"Starmania"-Finalist Michael Tschuggnall wählte nach Gold-und Platinplatten das Leben abseits der Bühne. Er liebt die Frau, für die er sein Siegerlied schrieb, und hat 60 Lieder in der Schublade.
Sie haben vor 17 Jahren zum Start von "Starmania" weit mehr als eineinhalb Millionen Anrufer bewegt. Wann haben Sie Ihre Ballade "Tears of Happiness" zuletzt gespielt?
Das ist Jahre her! Vermutlich war es bei irgendeiner Feier, auf der mich jemand darum gebeten hat. Sonst ergibt sich das kaum.
Weil Sie sich von der Musik verabschiedet haben?
Gar nicht. Sie ist ein wunderbares Hobby, und das ist gut so. Ich habe nach dem "Starmania"-Sieg vier Jahre lang als Musiker gearbeitet. Das bedeutet, ständig unterwegs auf Tour sein, Interviews geben, kleine Bühnen, Autogrammstunden, Zeltfeste, auf Chartergebnisse warten, hoffen. Irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem mir klar war, dass ich anders leben möchte.
Wie "anders" sieht Ihr Leben heute aus?
Ich bin sehr zufrieden, ich arbeite als Programmierer in einem universitätsnahen Betrieb und bin gelegentlich in der Forschung tätig.
Davor haben Sie Ihr Master und Doktoratsstudium aus Informatik mit Auszeichnung abgeschlossen. Sind Sie ehrgeizig?
Gar nicht. Ich habe hauptsächlich studiert, weil ich noch nicht Vollzeit arbeiten wollte. Den fehlenden Ehrgeiz hat mir mein Papa beim Tennistraining schon immer vorgehalten. (Anm.: Tschuggnall war mit zwölf Jahren Tiroler Meister). Ich arbeite auch nur vier Tage in der Woche, damit Zeit für andere Dinge bleibt: Musik, Klettern, Sport.
Ein Doktoratsstudium mit Auszeichnung kann ohne Ehrgeiz gelingen? Ehrlich?
Ich hab das Glück gehabt, dass ich mir in der Schule immer relativ leicht getan habe. Und ich habe ein Studium gewählt, bei dem man auch durch Verstehen statt Auswendiglernen weit kommt. Gute Noten waren insofern nie etwas Besonderes für mich.
Was fasziniert Sie an IT?
Die hat mich immer schon begeistert. Ich habe schon in der Hauptschule den Lehrern erzählt, dass ich auf der HTL Wirtschaftsinformatik wählen werde. Damals haben alle noch gedacht, dass ich aufs Musikgymnasium gehen werde. Mein Hintergedanke war, dass mir die Musikausbildung keine wirtschaftliche Sicherheit bietet.
Die Grundlage für Ihre Berufswahl war der Gedanke an die wirtschaftliche Sicherheit?
Absolut. Ich will nicht nächste Woche überlegen müssen, wie ich meine Miete bezahle. Der Weg eines Musikers ist dagegen weitaus riskanter. Das sehe ich hautnah am Beispiel meiner Brüder. Sie haben beide viel erreicht, müssen aber ständig am Ball bleiben. (Anm.: Christian Tschuggnall studierte Schlagzeug und Komposition, spielte u. a. mit Bluatschink und ist Mitbetreiber des Musikstudio unheard, Thomas Tschuggnall ist diplomierter Tontechniker, betreibt sein eigenes Musikstudo rec.it und spielt erfolgreich in der von ihm gegründeten Unterhaltungsband Offtang)
Woran denken Sie, wenn Sie sich an "Starmania" erinnern?
Daran, wie spannend und neu alles für mich war. Damit meine ich die Fernsehshow, die Kameras, das war eine eigene, aufregende Gefühlswelt. Die Zeit danach war ein eigenes Kapitel.
Was haben Sie gelernt, das heute noch Relevanz in Ihrem Leben hat?
