Herr Karl trägt neuerdings Rauschebart. Wo sonst auch gerne ein artiger Schnauzer prangt, herrscht derzeit üppiger Wildwuchs. Eine Matte, die dunkel den unteren Teil des Gesichts überwuchert – und damit irgendwie auch das langjährige Image des Schwerenöters. „Eigentlich ist meine Zielgruppe im Hauptabendprogramm ja die heterosexuelle Frau jenseits der 45“, sagt der Herr Karl – Vorname Fritz, Beruf Fernsehstar – und lächelt bescheiden.
Denn diese Selbsterkenntnis ist frei von Zynismus. Die Rolle als Christiane Hörbigers junger Galan in der Serie „Julia – Eine ungewöhnliche Frau“ machte Karl nach einem halben Jahrzehnt am Theater in der Josefstadt einem noch breiteren Publikum zugänglich. Und der Schauspieler aus Traunkirchen in Oberösterreich ist lange genug in der schnelllebigen Branche, um zu wissen: Wer es sich leisten will, als Künstler wirklich in die Tiefe zu gehen, der muss auch breit genug sein, um sich das leisten zu können. Der schlanke Anfangsfünfziger hat sieben Kinder, und alleine seine mit dem Vermerk „Auswahl“ versehene Wikipedia-Filmografie umfasst gezählte 94 Projekte, Anspruchsvolles findet sich da ebenso wie Leichtgängiges. „Ich arbeite mich daran ab, mir selbst gerecht zu werden – aber auch der Erwartungshaltung der anderen“, sagt Karl. Bisweilen, da brauche man sich nichts vorzumachen, setze einen das schon stark unter Druck, auch auf vereinzelte Panikattacken blickt der künstlerische Akkordarbeiter zurück. Doch das war früher.
Auf Erfolg programmiert
Die Gegenwart, und das ist das eigentlich Außergewöhnliche für einen Fernsehmenschen, die Gegenwart ist angstfrei. Fritz Karl – er heißt mit bürgerlichem Namen, ziemlich naheliegend, Karl Friedrich – hat es innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte zu einem der meistgebuchten TV-Schauspieler im deutschen Sprachraum gebracht. Derzeit besetzt er als Hauptdarsteller der Anwaltsserie „Falk“ (immer Dienstag 20.15 Uhr) den sogenannten „Serienplatz“ der ARD, jenen Platz also, wo es planmäßig um die fettesten Quoten geht. Und wo, so sieht das zumindest Karl, jeder erwarte, dass man ein weißes Kaninchen aus dem Hut zaubere.
Falk ist ein spleeniger, misanthropischer Advokat aus Düsseldorf, der eigentlich nur bunt bedruckte Socken und erlesene Mahlzeiten vorbehaltlos liebt. Auch Karl aus Traunkirchen im Salzkammergut, so viel ist bekannt, liebt bunt bedruckte Socken und erlesene Mahlzeiten. Falk trägt Schnauzbart, Karl trägt Rauschebart – doch was verbirgt sich dahinter?
Einschicht der Eitelkeiten
Traunkirchen, Gasthaus Poststube, direkt am Ufer des Traunsees: Am Tisch neben dem Panoramafenster empfängt ein Provinzler aus Leidenschaft. Ein paar hundert Meter bergwärts, holt Fritz Karl aus, sei er aufgewachsen, hier wohne er heute noch. Oder, besser gesagt, wieder. Mit seiner Lebenspartnerin Elena Uhlig, auch sie eine gefragte Schauspielerin. Mit den vier gemeinsamen Kindern, das älteste zehn Jahre alt, das Nesthäkchen gerade einmal drei Monate. Und, nach Jahren in Wien, mit der Erkenntnis, dass das Leben in dieser Einschicht der Eitelkeiten dem sogenannten Glück schon sehr, sehr nahe kommt.
