ausgleichen will. Das lässt sich nicht durch eine Nettigkeit bereinigen.

Wenn sich ein Kind zurückgesetzt fühlt, hinterlässt das große Spuren.

Ulf LukanKlinischer Psychologe und Psychotherapeut aus Graz

Soziale Erfahrungen in der Kindheit, etwa unter Geschwistern tragen viel dazu bei, ob man später mehr oder weniger stark neidisch ist. Was können Eltern tun, um vorzubeugen?

Kinder sind unheimlich sensibel für Ungerechtigkeiten. Also wirklich auf Fairness und Gerechtigkeit unter den Kindern achten. Ein Sensorium dafür zu haben, ob sich ein Kind im Nachteil fühlt. Wenn ja, zu schauen, worauf das zurückzuführen ist – und es dann durch ein Gespräch oder durch Taten ausgleichen.

Niemals soll man aber dieses Gefühl desavouieren! Das ist das schlimmste für jemanden, der mit Neid geplagt ist, wenn man sagt: „Du bist ja nur neidisch!“ Das passiert übrigens auch unter Erwachsenen oft, wenn berechtigte Verteilungsungerechtigkeiten angesprochen werden, man oft als Antwort bekommt: „Du bist ja nur neidisch!“

Damit desavouiert man dieses Gefühl der Ungerechtigkeit und signalisiert: Das ist dein Problem.
Aber es ist ernst zu nehmen. Wenn sich ein Kind zurückgesetzt fühlt, hinterlässt das große Spuren. Ich höre in der Therapie immer wieder alte Menschen davon sprechen, wie schmerzlich es heute noch ist, wenn sie sich daran erinnern, wie Geschwister damals vorgezogen wurden. Das sind bleibende, wirklich tiefe Spuren von Verletzungen der eigenen Integrität. Und dafür sollten die Eltern ein Sensorium haben und es nicht als Charakterfehler abtun, sondern dem Legitimation geben, wenn sich das Kind zurückgesetzt fühlt - egal wie das sachlich zu bewerten ist. Denn dass das Kind das Gefühl hat, ist schädlich genug. Und von dem Gefühl gehört es befreit.

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