Ach, das ist schon damit losgegangen, dass ich alleine mit dem Zug von Telfs nach Innsbruck fahre, das richtige Ticket kaufe und in den Flieger steige. Den Blick hinter die Kulissen in Wien werde ich nie vergessen. An Erfahrungen begleitet mich natürlich der Weg durch die Fehleinschätzungen. Du musst ein Lied für dich wählen, und da sind fünf tolle Leute, von denen jeder ein anderes empfiehlt. Auf wen hörst du? Ich habe oft gedacht, die anderen wissen es besser, weil sie mehr Erfahrung in der Branche haben als ich. Aber wenn du dir selbst nicht glaubst, was du singst, wirst du das beste Lied nicht gut bringen. Am Ende stehst du auf der Bühne, nicht der, der dir etwas empfohlen hat. Das habe ich gelernt: meine Entscheidungen zu treffen und dazu zu stehen. Selbst wenn sie falsch waren, bin ich es, der am Ende damit leben muss.
Sie haben gelernt, auf Ihr Bauchgefühl zu hören.
Genau. Die blauen Schuhe sind nur super, wenn ich mir sicher bin. Nicht, weil sie mir jemand empfiehlt. In Sachen Gewand habe ich überhaupt das Gefühl, wir waren hin und wieder Versuchskaninchen ...
Sie haben die Zeit nach Ihrem Sieg oft als schwierig beschrieben. Warum?
Ein Problem war, dass wir als Popstars vermarktet wurden und das gar nicht zu mir passt. Überall wurde rausposaunt, wie super wir sind. Da war es ganz leicht für Kritiker, zu sagen: Das ist furchtbar. Speziell zu mir hat die Popstar-Marke gar nicht gepasst. Ich war nie der Boygroup-Typ, sondern der Sänger am Klavier.
Und dafür wurden Sie kritisiert?
Es waren vielleicht nur zwei von zehntausend, die blöd geredet haben. Aber für mich ist einer zu viel, der ohne Grundlage etwas Negatives sagt. Den anderen "Starmania"-Kollegen ist es auch passiert. Aber die haben es zum Großteil besser weggesteckt. Ich bin jemand, der nicht anecken möchte. Ich tue niemandem etwas und möchte umgekehrt auch fair behandelt werden.
Fehlt Ihnen heute die Bühne?
Ich weine keinem Riesenerfolg hinterher, aber das Musizieren mit anderen Leuten vermisse ich schon. Meine Frau sagt, es ist so schade, dass ich nur noch im Keller Musik mache. Würde sich eine Gelegenheit ergeben, wieder aufzutreten, würde ich vermutlich nicht Nein sagen. Wenn morgen der richtige Manager mit einem guten Konzept käme, gäbe es 60 bis 70 Songs, die bei mir herumliegen. Mir wäre aber ein gutes Konzept wichtig. Jahrelang investieren, nichts verdienen und nur zittern mag ich nicht mehr. Damals habe eine Goldene Schallplatte geschafft und trotzdem gezittert, ob ich ein zweites Album machen darf, weil sich die Plattenfirma nach Christinas Erfolg einfach mehr erwartet hatte
Nach all dem würden Sie eine Karriere als Musiker noch wagen?
Musiker, ja. Aber nicht Rund-um-die-Uhr-Popstar. Sollte es ein Konzept geben, das zu meiner Work-Life-Balance passt, gern. Wenn die zwei Wochen im Monat mit mir auskommen könnten zum Beispiel. Oder ich beschränke mich aufs Liederschreiben, und jemand anderer singt. Ich bin offen für viele Ideen. Nur das Zittern um die Zukunft mag ich nicht mehr.
Das Wichtigste aus Ihrer "Starmania"-Zeit begleitet Sie bis heute: die Frau, für die Sie Ihren Siegertitel "Tears of Happiness" geschrieben hat.
Ja, wir sind seit dem Jahr 2000 zusammen. Wir waren aber schon drei Jahre zusammen, als "Starmania" losgegangen ist. Davor haben wir uns bei einer Musicalgruppe kennengelernt, wo wir viele Auftritte gemeinsam gemacht haben, sie als Tänzerin, ich als Sänger.
Beziehungen im Rampenlicht gelten als schwierig. Können Sie das nachfühlen?