„Es geht mir nicht um Gucci-Tascherln und rote Teppiche – die mögen vielleicht für Veranstalter und Sponsoren wichtig sein, aber für Künstler selbst sind sie völlig irrelevant“, sagt Karl. Denn auch seine ganz persönlichen Statussymbole hätten im großstädtischen Raum wohl kaum noch VIP-Potenzial: Karl sammelt Mobiltelefone des Typs Nokia 8800, das sind die ganz ohne Internet, dafür mit verschiebbarer Tastaturabdeckung, Plastik, das wie Metall aussehen soll, und Ringtones aus dem Synthesizer von Brian Eno. Anderswo waren die vor knapp eineinhalb Jahrzehnten modern, doch Karl hat daheim sieben Stück originalverpackt gehortet und eines in telekommunikativer Verwendung. „Eine Wertanlage“, feixt Karl. „Vielleicht.“
Teuflischer Teenager
Doch nicht nur bei Telefonen setzt Fritz Karl auf Altbewährtes. Zurück zu den Ursprüngen, das ist für ihn eine Art Lebensleitmotiv: Als man auf Vermittlung der rührigen Volksschullehrerin in der Großstadt sein glockenhelles Kinderstimmchen erhörte, zog es den Buben vom Land nach Wien zu den Sängerknaben. Gerade einmal neun Jahre war er da. „Ab und zu gab es vielleicht eine Watschen, aber im Grunde genommen war es eine aufregende Zeit, in der ich unglaublich viel gesehen habe.“ Als er mit 13 zurückkam, hatte er bereits Bühnendisziplin kennengelernt. Und die große, weite Welt: Noch heute erinnert er sich an den Monat, den er mit dem trällernden Bubentrupp im Mayflower Hotel am New Yorker Central Park logierte.
Als Teenager spielte er dann in vier „Faust“-Aufführungen des Stadttheaters Gmunden den Mephisto, ehe es ihn, vom pubertären Teufel zum jungen Mann gereift, erneut nach Wien zog. Diesmal ins Reinhardt-Seminar, wo sich bereits nach zwei Semestern der Vorhang senkte – und dank kleinerer und mittlerer Engagements eine Karriere an kleineren und mittleren Häusern begann. Karl heiratete, bekam drei Kinder, die heute bereits junge Erwachsene sind. Dank eines fixen Engagements an der Josefstadt wurde der junge Herr Karl schließlich fürs Fernsehen entdeckt und so im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt. Doch privat führte ihn sein Weg erneut zurück an den Traunsee. Und diesmal ist er gekommen, um zu bleiben und nur noch beruflich auszupendeln.
Kleine Fische, dicke Fische
Einfamilienhaus da, Reihenhaus dort, sogar das Leben in einer großstädtischen WG hatten seine Lebenspartnerin Elena Uhlig und er zu Zeiten, als sie erst ein gemeinsames Kind hatten, ausprobiert. Mittlerweile sind es zwei Buben und zwei Mädchen – und die sollen in der Kinderwelt des Vaters aufwachsen. „Dennoch haben die Frau Uhlig und ich uns zum Prinzip gemacht, dass Drehbuch vor Drehort geht“, erzählt Karl. Wenn er fernab dreht, ist die Frau Uhlig da, wenn sie fernab dreht, ist der Herr Karl da. Und wenn sich die Termine einmal kurz überschneiden, hält ein verlässliches Kindermädchen die Kids beisammen und bei Laune. Derzeit hat Karl auch geografisches Glück, ganz in der Nähe dreht er an der Seite von Brigitte Hobmeier die NS-Saga „Ein Dorf wehrt sich – Das Geheimnis von Altaussee“.
Plötzlich hält Fritz Karl inne und reißt den Kopf herum – dieses Getrappel, das vom Dielenboden dumpf widerhallt, diese Stimmen, die sich vor Aufregung überschlagen, darauf ist er konditioniert: Emil, der Zehnjährige, und Gustav, der Achtjährige, stürzen in die Gaststube. Der eine hat eine provisorische Angelrute in der Hand, der andere einen winzigen Barsch, der zwischen den zum Hohlraum geformten Kinderhänden zappelt. Frisch gefischt, draußen am Bootssteg direkt vor der Gastwirtschaft. Dieser Fisch ist noch zu klein für den Verzehr, doch wenn Vater und Söhne gemeinsam richtig viele richtig dicke fangen, landen sie sogar auf der Speisekarte und in der Bratpfanne des Dorfwirts.
„Nein, ich sehe keinen Grund, aus Karrieregründen noch einmal von hier wegzugehen“, sagt Fritz Karl und lehnt sich wieder entspannt zurück. Für das ganz breite Publikum bleibt er der Schnauzbartträger der Herzen. Privat bleibt der Rauschebartträger ein Provinzler aus Leidenschaft.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 20 2018