Absolut. Wir beide passen extrem gut zusammen, wir waren immer schon ein Herz und eine Seele mit den gleichen Hobbys und Ansichten und Interessen. Trotzdem war es für uns schwierig, als der Fokus plötzlich nur noch bei mir war. Ich habe Claudia einmal zwei Stunden lang versetzt wegen einer spontanen Autogrammstunde. Das würde ich nicht mehr machen. Ich würde fix ausmachen, wie lange ich Zeit habe, und dabei bleiben. Die Vorstellung, dann vielleicht noch einen Partner zu haben, der dich davor nicht gekannt hat, sondern dich als Fernsehpersönlichkeit sieht, finde ich absolut schwierig.
Sie haben damals viel aushalten müssen: da der Kampf um die Karriere, dort eine ungewisse Beziehung.
Ja, wir haben zwei Monate Beziehungspause gehabt. Für mich war sie schwierig, weil alles völlig überraschend gekommen ist. Gleichzeitig war die Zeit wichtig, um in Ruhe über die Zukunft nachzudenken und die Prioritäten zu ordnen.
Was hat Ihnen am Ende geholfen?
Wir haben uns beide wieder aufeinander zubewegt. Vieles ist von mir gekommen, weil ich in vielem auch das Problem war. Oft habe ich die Wertschätzung übersehen, während Claudia selbstverständlich für meine sechs Auftritte in einer Woche Routen quer durch Österreich gesucht hat. Ich habe danach normal weitergearbeitet, aber mit einer neuen Einstellung. Dadurch war es für uns beide anders. Besser.
Heute haben Sie zwei Kinder, Noah, 7, und Maya, 5. Wie sind Sie als Vater?
Sehr aktiv! Wir haben es schon am Anfang so eingeteilt, dass ich am Vormittag gearbeitet habe, damit Claudia am Nachmittag ihr Tanzstudio aufsperren kann. Ich bin einfach gerne mit den Kleinen zusammen, und Claudia fragt hin und wieder, wer jetzt das größte Kind von uns ist.
Wie oft haben Sie im Homeschooling die Nerven geschmissen?
Es war teilweise schwierig, weil ich auch im Homeoffice war. Aber Noah geht erst in die erste Klasse und hat ein paar Buchstaben gelernt. Die Belastung war überschaubar. Das war auch lustig. Schwieriger war, das Haus nicht zu verlassen. Nach drei Tagen habe ich gebettelt, dass ich einkaufen gehen darf, obwohl wir ein Haus mit Garten haben.
Wie erleben Sie jetzt die Diskussionen um Ihr Bundesland Tirol?
Mein Umfeld und ich sind von den Grenzsperren nicht betroffen. Darüber hinaus bin ich so naiv, dass ich denke, die Experten wissen schon, was sie machen. Ich sehe nur beim Thema Skifahren, dass tatsächlich nichts los ist: Wir gehen jedes Wochenende Skifahren, und ich könnte ständig kilometerlange Pisten mit drei Leuten darauf posten.
Sie sind nicht in den sozialen Medien vertreten. Warum?
Ich habe damals nicht damit begonnen, weil ich gedacht habe, es melden sich ohnehin nur Leute, die etwas von mir brauchen. Das bedeutet am Ende nur Arbeit für mich. Jetzt erlebe ich gerade bei Claudia, wie sehr sie die andauernden negativen Informationen über Corona über die sozialen Medien belasten. Aber wir Kandidaten der ersten "Starmania"-Staffel haben seit einem Jahr eine Whats-App-Gruppe, die mich die nächsten Wochen wahrscheinlich genug unterhält.
Werden Sie denn reinschauen, wenn neue Talente sich bei "Starmania 21" versuchen?
Auf jeden Fall. Zwar wird es sicher nicht so sein, dass ich jede Sendung von Anfang bis Ende schaue, aber einen kurzen Eindruck der besten Mitwirkenden werde ich mir bestimmt machen.
ZUR PERSON
Michael Tschuggnall Der 38-jährige Tiroler, der als Sohn zweier Musiklehrer aufwuchs, gewann mit einer Eigenkomposition ("Tears of Happiness") die erste "Starmania"-Staffel 2003. Er holte Gold und Platin, blieb aber betreffend Verkaufszahlen hinter Kollegin Christina Stürmer. An der Universität Innsbruck absolvierte er das Master-und Doktoratsstudium Informatik. Er arbeitet als Programmierer und lebt als zweifacher Familienvater in Telfs.